Als Rebell, Rabauke und Trunkenbold hat er 1979 in der TV-Reihe „Rockpalast“ das deutsche Publikum im Sturm genommen. Der Typ schien zwar total neben der Spur, doch wie der Sänger Mitch Ryder sich mit einem vor Blues, Soul und Rock ’n‘ Roll vibrierenden Auftritt in der Essener Grugahalle der Musik bis zur Selbstaufgabe hingegeben hat, das imponierte. Der Mann zog in seinen Bann. Ohne Kompromisse. Eine Live-Eruption. Es war der Beginn einer langen Freundschaft.
Und die hält bis heute an. Es ist eng geworden am Dienstagabend im Frannz Club. Schulter an Schulter drängen sich grau gewordenen Fans vor der kleinen Bühne. Und huldigen einem Star, der in seiner mehr als 50 Jahre währenden Karriere durch Höhen und Tiefen gegangen ist, den Alkohol und Drogen immer ganz nah an den Abgrund gedrängt haben, der tief gefallen und doch immer wieder aufgestanden ist.
Er braucht die Bühne, er braucht das Rampenlicht Zunächst steht Mitch Ryder allein mit Keyboarder „Boddi“ Bodag am Piano auf der Bühne. Und eröffnet mit „I Sing You A Song“, einer geradezu musicalhaften Ballade von schlichter Schönheit. Er trage eine Sonnenbrille, damit ihm keiner in seine Seele blicken könne, singt er da. Und „I sing you a song that might make you happy“. Es ist ein Stück von seiner neuen Platte „Stick This In Your Ears“, wieder eingespielt mit den Musikern der Berliner Bluesband Engerling, die ihn seit gut zwei Dekaden auch auf seinen jährlichen Frühjahrstourneen in Europa begleitet.
Nun erscheinen auch die anderen Musiker, die Gitarristen Heiner Witte und „Pitti“ Piatkowski, Bassist Manne Pokrandt und – hinter einer Plexiglaswand – Schlagzeuger Hannes Schulze. Allesamt versierte Instrumentalisten, die dem Grandseigneur unter den Rock-Shoutern in exzellentem Sound den Rücken stärken. Und der Soultrain kommt auf Touren. Mitch Ryder steht an der Rampe und singt sich beseelt durch ein schier unerschöpfliches Repertoire. „Ihr wisst vielleicht, dass ich neulich Geburtstag hatte“, sagt er zur Begrüßung. Am vergangenen Sonntag ist er 72 Jahre alt geworden.
Aber nein, das mache ihm nichts aus. „I feel good, I feel blessed“, sagt er und dankt allen für ihr Kommen. Er braucht die Bühne, er braucht das Rampenlicht, er braucht das Publikum. 1968 durfte er nach Memphis, um dort ein Album mit Booker T. & The MG’s einzuspielen, erzählt er. Eine große Ehre sei das gewesen. Und sie spielen daraus die furiose Funknummer „Liberty“.
Einige weitere Stücke vom neuen Album gibt es. Und natürlich auch einige alte Hits wie „Ain’t Nobody White (Can Sing The Blues)“. Oder „Jenny Take A Ride“, da sei er 19 Jahre alt gewesen, als er das aufgenommen habe. Es wurde sein erster Hit. Immer streuen sie auch klug arrangierte Coverversionen ein. Otis Reddings „Try A Little Tenderness“ beispielsweise oder Bob Dylans „From A Buick 6“ oder eine umwerfende Version von „All Along The Watchtower“, das er dylanesk singt, während die Band die Hendrix-Version intoniert. Ein Mann wie ein Fels. Seine aufwühlende Baritonstimme mit dem immer wieder um die Ecke kommenden Vibrato ist kräftig bis zum sparsam gesetzten Aufschrei. Nach nahezu zwei Stunden Spielzeit beschwört Mitch Ryder noch den Geist von Jim Morrison mit einer gut 20-minütigen Version von „Soul Kitchen“ als allerletzte Zugabe. Der Applaus ist so hingebungsvoll wie ohrenbetäubend. „See you next year“, ruft er ins Publikum. Und schickt ein „hopefully“ hinterher.