Berlin (dpa) – Jürgen Ehle hat 14 Jahre keinen einzigen Text für Pankow geschrieben. «Ich hatte den Kopf nicht frei, war ratlos und hab‘ mich gefragt: Was will ich eigentlich noch sagen, was ist noch wichtig?», sagt der Gitarrist der wohl legendärsten Rockband des Ostens im Interview der Nachrichtenagentur dpa.
Ehle sitzt in seinem «erweiterten Wohnzimmer», dem kleinen Club Zimmer 16 im Berliner Stadtteil Pankow, und wirkt entspannt. «Ich hab‘ einfach nur lange darauf warten müssen, und Anfang des Jahres kamen wieder die Ideen und Einfälle.»
Das Innehalten hat sich gelohnt. Auf ihrem neuen Album «Neuer Tag in Pankow» (Veröffentlichung: 4.11.) klingt die Band so sehr nach Pankow wie viele Jahre nicht. Die Songs erzählen im vertraut schnörkellosen Ton kleine Alltagsgeschichten, von Verlusten, Nischen und Träumen, vom Wiederfinden, von einem durchgerüttelten Leben eben. Etwa: «An manchen Stellen kann man deutlich sehn, dass alles immer schöner wird/da, wo sie todschicke Häuser in die letzten freien Lücken baun/ich weiss, dass hört sich g’rade nich‘ so an, doch ich bin eigentlich ganz gerne hier.»
An die Texte schmiegt sich Musik, die mal urban und gewohnt kraftvoll daherkommt. Es vibriert und groovt, rockt und fiebert – saftiger, voller Gitarrenklang, prägnante Bassfiguren, strahlendes Klavier. Zwischendurch Balladen, sparsam instrumentiert, das Erzählte von Sänger André Herzberg herausstellend, ruhig, melancholisch wie eine Landschaft, in die man sich betten möchte.
«Die Wimpel weh’n/ der Maibaum steht/Ich fahr auf plattem Land/ich fühle mich wie umgedreht/ich fahr auf plattem Land/ bisschen schön/bisschen doof/das ist Heimat, heimatlos.» So ist Pankow, diese besondere Art des Geschichtenerzählens von Sänger Herzberg, er haucht den Texten vielschichtig Leben ein – mal schlurft er, mal tanzt er -, dass man ihm jeden besungenen Schmerz, jede Ironie als Selbsterlebtes abnimmt. «André gibt den Songs noch einmal eine eigene Farbe, meist ist sie dunkler», beschreibt Gitarrist Ehle Herzbergs eigenwillige Interpretation.
Der meist melancholisch wirkende Sänger, der in den vergangenen Jahren unter anderem einen Tagebuchroman schrieb und das Puppenmusical «Das kalte Herz» verfasste, würde gerne mit Pankow noch einmal groß herauskommen. «Ich will, dass ein Lied unablässig im Radio gespielt wird und dass wir Fußballstadien füllen», sagte der 55-Jährige kürzlich der dpa. «Musikalisch bietet es das, was die Band schon immer ausgemacht hat. Wir schreiben Songs auf Deutsch, die mit unserer Identität zu tun haben.»
Produziert hat Pankow das Album in bewährt eigener Regie, Ehle fertigte es gemeinsam mit seinem langjährigen Weggefährten Kulle Dziuk. Per «filesharing» – das ist neu. Dateien mit Ideen wanderten zwischen den Bandmitgliedern hin und her. Fürs letzte Album hatte sich Pankow noch für ein paar Wochen in einem idyllischen Landhaus eingeschlossen, für das neue traf man sich nur für die Schlagzeugaufnahme im Studio. Ansonsten friemelten die Musiker in ihren Zimmern, jeder arbeitete für sich. «Die Band hat Brüche erlebt. Seitdem gehen wir gelassener miteinander um», sagt Ehle. Fünf Monate hat es gedauert, bis das Album fertig war. «Es ist klarer, man hört die Handschrift deutlicher.»
Eine eigene Handschrift hatte die 1981 gegründete Band schon vor dem Fall der Mauer. Von den Kulturverantwortlichen der DDR mit Argusaugen beobachtet, sangen die Musiker um den charismatischen Herzberg vom realen Alltag im Sozialismus, dem Glück der kleinen Leute und dem Überdruss: «Das selbe Land zu lange geseh’n/dieselbe Sprache zu lange gehört/zu lange gewartet/zu lange gehofft/zu lange die alten Männer verehrt.» Der Song «Langeweile» durfte zeitweise nicht im Radio gespielt werden. Er gab so etwas wie eine Vorahnung vom Untergang der DDR.
«Klar, wir sind ein Stück des untergegangenen Landes, aber nun sind gut 20 Jahre ins Land gegangen, und wir sind immer noch da, weil wir noch was sagen wollen, es uns auf die Bühne drängt», sagt Ehle. Er wünscht sich, dass die Band nicht immer automatisch in der Schublade «Ex-DDR-Band» landet. «Die Texte greifen in die Vergangenheit und kommen in der Gegenwart an», resümiert der Gitarrist. «In dem Augenblick aber, wo es klingt, ist keine Sprache mehr wichtig.»