Alles hat seine Zeit, heißt das neue Album der Puhdys. Die Zeit der Puhdys dauert mittlerweile 36 Jahre und gemessen am neuestem Werk ist sie noch lange nicht vorbei.
Auf der neuen CD geben sich Dieter „Maschine“ Birr, Dieter „Quaster“ Hertrampf, Peter „Eingehängt“ Meyer, Klaus Scharfschwerdt und Peter „Bimbo“ Rasym rockiger und moderner denn je. Gerade vom Mastern in den Düsseldorfer Skyline-Studios zurück (hier wurden auch die Alben der Guano Apes, Paradise Lost und Silbermond gemastert), trifft melodie & rhythmus den Sänger Dieter Birr zum Interview im Franziskaner, dem Stammlokal des m&r – Teams, in Berlin-Friedrichshagen.
Auf dem Cover des neuen Albums „Alles hat seine sieht man deine Kollegen nur von hinten, während du mittig stehend in die Kamera guckst. Soll uns das sagen, dass du Dreh- und Angelpunkt der Band bist, dass mit dir alles steht oder fällt – oder ist das nur eine charmante Idee der Fotografen? Selbst wenn es so wäre, das würden sich meine Bandkollegen kaum bieten lassen. Aber so ist es ja nicht, wir haben eine sehr umfangreiche Fotosession gemacht, die Fotografen haben dabei alles mögliche ausprobiert. Und das Coverfoto ist eins, das uns allen gefiel. Da steckt keine tiefere Bedeutung drin. Und sobald du die CD aufmachst, siehst du auch die anderen von vorn. Es gibt auch ein Foto, auf dem die Kollegen hinter einem leeren Stuhl stehen und ich fehle, mein Platz ist sozusagen leer.
Ein neues Album war ja bereits fürs letzte Jahr, dem 35. Jubiläumsjahr der Puhdys, angekündigt, außerdem sollte eine zweite Weihnachts-CD erscheinen. Eine länger andauernde Krankheit, die Folgen eines Zeckenbisses, hat das aber alles verhindert. Ärgerst du dich darüber sehr? Nein, das hatte mich nicht sonderlich geärgert. Ich bekam von meinem Arzt absolute Ruhe verordnet, sollte meine Nerven schonen und auch nicht kreativ sein, denn das bedeutet ja auch Stress. Am neuen Album habe ich jetzt schließlich ein halbes Jahr gearbeitet, das geht natürlich nicht spurlos vorbei. Insofern hatte ich es genossen, mal eine Weile nichts zu machen. Ich bekam auch volle Unterstützung von meinen Kollegen und vom Management, ich wurde so ziemlich aus allem heraus gehalten. Mittlerweile führe ich auch ein anderes Leben.
Der Song „Mein zweites Leben“ erzählt davon. Inwiefern unterscheidet sich das neue Leben vom ersten?
Ich glaube, man nimmt das Leben bewusster wahr. Ich beobachte mich jetzt viel mehr, achte auf meinen Körper, nehme irgendwelche Alarmsignale viel eher wahr, die man früher nicht wahrnehmen wollte. Ich hatte zu viel geraucht, zu wenig geschlafen, hab nächtelang im Studio gesessen und keinen Sport gemacht. Und nun rauche ich eben nicht mehr und treibe – zumindest ein bisschen – Sport. Was ist für euch überhaupt der Antrieb, eine neue Platte zu machen. Theoretisch könnten euch doch Konzerte mit den alten Hits ausreichen?
Ich stehe nicht so sehr auf Oldiebands, ich meine die, die nichts neues mehr machen. Da sind mir nach wie vor die Stones Vorbild, die trotz ihres hohen Alters neue Platten und Tourneen machen, die sich immer wieder etwas einfallen lassen. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass zu ihnen die Leute in Scharen hinströmen…
Das ist der Antrieb?
Das lässt sich nicht genauer sagen. Der Antrieb ist einfach da. Ich möchte einfach gut sein und das alles halbwegs perfekt ist. Ich meine damit natürlich nicht, dass sich keiner verspielen darf. Aber ich finde, man muss eine Kraft spüren. Und das ist keine Frage des Alters. Diese Kraft entsteht, wenn du überzeugend bist, das spüren die Leute auch.
