Immer zum Jahresanfang fliegt Mitch Ryder aus den USA nach Deutschland, um auf Tour zu gehen. Dabei begann die Liebe zum deutschen Publikum mit Pöbeleien vor einer TV-Kamera – 1979 beim „Rockpalast“. Am 26. Februar wird der Musiker 70. Schon Keith Richards von den Stones lobte: „Er ist einer der aufregendsten Sänger, der seit langer Zeit aus der Musikszene aufgetaucht ist.“
MAZ: In wenigen Tagen haben Sie Geburtstag. Warum feiern Sie ihn, wie jedes Jahr, auf Deutschland-Tour?
Mitch Ryder: Am Geburtstag sollte man etwas tun, das man liebt. Es gibt Feiern, bei denen die Verwandten kommen, du die Kerze auspustest, man zusammen isst und alle nach Hause gehen. Das will ich nicht. Bei Konzerten in Deutschland bin ich der, der die Geschenke verteilt – auch am Geburtstag.
Sie wirken sehr zufrieden damit. Dabei sagten Sie mal, Ihr Leben bestünde daraus, andere glücklich zu machen und sich selbst erbärmlich zu fühlen.
Ryder: Das habe ich im Rückblick auf eine andere Zeit gesagt. Auf der Bühne zu stehen ist alles andere als erbärmlich. Es gab schlimme Dinge in meinem Leben, aber ich bin sie losgeworden. Die Zeit und die Umgebung waren schlecht und manchmal hätte ich besser den Mund gehalten.
So wie 1979 – als Sie ein Konzert im „Rockpalast“ gaben und den TV-Moderator Alan Bangs anpöbelten?
Ryder: Die Zeitungsberichte waren schlecht. Ich war betrunken, nur darum ging es in den Artikeln. Aber nach und nach wurde klar, dass wir durch das Konzert viele Fans gewonnen haben. Die Hingabe war einzigartig, es war das perfekte Konzert.
Was haben diese Fans in Ihnen gesehen, einen guten Musiker oder den betrunkenen Griesgram?
Ryder: Für die Fans war ich ein Rebell, junge Menschen lieben Rebellion. Teenager sind überall gleich, ob in den USA oder Deutschland – bloß ohne Waffen. Euer Waffengesetz ist viel besser als unseres.
Wogegen haben Sie rebelliert?
Ryder: In dem „Rockpalast“-Interview kritisierte ich die deutsche Regierung, die ich als sehr konservativ empfand. Es gab so viele Regeln, man fühlte sich wie im Internat. Das versuchte ich zu artikulieren…
…aber das funktionierte nicht so recht…
Ryder: …ich war zu betrunken und beschäftigt damit, die Freundin des Moderators zu belästigen.
Sie waren sehr jung, als Sie berühmt wurden.
Ryder: Ja, heute bin ich ein gereifter Künstler, damals war ich ein Kind. Ich heiratete mit 18 Jahren, die ersten Hits landete ich mit 19. Jeder wollte ein Stück von mir. Interviews, Fotoshootings, Studioaufnahmen und Tourneen – alles kam gleichzeitig. Nach all den Lehrjahren beherrsche ich heute mein Handwerk. Wie ein Zimmermeister, den man gerne bei der Arbeit zuschaut.
Warum reisen Sie tausende Kilometer, um in Neuruppin oder Thyrow aufzutreten?
Ryder: Die Menschen haben nicht so viele Gelegenheiten, solche Musik zu erleben. Die Intimität begeistert mich. Nach den Auftritten applaudieren manche Menschen noch auf dem Weg zum Hotel. Das ist cool und schräg zugleich. Meine Frau hat vor unserer Anreise gesagt, dass die Konzerte in Deutschland so viel intensiver sind – intim und voller Hingabe.
Auch Ihre Band Engerling kommt aus Deutschland. Was haben Sie über unsere Geschichte der Bluesmusik gelernt?
Ryder: Ich habe erfahren, dass es einige Bluesbands in der DDR gab und wie sie an ihre Instrumente gelangt sind. Es gab ja einen Schwarzmarkt, über den die Musiker ihre Technik ins Land schafften. Der Blues brachte ihnen ein Gefühl der Freiheit. Die Regierung verhielt sich wie eine Mutter, die dem Kind verbietet, die Kekse zu essen. Und natürlich sagten sie sich, dann will ich’s erst recht.
Sie haben Legenden wie James Brown oder Bruce Springsteen getroffen. Was ist schöner – ihre Songs zu spielen oder selbst gecovert zu werden?
Ryder: Das nimmt sich nichts. Als ich einen Gastauftritt bei Bruce Springsteen hatte, vergas ich allerdings, dass seine Band nicht meine ist. Es war eine riesige Arena, ich drehte mich zu den Musikern und gab ihnen Zeichen, was sie zu tun hatten. Das war komisch für sie, denn Bruce war ihr Boss. Das fiel mir auf und ich konzentrierte mich wieder auf den Gesang.