Es ist ein stimmiges Gerücht, daß die unvermeidlichen Puhdys nur deshalb nach wie vor dudeln, weil es die zeitgeistlose Combo Freygang noch gibt. Vor den Gebeutelten treten die Geldbeutel nicht ab und umgedreht. Ein Zweikampf um die Rockerehre, in ungleichen Klassen, vor getrenntem Publikum. Entschieden ist nichts. Beide haben zeitgleich eine neue CD vorgelegt. Birrs Maschine-Gang trällert Weihnachtslieder, worauf sich jeglicher Kommentar in grimmige Andachtsstarre wandelt. Anders Freygang: Sie geigen ihre Hörer noch immer aus‘m schönstem Einheitstakt. „Aus Liebe“ heißt ihre mittlerweile 7. Scheibe und sie ist mit Liebe gemacht. Ein Poesie-Album ist sie deshalb nicht. Schnörkellos holpern sich die gesungenen Zeilen über deutsch-deutsche Buckelpisten zu unverwechselbarem Klartext. Manche Reime ( „ich will keinen staat / von hundert quadrat / und du machst spagat / daß ich lege die saat“) muß man schon zum Fressen gern haben, um sie verdauen zu können. Mit Freygangs schräger Rock-Musike klappt das. Freygang tobt sich aus, tobt gegen das einlullende Eiapopeia-Unterhaltungssystem, unter dem jedes Aufbegehren nur ein neidisches Nölen für ein besseres Gehalt, ein höheres Pöstchen ist. Das Ganze in Frage zu stellen, heißt ja immer auch, sich selbst in Frage zu stellen. Die Kapelle versucht das: („du bist nur noch schmiere für das system / aus angst zu versagen, wirst du untergehen“). Oder Andrés verwegener Aufruf, die Ordnungshüter lieber wie’n Brummkreisel tanzen zu lassen, als sie anzurufen. Jeder 110-Wähler wählt den engmaschiger werdenden Polizeistaat: („sieh mal an / wie der bulle tanzen kann … durch euch wird die polizei erst fett / durch euch mästen sie die richter“). In ihrem New York-Song heulen die Gitarren wie Sirenen. Sie nennen den 11. September den 2. Unabhängigkeitstag, diesmal für die von den Amerikanern Kolonialisierten. Das Lied endet mit einem Seewetterbericht des Deutschlandfunkes, was an Heiner Müllers New York Aufsatz erinnert, in dem die Jungfrau unter den Städten aufgrund Klimaverschiebungen vom Atlantik heimgeholt wird und Haie durch die Banken schwimmen. Man merkt, wie die Fünfe samt Management intensiv und gemeinsam an dieser CD werkelten. Selbst Kornkipper Egon faselte und fuselte nicht lange, setzte mit den quirligen Jungen, Brian (Gitarre) und Smolle (Schlagzeug), kontraproduktive Kontrapunkte. Die Gitarren reiben einander, sägen ritsche ratsche an den gewohnten Riffs, bis sich hörbar Ergriffenes fügt. Allein wegen des grandiosen Titels „Rummelplatzbesitzer“, ein neckisches Selbstporträt, bei dem ein entfesselter André ans Limit geht, lohnt sich der Plattenkauf. Ruhe- und Gegenpol ist Tatjana. Nach ihrem Aufflug firmiert sie unter Freygang und kreist über ihre herrlich blubbernden Sümpfe, aus denen sie sich immer wieder selbst herauszieht. Mit dunklen Gesängen verteidigt sie ihre Öde vor dem High-End-Menschen. In ihrem Marianna-Lied wartet eine Frau auf den geliebten Kriegsteilnehmer. Alle Welt schunkelt und wähnt sich in Frieden, doch der Freund bleibt fern. Der Krieg ist nur scheinbar vorbei. Vergebliche Seh- und Sehnsüchte treiben sie zur Flucht nach vorn. Marianna – eine Frontfrau wie Tatjana: („marianna mit blumen im haar / kommt nicht zurück / marianna im morgenkleid / der Krieg ist nicht vorbei / marianna liegt im morgengrau / kommt nicht zurück“). Trüber geht’s nimmer. Freygang geht ins 25. Jahr. Pflastermüde ist die Band so wenig wie radiokonform. Aus Liebe werde ich weiter nachlaufen. Aus Liebe empfehle ich diese CD. Ein apodiktisches Diktat zum Mitsingen und Mitlieben.“