Andererseits denke ich, ist es normal, wenn es Bands gibt, die nur ihr altes Zeug spielen. Oftmals verhält sich das Publikum neuem Material gegenüber ignorant und will nur die alten Hits. Passiert euch das auch manchmal?
Zum Teil sind diese Leute ja zu verstehen. Wenn ich zu einer von mir geschätzten Band gehe, möchte ich ja auch das hören was ich am besten kenne bzw. gut finde. Aber gut, ich möchte auch neues hören. Wir spielen zum Beispiel „Alt wie ein Baum“ jetzt dreißig Jahre und die Leute rasten da völlig aus. Also spielen wir das, obwohl das aus unserer Sicht gar nicht so ein Highlight ist.
Wie gehst du bei der Arbeit an einem neuen Album heran? Sagst du dem Management, bitte ein viertel Jahr keine Konzerte, ich brauche die Zeit für eine neue Platte? Nein, das ist nicht nötig. Die meisten Konzerte sind ja am Wochenende, so dass in der Woche genügend Zeit bleibt. Bei mir ist es auch so, dass ich lange Autofahrten nutze – hier kann ich sowohl über Texte als auch über die Musik nachdenken. Oder ich höre mir viele CD’s an, Musik inspiriert mich auch sehr zum Schreiben. Und dann sammelst du ein, zwei Jahre – bis du Material für ein neues Album zusammen hast? Nein, Am 3.Januar war unser erster Studiotag und gestern (der 26.7., Anm.d.Red.) sind wir mit dem Mastern fertig geworden. Natürlich haben wir dieses halbe Jahr nicht komplett an der Platte gearbeitet, zwischendurch gab es viele Konzerte und auch freie Tage. Die neuen Songs sind in dieser Zeit entstanden, nur das „Hafenlied“ bildet da eine Ausnahme, das war bereits vor zwei Jahren halbwegs fertig geworden. Wir wollten es damals zur Antikriegsdemo in Berlin, bevor der Irakkrieg losging, bringen, doch da hatten wir es noch nicht wirklich fertig. Seit dem lag es auf Eis.
Und hat aufs neue Album gewartet?
Unser Produzent Andre Kuntze brachte uns auf die Idee. Er fand den Song gut und fragte, was mit dem nun ist. So kam das „Hafenlied“ eben noch zu den anderen Songs, die alle erst in letzter Zeit entstanden sind.
Du schreibst auch für andere Künstler unterschiedlichster Coleur und steuerst Songs für ihre Alben bei. Kannst du dir vorstellen, dass andere auch für euch schreiben?
Klar, ist ja immer wieder vorgekommen. Vielleicht in letzter Zeit nicht mehr so oft, irgendwie geht es mit den eigenen Liedern auch am besten. Aber natürlich würde ich auch andere Lieder singen, wenn sie meinem Geschmack entsprächen. Früher haben wir ja nur nachgesungen. Zuletzt hatten wir eine Tom Petty Nummer auf deutsch gemacht, die wir auch live spielten. Wie muss man sich die Entstehung der Songs vorstellen, zum Beispiel die Texte, wie überlegst du dir, worum es thematisch gehen soll?
Ich kann mir heute schon gar nicht mehr vorstellen, wie die Texte entstanden sind. Texte schreiben ist immer sehr schwierig, viel schwieriger als die Musik – für mich zumindest. Aber wenn erst einmal ein Grundgerüst an Ideen steht, geht es gut voran.
Ja, aber woher nimmst du die Textideen? „Der Traum“ zum Beispiel, der auch musikalisch aus der Art geschlagen ist. Es geht um wirre Träume und Schlaflosigkeit. Bist du schlaflos?
Überhaupt nicht. Als der Song „Segelboot“ entstanden ist, hatte er anfangs einen Zwischenteil, auf dem nun „Der Traum“ basiert. Ich kam mit der Idee zu Hause an und meine Frau meinte, dass es schade wäre, diesen Part nicht für einen weiteren, kompletten Titel zu nutzen. So kam „Segelboot“ zu seinem Gitarrensolo und aus dem Zwischenpart wurde „Der Traum“.
