Hundekomödie

Wochenpost

WP: Ihr macht Kunst. Welches Selbstverständnis, welchen Anspruch verbindet Ihr damit in Zeiten wie diesen?[1991!]

Wenzel: Da hat sich so sehr viel gar nicht geändert. Es geht noch immer oder wieder darum, bestimmte gesellschaftliche Erscheinungen durchsichtig zu machen, die Schleier der Lüge von der Realität zu ziehen. Zwar sind die Techniken der Verschleierung andere geworden, aber der Vorgang als solcher blieb. Neu allerdings ist, daß die pauschale Politisierung jeder Äußerung selbst die Erklärung, unpolitisch zu sein, war ja in der DDR-Gesellschaft ein politisches Statement wegfiel. Das Politische sieht sich heute in den Bereich der Berufspolitiker abgedrängt. Für eine Kunst wie die unsere, die sich immer als politische Kunst verstanden wissen wollte, entstand damit natürlich irgendwo schon ein Problem, agieren wir doch nun in einem Zusammenhang, der Kunst als politisches Sprachrohr nicht mehr unbedingt braucht. Es geht also heute gar nicht mehr so sehr um das Politische als vielmehr um eine Kunst, die sich weigert, die Realitätsbezüge aufzugeben.

WP: In Eurer „Hundekomödie“ gibt es den bösen Satz: „Wer denkt, hat schon verloren…“

Mensching: Ich sehe den Satz gar nicht so negativ oder pessimistisch. Für mich ist es auch ein Vorteil, nicht zu gewinnen, nicht auf der Siegerseite zu stehen. Natürlich meint diese Liedzeile die Situation der oppositionellen Künstler und Intellektuellen, die mit ihren Vorstellungen, mit ihren Illusionen und Träumen nicht viel erreicht haben, als diese beiden deutschen Staaten zusammengeführt wurden. Es liegt darin aber auch das Fazit aus der Betrachtung eines größeren historischen Zeitraums: Welche Kräfte haben denn jetzt in Europa, auf der Welt die Oberhand gewonnen? Das sind eben die pragmatischen Kräfte, die Bürokraten und Technokraten. Selbst so ein Mann wie Gorbatschow, der ja mit einem ausgesprochenen Problembewußtsein angetreten war, wird immer mehr in die Defensive gedrängt, auf das technokratisch Machbare reduziert. Es sind überall die sogenannten Realpolitiker, die das Sagen haben, und nicht die Träumer. Die Träumer das sind nicht bloß Spinner oder so; ihre Visionen nehmen doch die unabgegoltenen Ansprüche der Menschheit auf. Und deshalb muß ich für mich zumindest sagen: Bei diesem Siegeszug will ich gar nicht mitmachen. Lieber stehe ich auf der sogenannten Verliererseite, als bei diesem Wahnsinn von Macht- und Geldanhäufung mitzuspielen.

Wenzel: Natürlich beweist die Geschichte immer wieder, daß Versuche, gesellschaftliche Entwicklung auf der Basis der Vernunft zu steuern, grundsätzlich versagt, keine abrechenbaren Ergebnisse gezeitigt haben. Dennoch haben diese Versuche, die unvernünftigen Gesellschaften ein Stück vernünftiger werden lassen, der Unvernunft wenigstens Grenzen gesetzt. Und daraus leitet sich auch unser Anspruch als Künstler ab. Überraschenderweise, muß ich sagen, sind wir damit bei unserem Publikum auf große Resonanz gestoßen. Es gibt einen enormen Zuwachs an Bereitschaft, sich geistig auseinanderzusetzen, eine Radikalisierung des Denkens, wie sie nur aus wirklicher Not kommen kann. Das hängt sicher auch damit zusammen, daß erst jetzt deutlich wird: Früher war keine Not, sondern Enge. Wir haben das Gefühl, daß das jetzt wie ein großes Aufbäumen ist gegen einen gesellschaftlichen Zustand, den so doch keiner gewollt hat. Vielleicht auch ein letztes Aufbäumen, bevor man sich endgültig geschlagen gibt. Ich weiß es nicht.

WP: Ist eine Kunst wie die Eure dann nicht doch nur intellektuelle Seelenmassage?

Wenzel: Ich glaube, dazu sind unsere Produkte einfach nicht glatt und eingängig genug. Die Eindeutigkeit, die man früher von uns verlangt hat und die wir nicht liefern konnten, weil sie falsch gewesen wäre, diese Eindeutigkeit können wir aus den gleichen Gründen auch jetzt nicht bieten. Die alte Zeit zu verklären, wäre natürlich ein furchtbarer Trugschluß und eine Riesengefahr. Ich denke, man muß die eigene Situation und das eigene Land neu entdecken. Dabei auch geistig den Sprung schaffen über dieses Deutschland hinaus, damit man hier bleiben kann, damit man das aushält. Wir werden doch in Deutschland die Widersprüche dieser Erde wie unter einem Brennglas direkt vor der Nase haben. Das ist absehbar: Die Flüchtlinge, der Ost-West-Konflikt, der nun zum Konflikt zwischen arm und reich wird. Und entweder sind wir in der Lage, sie auch mit dem Blick auf die Welt zu betrachten, oder wir werden uns eben nur um uns selber kümmern und das Feld völlig diesen Zombies der Regierung überlassen. Schon der Selbsterhaltungstrieb gebietet, das nicht zuzulassen. Vor diesem Hintergrund kann Kunst vielleicht doch ein bißchen von der Kraft vermitteln, die notwendig ist, um sich demgegenüber zu behaupten, und die die Leute selbst nicht mehr aufbringen, will sie wissen, sie haben sich selber beschissen.

