Der Sänger aus Detroit über sein aktuelles Album, ein bestgehütetes Geheimnis und amerikanische Präsidenten
In den 60-er Jahren war der Mann aus Detroit ein Star in der amerikanischen Musik: Mitch Ryder. Mit seiner schwarzen, soulgetränkten Stimme war er einer der aufregendsten Sänger seiner Zeit. Seine Platten mit den „Detroit Wheels“ verkauften sich millionenfach. Hits wie „Jenny take a ride“, „Devil with a blue dress on“ oder „Sock it to me Baby“ sind Klassiker geworden. Nach einer längeren Pause in den 70-ern ist Ryder immer noch auf den Konzertbühnen unterwegs. Klaus Kaschel sprach mit dem nachdenklichen Musiker vor seinem Auftritt in der Alten Mälzerei in Regensburg.
Dein aktuelles Album „You deserve my art“ ist sehr vielfältig geworden. „21st Century“ lebt von seinen großartigen Piano-Läufen und heißen Saxofon-Einlagen. War das vorher geplant oder ergab es sich erst im Studio?
Ryder: Ich gehe erst ins Studio, nachdem alles vorher geplant ist. Das spart Zeit und Geld. Die schwere Arbeit liegt v o r der Studiozeit. Das habe ich in meinen langen Jahren im Musikgeschäft gelernt.
Mit dem Song „Heaven takes you back“ hast Du versucht Freunde zu trösten, die ihr Baby durch einen plötzlichen Tod verloren haben. Hast Du Reaktionen von Ihnen darauf bekommen?
Ryder: Leider nein. Sie wohnen in New York, während ich einige Zeit in Los Angeles beschäftigt war. Mein Terminplan war ziemlich voll. Ich war viel auf Tour und ich beendete meine Biografie. Aber: Ich bin sicher, dass sie den Song mitbekommen haben und ihn schätzen.
Im Song „In my garden“ geht es um einen finanziellen Absturz und wie man damit klarkommt. Sollten sich Investment-Banker und Hedge-Fonds-Manager den Text genau anschauen?
Ryder: Tatsächlich handelt der Song von einer Frau, die auf großem Fuß lebte. Sie verliehrt jedoch ihren Reichtum und weiß nicht, wie sie jetzt weiter existieren soll. Im Lied versuche ich ihr es zu erklären. Ich biete ihr meinen Garten an und in dem kümmert man sich nicht um Geld.
„All the fool it sees“ ist reiner Blues, auf dem es auch üppige Streicherpassagen gibt. Welche Vorbilder hattest Du im Sinn?
Ryder: Ich war immer stark beeindruckt von den Bluessängern der 50-er Jahre. Normalerweise denkt man bei Blues an vier Akkorde, schwere Gitarre und Mundharmonika. Mir gefielen immer die Sachen, die Sam Cooke oder Dinah Washington oder Bobby Bland machten. Kennst Du sein Album „Two Steps from the Blues“? Das ist ein wunderbares Beispiel für üppig arrangierten Blues. Diese Richtung mag ich sehr. Blues muss nicht immer schwer sein; er kann leicht und melodiös daherkommen.
Gerade begeht man das 50-jährige Jubiläum von MOTOWN. Ist das eine Gelegenheit, dass mehr Menschen erkennen, welchen großen Einfluss diese Hitschmiede auf die amerikanische Musik hatte?
Ryder: Es ist eine sehr natürliche Art von Musik, die da von Detroit ausging. Auf meinen letzten beiden CDs versuchte ich Beispiele für diesen Stil zu bringen. Auf meiner jüngsten CD „The Promise“ – von Don Was produziert – haben wir einige Songs in der Tradition von Motown. Die Musiker aus den Sessions waren echte Motown-Cracks, z.B. James Gadson (Drums) und Reggie McBride (Bass), die schon mit Stevie Wonder oder Marvin Gaye arbeiteten. Ich war sehr froh sie zu bekommen. Drei, vier Songs spiele ich auf der aktuellen Tournee und sie kommen beim Publikum gut an.
„Moondog house“ klingt nach Swamp Rock mit viel Z.Z.Top. Hast Du viel gegenüber dem Original von Gandalph Murphy verändert?
