Handys hoch

Junge Welt

STEFFEN MENSCHINGS 2. Soloprogramm „Amok“: „Stefan Zweig als Hitler-Double, Mobiltelefone, Lenin (als Bettler ertappt beim Banküberfall), ein vom Dach gefallener Teenager und die Nibelungen als Arztroman – all dies bietet Mensching in seinem nunmehr zweiten Solo-Theaterstück „Amok“. (…) Nun läuft er also Amok, und es geht vergleichsweise beschaulich zu: Ein (unfreiwillig) pensionierter Deutschlehrer versucht, dem Publikum eine Arnold-Zweig-Novelle nahezubringen, bis er vom leider so allgegenwärtigen Schrillen eines Telefons entnervt aufgibt. Aber der Vortragende hat Geduld, das hat er als Lehrer gelernt, springt von Einwürfen über die Mobiltelefone und die jetzt immer günstiger werdenden Vor-Vorwahlnummern zu Schilderungen nächtlicher Spaziergänge über die Dächer des „Großbezirks Pankow“ (…) Gespickt wird der neunzig-minütige Einakter immer wieder von Einwürfen aus der Literatur- und Weltgeschichte, der Akteur hetzt immerzu manisch an die Schultafel und hackt mit Kreide Lebensdaten in das Grün. Mensching gelingt als Schauspieler wie als Autor der Spagat von der Komödie zum Drama, er schafft den nahtlosen Übergang vom Kalauer zu einem tiefgründigen Monolog an einem Schrumpfkopf im Museum für Deutsche Geschichte (hier werden seine Qualitäten als Lyriker deutlich), setzt Nuancen und entwirft das Bild eines Bildungsbürgers, der am Blödsinn und der Gleichgültigkeit unserer Tage scheitern muß. All dies wird locker aber auch hintergründig erzählt, läßt hämische Scherze wie die Anleitung, sich zu Gewinnzwecken Aufkleber auf den Fernsehbildschirm zu kleben und aktuelle Debatten „Ich bin stolz, ein Deutschlehrer zu sein“ nicht aus, bis sich am Ende das Publikum als Geisel, bedroht von einem explosiven Handy, wiederfindet. Doch die Zuhörer sind schon lange gefesselt von der kuriosen Szenerie und werden dann schließlich gerettet und im schönsten Sinne belehrt entlassen.“

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