„Der Traum“ betört auch durch einen elfenhaft gesungenen Refrain, der im übrigen in englisch ist. Wer singt da, ist es Jana von Bell Book & Candle?
Ja, das ist sie. Ich bat sie um einen englischen Refrain und es war auch nahe liegend, dass sie ihn singt. Im Winter spielen wir die Weihnachtstour wieder zusammen, da werde ich den Song mit Jana sicher auch live singen. Ja und zum Text: man träumt ja manchmal sinnloses Zeug, ich habe da einfach ein bisschen herum gesponnen.
Und um wen geht es in „Der König“? Um Bush?
„Der König“ ist ein Märchen. Bestehende Ähnlichkeiten sind rein zufällig.
Ein Märchen könnte auch „Klone mich“ sein. Du besingst eine Begegnung mit einem Außerirdischen, der beim Jethro Tull Konzert war und dadurch seinen Rückflug verpasst hat. Du hast jedoch eine Lösung parat und lässt ihn klonen.
Das war der letzte Text, den ich fürs Album geschrieben habe. Ich dachte mir, die Platte ist ziemlich ernst geworden, da könnte etwas lockeres ganz gut passen. Der Song hat keinen tieferen Sinn.
Frühere Puhdys-Texte hatten immer was optimistisches, eine Art Lösungsvorschlag für Probleme. Wenn ich mir aber „Segelboot“ oder „Alles hat seine Zeit“ anhöre, macht das wenig Mut. Sinngemäß sagst du in „Segelboot“, dass jeder selbst auf dem tosenden Meer zurecht kommen muss, und bei „Alles hat seine Zeit“ bleibt unterm Strich, was vorbei ist, ist vorbei, kann man halt nicht ändern. Verstehe ich die Texte falsch? Ansonsten denke ich, so pessimistisch waren die Puhdys noch nie. Resignierst du?
(schmunzelt) Um Gottes Willen, ich resigniere doch nicht. Segeln ist ja grundsätzlich was schönes, genau wie das Leben etwas schönes ist. So sage ich den Song in den Konzerten auch immer an. Aber sicher geht es auch darum, dass man auf sein Leben achten sollte, aufpassen muss, im Leben klar zu kommen. Und bei „Alles hat seine Zeit“ geht es darum, dass sich die Welt permanent verändert. Wenn ich zum Beispiel bedenke, dass ich mal in Jugoslawien am Strand lag, wo nur kurze Zeit später Krieg war … Ich finde, man sollte mit dem Leben klarer umgehen, auch für Dinge dankbar sein, die einem selbstverständlich erscheinen. Obligatorisch singt auch Quaster wieder eine Nummer auf dem Album. „Regen“ heißt das Stück. Wusstest du schon beim Komponieren, dass das der Song für Quaster ist? Und hätte er ihn auch ablehnen können?
Ja mir war das schon beim Schreiben klar. Und Quaster gefiel das Lied auch. Ansonsten hätte er es sicher ablehnen können. Die Geschichte in dem Lied ist ja wirklich wahr. Er hatte seine Frau tatsächlich bei einer Veranstaltung mit einer merkwürdigen Atmosphäre und einem schlechten Wetter kennen gelernt. Daran hatte ich aber beim Schreiben gar nicht gedacht.
Welchen Song hätte Quaster gesungen, wenn es dieser nicht geworden wäre?
Es gibt noch einen weiteren Song, der es nicht aufs Album geschafft hat, weil mir partout kein Text dazu einfiel. Es ist sehr schwierig für Quaster zu schreiben, er hat eine ganz bestimmte Art, zu singen. Ich denke, die Songs, die ich singe, wären für Quaster nicht geeignet. Und ab welchem Stadium im Entstehungsprozess ein Albums holst du dir die Bandkollegen dazu?
Sobald ich denke, in die und die Richtung könnten die Songs gehen. Das ist aber nicht immer einfach, denn manchmal hat nicht jeder die nötige Fantasie dazu. Das ist aber logisch. Wenn ich dir jetzt sage, denk dir mal da und da eine Gitarre dazu, dann kannst du zwar sagen ja, ja, aber wirklich hören tu nur ich sie. Aber so nach und nach werden die Kollegen ins Studio gerufen und das Album eingespielt.