Ryder: Nicht viel. Gandalf ist ein ziemlich einzigartiger Künstler. Er strahlt eine besondere Magie aus. Er besitzt „good vibes“, wie wir in den 60-ern sagten. Gandalf sieht auch aus wie ein Hippie aus jener Zeit. Wenn man ihm in die Augen schaut, erkennt man Ehrlichkeit. Wirklich ein guter Mann! Wir sprachen nur ca. eine halbe Stunde miteinander, aber er machte einen großen Eindruck auf mich. Mit den zwei Songs von ihm will ich ihn meinen europäischen Fans vorstellen. Gandalf ist eines der verborgenen Geheimnisse der amerikanischen Musikszene.
Ist Religion in den letzten Jahren wieder wichtiger geworden in deinem Leben?
Ryder: Als kleiner Junge bin ich mit meinem Vater hauptsächlich in schwarze Gottesdienste gegangen. Dort lernte ich die Gospelmusik kennen. Auf meinem Album „The acquitted idiot“ von 2006 sind die meisten Songs über Religion und meine Reflexionen über den Glauben. Organisierte Religion ist nicht gut, weil zu zu offen ist für Manipulationen von jedem Pastoren oder Priester oder einem Kirchenoberhaupt. Mich interessiert am Glauben mehr die spirituelle Seite.
Haben Kunst und Religion dieselbe Aufgabe, nämlich die Menschen zu verbessern und zu „veredeln“?
Ryder: Wenn man die Geschichte der katholischen Kirche anschaut mit all den Foltern und Qualen, die sie hervorgebracht hat, kommen mir meine Zweifel. Religion wurde zu lange benutzt, um die Leute zu beruhigen, ja zu unterdrücken. In der Theorie will Religion Friede und Trost bringen, in der Praxis sieht das anders aus.
John Mellencamp produzierte eine wichtige LP für Dich. Bist Du noch in Kontakt mit ihm?
Ryder: Nein!
Das ist schade.
Ryder: (ironisch)….Nein.
Vor Jahren hast Du über Reagan gesungen: „Er ist nicht mein Präsident“. Ist Obama jetzt dein Mann?
Ryder: Ich habe für ihn gestimmt. Wir müssen abwarten. Obama ist ins Amt gekommen zu einer Zeit, als die Finanzmärkte zusammenbrachen. Er hat zwei verschiedene Kriege am Hals. Er ist kein Wunderheiler. Man muss ihm eine Chance geben. Aber Obama zeigt große Führungsstärke. Ich glaube an ihn; er ist der beste Präsident, den wir seit vielen Jahrzehnten hatten. Und ich habe einige Präsidenten erlebt. Ich kam auf die Welt als Harry S. Truman Präsident war!
Letztes Jahr sang PINK ein kritisches Lied „Dear Mr. President“, wenige Monate bevor Bush das Weiße Haus verließ. Waren die „Dixie Chicks“ nicht mutiger, die sich schon viel früher gegen den Irakkrieg ausgesprochen hatten?
Ryder: Ja, die bekamen wirklich Schwierigkeiten. Pink ist sehr professionell und kalkulierend. Die Dixie Chicks nahmen viel mutiger und explizierter Stellung.
Was passierte mit dem Album, das Du mit Ivan Kral 2006 in Arbeit hattest?
Ryder: Es ist nie fertiggestellt worden. Er wollte es in der Tschechischen Republik aufnehmen, ich in den USA. Anfangs klappte die Zusammenarbeit gut, aber dann tauchten Probleme auf.
Das Cover zu „You deserve my art“ ähnelt vom Konzept her dem Titelbild des aktuellen Albums von Coldplay: Der Gegensatz von „hoher“ Kunst zu Straßenkunst vertreten durch Graffiti. Reiner Zufall?
Ryder: Sie klauten meine Idee….(lacht). Die Frage ist, was Kunst ist. Für mich ist der Schlüssel: Die Freiheit der Kunst, egal ob es die „Schönen Künste“ sind oder die Kunst von der Straße.Ich denke jedoch, dass Graffiti – erst recht wenn es Schmierereien an Türen sind – den Test der Zeit nicht bestehen werden. Es ist nur ein momentanes Statement von jemandem, der seine Identität klären will. Die „Schönen Künste“ wurden der Welt gegeben um zu überdauern. Wegen Michelangelo oder Delacroix geht man in den Louvre!