WP: Das allerdings setzt Bedingungen voraus, die solche Kunst möglich machen. Findet Ihr die denn auch, wo doch rundum die kulturelle Infrastruktur wegbricht?

Wenzel: Wir haben da im Moment eine gewisse Sonderstellung, weil wir halt die Häuser füllen. Wir spielen viel in Theatern, die uns früher nie in ihre Räume lassen wollten. Aber ansonsten ist es schon so, daß alles wegbricht. Was übrigbleibt an Klubs und Kulturhäusern, lebt dann von so einem lustigen Schmuddelgehabe, in das wir uns nicht stellen lassen wollen. Aber selbst an den Theatern machen wir hin und wieder die Erfahrung, daß die ökonomischen Direktoren, inzwischen fast überall Leute aus dem Westen, uns regelrecht boykottieren. Da bleiben Verträge liegen, oder Plakate werden nicht ausgehängt.

Mensching: Es gibt einen Angriff auf die Kultur, das ist nicht zu übersehen. Natürlich, Kolonialherren haben immer als erstes die Zauberer, die Medizinmänner eliminiert oder gekauft. Ökonomisch-politisch ist das Ding gelaufen; was noch blieb, das ist entweder die geschriebene Kultur, also Kunst, Literatur, Musik usw., oder die Alltagskultur. Und das wird sehr stark angegriffen zur Zeit, ganz bewußt, damit auch die Identifizierungspunkte für die Leute verschwinden.

Wenzel: Darüber zu jammern, bringt natürlich nicht viel, wie man sich als Ostler, glaube ich, überhaupt abgewöhnen muß, hinter allem das Konzept von irgend jemandem zu sehen, den man dann als gut oder böse beurteilt. Das wußte ja nun schon Karl Marx, daß dieses Kapital wie eine Maschine arbeitet, eine perfekt funktionierende Maschine im guten wie im schlechten Sinne, und der kann man einfach nicht moralisch kommen. Wer einer Maschine moralisch begegnet, der ist von vornherein unterlegen. Es liegt einfach in der Logik der ökonomischen Strukturierung dieser Maschine, daß das, nennen wir es: „kulturelle Gehabe“ der Ostdeutschen irgendwo gebremst werden muß; es stört, wenn eine Gesellschaft auf Effektivität aus ist.

WP: Nun geht ja eine kulturelle Prägung sehr tief. Mit der Streichung von Subventionen oder durch das Plattwalzen der Reste kultureller Infrastruktur ist sie nicht zum Verschwinden zu bringen. Wie also damit umgehen?

Mensching: Wir DDR-Bürger sind natürlich noch absonderlicher, noch absurder dran als etwa die Polen oder die Ungarn. Früher waren wir nur DDR-Bürger und durften nicht Deutsche sein; und heute dürfen wir nur noch Deutsche und nie DDR-Bürger gewesen sein. Diese doppelte Verdrehung macht es natürlich besonders schwer. Wir waren vorher nichts Ganzes und nichts Halbes, und wir sind es heute wieder nicht. Die Arbeit, die jetzt erst einmal zu leisten ist, gilt der Antwort auf die Frage: Wer sind wir denn eigentlich?

Wenzel: Man muß dafür Bilder finden, eine Sprache finden. Die „Hundekomödie“ war für uns so eine Umbruchsarbeit. Für uns war es die Spurensuche nach dem Verlassen der DDR. Man mußte mit sich selber brechen und gleichzeitig alle diese Bruchpunkte darstellen, also auch das eigene Verwickeltsein, und mußte dieses Verwickeltsein ironisieren. Seinen eigenen Widerstand ironisieren. Das heißt, wir mußten zu allem Abstand schaffen, Distanz, auch zu uns selbst, damit das überhaupt noch spielbar bleibt. Wir mußten eine Komik von Szenen entwickeln, die es in dieser Form in der Kleinkunst noch nicht gab. Wenn Du Dich erinnerst, diese Pinkelszene, wo einer in seiner Not versucht, irgendwo hinzugehen und keine Lösung findet. Jeder kennt ja die Erfahrung, wenn man in einer fremden Stadt nach einer Toilette sucht, und es ist einfach keine aufzutreiben, was für ein furchtbares Leiden das sein kann. Das ist übersetzbar bis in philosophische Dimensionen, und doch auf ganz niederer Ebene und voller Komik.

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