Wenn du solche konkreten Vorstellungen von den Songs hast, also ganz genau weißt, wie was nachher werden und klingen soll, welche Funktion hat dann Produzent Andre Kuntze?
Ich habe die Platte zusammen mit Andre produziert, es ist ja schon seine fünfte Puhdys-Produktion. Und seine Arbeit ist für uns sehr wichtig. Ganz praktisch gesagt, sind durch ihn erst einmal überhaupt alle Sounds abrufbar. Er verfügt über ein entsprechendes Archiv, wenn ich Streicher zusammen mit einer ägyptischen Oboe brauche – Andre kann das realisieren. Und nicht zuletzt nimmt er ja alles auf und bedient die vielen Knöpfe. Außerdem ist er dazu da, alles zu kontrollieren. Wenn ich zum Beispiel singe, kann ich sehr wohl einschätzen, ob das Feeling stimmt, aber manchmal merkt man nicht, ob der Ton tatsächlich hundertprozentig getroffen wurde. Andre achtet sehr auf so etwas und treibt uns gut voran. Es ist wirklich ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
Das Ergebnis ist eine sehr rockige Platte…
Ja, das war mein Anliegen gewesen. Bisher habe ich schon gute Reaktionen bekommen. Ich bin sehr gespannt, was die Leute dazu sagen. In den Konzerten spielten wir ja bereits fünf neue Songs und es ist schön, im Internet zu lesen, was die Fans dazu sagen. Wir haben die fünf Neuen am Stück gespielt, und wenn die Leute dabei nicht einschlafen, ist es doch ein gutes Zeichen… Und wie ist es mit euch? Ich kenne viele Musiker, die an ihren Alben, die schon fertig sind, gern was ändern würden, die theoretisch nie fertig werden und mit dem Ergebnis nie zufrieden sind. Seid ihr zufrieden?
Ich hatte ja wirklich genug Zeit, um an die Songs noch einmal heranzugehen. Speziell beim ersten Song haben wir sehr lange rumgebastelt, die Übergänge usw. Und bis gestern beim Mastern konnte man noch Dinge verändern. Jetzt ist aber alles okay. Und wir sind zufrieden.
Welche Wünsche habt ihr mit „Alles hat seine Zeit“?
(lacht) Na auf jeden Fall die Nummer Eins. Die Wünsche müssen immer höher sein als nachher die Realität. Im Ernst, ich bin von dem Album hundertprozentig überzeugt und wünsche mir, dass es die Leute auch so sehen. Und sie müssen von der Platte erst einmal erfahren. Die Promotion muss also stimmen und natürlich brauchen wir ein bisschen Glück.
Ich finde es erstaunlich, dass du nach so vielen und davon etlichen erfolgreichen Jahren für ein Album so mitfieberst, dass du nicht ein kleines bisschen abgeklärt bist…
Ein neues Album gibt sehr viel Kraft. Du bist doch auch so ein Verrückter und willst immer die beste Zeitschrift machen… Ich denke mal, den meisten Musikern geht es so. Die, die gerne Musik machen, fiebern auch mit, sie sind wie Kinder…
Ich bin mir sicher, dass „Alles hat seine Zeit“ den Leuten gefällt, aber was wäre, wenn die erhoffte Resonanz ausbleiben würde? Würde dich das umhauen?
Umhauen würde mich das nicht, denn das habe ich ja schon mal kennen gelernt. Ich habe ja mehr oder weniger alles erfahren, was man im Musikgeschäft erleben kann. Ich würde damit also umgehen können, auch wenn ich es trotzdem nicht gut finden würde.
Und wie würdest du mit einem maximalen Erfolg umgehen?
Die Frage stellt sich schon eher. Sicher haben wir auch Riesenerfolge erlebt, sind nach wie vor gut im Geschäft. Aber so ein Album mal ein paar Wochen Nummer Eins, das wäre schon Wahnsinn. Ich würde mich dann wie ein Anfänger fühlen, der zum ersten Mal eine Platte gemacht hat.