Ich erinnere ja gern an Gundermann, mich selber auch – weil mit und in ihm immer wieder eine Stimme neu zu entdecken ist, die wohl auch deshalb keinen wirklichen Nach-Klang finden konnte bis heute, wo schon wieder ein paar Jahre vergangen sind auch seit Gundermanns Tod, weil die Welt, aus dessen atomarem Kern diese Stimme kam, unrettbar verloren ist; da hilft auch kein „Good-bye, Lenin!“ und keine „Ost-Pro“-Messe, schon gar nicht der kommerzielle Erfolg von „Rotkäppchen“ und „Wernesgrüner“ und letztlich auch wohl keine Kunst, wie etwa in der kommenden Theatersaison bei der „40 Jahre, 40 Tage, 40 Stücke“-DDR-Erkundung am Berliner Maxim-Gorki-Theater.
Aber Gundermann hilft, manchmal – weil er diesen bis dato und seither so unerhörten Ton des grundsätzlichsten Zerwürfnisses aus sich heraus an sich selber und an uns heran lässt, diesen Sound des fundamentalen Nicht-einverstanden-Seins damit, wie es nun mal läuft mit diesem Land und wie es aber auch nicht zu verhindern ist. Dieser Klang wohl ließ den Niedergang der patriarchalen Übermacht/Ost so kreativ geraten; gerade in den paar Monaten, in denen speziell die Musik der jüngsten Veröffentlichung aus Gundermanns Nachlass entstanden ist: zwischen Herbst 89, dem Aufstand also, und Frühjahr 90, der neuerlichen Unterwerfung. „Das Chaos ist aufgebracht, es war die beste Zeit!“ – das unendliche wahre Brecht-Wort stand damals lange als Graffitti um die Ecke von der Ostberliner Volksbühne, direkt „Im Di-ckicht der Städte“ also; und so viel Anarchie wie da war ja auch nie, so viel In-Stücke-gerissen-Werden zwischen altem Zuhause und manchmal ja auch schöner neuer Welt. Wie sehr haben wir armen, ahnungslosen Wessies uns doch damals schon und seither alle Jahre wieder genau danach gesehnt – nach dieser Option des Ganz-anders-und-von-vorn-Anfangens, angesichts des allgemeinen Nichts-und-wieder-Nichts der offiziellen Politik, wie wir sie ja doch selber angerichtet haben. Gundermanns Songs sind wie das Echo vom Schrei dieser Zeit, von der ja niemand wirklich mehr etwas wissen will; aber gerade deshalb muss diese Stimme gehört werden, wieder und neu. Auch und gerade wo sie etwa die Verse der Internationale auf jenen US-Song setzt, den bei uns eine gewisse Juliane Werding zum Johnny-Kramer- und Drogentod-Memorial verhunzte.
Viele der „Werkstücke“ von damals haben es auf diese oder andere Weise in sich – „Europa“ aber, getextet auf Bruce Springsteens „Racing in the street“, lässt geradezu das Bewusstsein erzittern: wie da einer im ollen Skoda, die Knarre im Handschuhfach und einen kaputten Löwen, der von Rache träumt, im Kofferraum, in eine Stadt kommt, wo sterbend die Bäume noch kichern. Hier bricht wohl gerade der neue Weltbürgerkrieg aus: mit Negern, pardon: „Farbigen“, die nie mehr lächeln, und den weissen Ober-Boss ans genau so weisse Haus gehängt haben; mit Molotow-Cocktails im Supermarkt und „Fidschies“ (Alt-DDR-Sprech für Vietnamesen o.ä.), die in „Nähmaschinen“ (so hieß im Volksmund der Volks-Trabant) „aufsteigen“, vermutlich in Rauch. Wie früher über den Lagern. Und der Ich-Sänger selber wird womöglich der Täter gewesen sein – von unserer Mit-Schuld an dem, was kommen wird (vielleicht etwas anders, aber auch nicht wirklich schön!), spricht uns niemand mehr frei. Wir hatten wohl keine Chance, und wenn, dann haben wir sie sicher verpasst.
Keine Sorge, der Tipp bleibt auf Dauer geheim: Gundermann hören! Zu Tode Erschrecken dabei, manchmal. Beinahe verzweifeln, oft. Dann aber lächeln. Auch lachen. Weil er ja lacht. Und stirbt, bevor er das Ende erlebt.
Persönliche Empfehlung im Juli 2004: Michael Laages , Berlin M.: Bruce Springsteen T.: Gerhard Gundermann