„Uns geht ganz schön die Muffe!“ Rappelvoll ist am Freitagabend die Parkbühne Geyserhaus, über die Sitzplätze bis zum Eingang herrscht dichtes Gedränge, draußen bevölkert man die Wiesen. Dennoch ist die Aufregung, die Schauspieler, Gitarrist und Sänger Alexander Scheer anfangs erwähnt, nicht primär der Kulisse geschuldet.
Die meisten Versammelten kennen die Fußstapfen Gerhard Gundermanns, sie wissen um die Kraft seiner schnoddrig-poetischen und zeitlosen Lieder, die noch ewig die Nabelschau vieler Singer-Songwriter blamieren wird. Die Erben haben sich als würdig zu erweisen, ein berührender Film macht noch kein Live-Konzert.
Beachtliche Textsicherheit beim Publikum Eröffnet wird mit „Leine los“: „Alle wissen, wo’s langgeht / Aber keiner weiß warum“. Dann geht es zu „Revolution Nr.10“: „Es blasen sich die Mücken auf zu hohlen Elefanten / Die weichen Eier bügeln ihre Haut zu scharfen Kanten / Nur du weißt deinen Preis nicht, stotterst leis’ am Telefon / Nur das und nichts weiter, mein Sohn, ist heut’ schon Revolution.“ Die zauberhafte Liebeserklärung an die „laute Braut“, an die Tochter „Linda“, folgt.
Quer durch alle Altersgruppen herrscht eine beachtliche Textsicherheit – von der „Schwarzen Galeere“ bis zum „Gras“. Wilder Rock ´n´ Roll und eine zarte Intimität. Regisseur Andreas Dresen gibt mit schloßweißem Haar stimmlich und an der Gitarre den unaufgeregten Part, Scheer bringt das Theatrale, das Exaltierte, das „Hier-bin-ich-Leben-nun-bist-du-mein“.
Wie im Film „Gundermann“ ist Scheer ein Ereignis, seine vom Leben gegerbte tiefe Stimme legt neuen Spirit in die guten alten Songs. Selbstbewusst fügt er dem Original schnell mal eine rotzige Nuance bei, gekonnt streut er Coolness und Lässigkeit, beeindruckend rauscht seine Persönlichkeit in den ruhigen Stücken.
Scheer singt Scheer Scheer singt nicht Gundermann, Scheer singt Scheer mit den Liedern Gundermanns. Gut so. Die Band um Keyboarder Jens Quandt, Gitarrist Jürgen Ehle, Bassist Harry Rosswog und Schlagzeuger Nicolai Ziel schenkt einen modernen Sound.
Dresen flankiert mit kleinen Geschichten: „Zwölf Jahre hat man uns erzählt, dass dies niemand sehen will. Die Filmförderung hat gefragt: Gundi? Wer ist das?“ Sofort ergänzt Scheer messerscharf: „Dann hast du gefragt: Und wer ist Toni Erdmann?“
Dresen erzählt, dass die Lieder nun auch im Westen gehört werden, man spielt „Ich hab nix“, erinnert an Rio Reiser – immerhin „der Gundermann des Westens“. Gespielt werden Pankow-Nummern und David Bowies „Heroes“. Ein zauberhafter Abend, anhaltender Beifall und Sternchenaugen.