In den vergangenen Wochen ist der Regisseur Andreas Dresen viel herumgekommen: Erst war er in Oslo, um seinen Film `Wolke 9´ zu begleiten, der kürzlich in die norwegischen Kinos kam. Dann machte er ein paar Tage Station in Berlin, und anschließend flog er für drei Wochen nach Chile: endlich Urlaub. Beim Gespräch zu seinem neuesten Film `Whiskey mit Wodka´ in einem Hotel am Potsdamer Platz ist er ebenso freundlich wie verbindlich. Dresen genießt den unerschütterlichen Ruf, ein `Guter´ zu sein. Dass er das gar nicht immer sein will, offenbart er im Gespräch.
Herr Dresen, wenn wir jetzt etwas Hochprozentiges trinken wollten, was wäre Ihnen lieber: Whisky? Oder Wodka?
Bei mir ist das stimmungsabhängig, ich trinke beides gern. Manchmal ist ein Whisky schöner, um runterzukommen, beispielsweise nach langen Dreharbeiten. Wenn ich nach den Nachtschichten für meinen Film „Nachtgestalten“ morgens um acht Uhr zu Hause war, nach vierzehn, fünfzehn Stunden Arbeit, fühlte ich mich total breit, aber auch überdreht. In so einem Zustand kann man nicht schlafen. Da hab ich mich gern mal mit einem Whisky ans Fenster gesetzt und zugeschaut, wie die Leute zur Arbeit gingen. Bei Festen und auf Reisen trinke ich dagegen gern mal einen Wodka. Weil man davon keinen dicken Kopf kriegt. Wozu brauchen die Menschen überhaupt Betäubungsmittel? Betäubung sieht für jeden anders aus, es muss ja nicht zwingend Alkohol sein. Die Zeiten sind wohl so, dass es schwer ist zurechtzukommen. Das merke ich an mir selbst. Alles wird immer schneller. Man beherrscht die Kommunikationsmittel kaum noch, weil sie einen permanent überfordern. Die neue Technik, die angeblich helfen soll, stellt in Wahrheit nur immer wieder neue Aufgaben. Die Reisegeschwindigkeiten haben extrem zugenommen. Ich glaube, dass Menschen für dieses Lebenstempo nicht gemacht sind. Deswegen muss sich jeder Inseln schaffen, um dieser Atemlosigkeit von Zeit zu Zeit zu entfliehen, in der Partnerschaft, der Familie oder auf andere Art. Wohin es führt, wenn man es nicht tut, sieht man in „Whisky mit Wodka“ an dem saufenden Otto Kullberg.
Heute ist viel vom Koma-Saufen der Kinder die Rede. Was ist los mit der Gesellschaft, wenn sich die junge Generation um den Verstand trinkt?
Natürlich besaufen sich nicht alle Kinder oder Jugendliche. Ich kenne viele, die das nicht machen, sondern sehr ernsthaft ihren Weg in der Welt zu finden suchen. Aber viele sind dem Leistungsdruck auch nicht gewachsen, sie reagieren sich durch Saufen ab. Letztlich ist das aber auch etwas sehr Pubertäres. Wir haben das als Jugendliche auch gemacht. Wenn ich an meinen Abschlussball in der Tanzschule denke, da habe ich mich mit Dessertweinen zugekippt und konnte kaum noch nach Hause laufen. Jugendliche neigen dazu, Grenzen auszuloten. Und sind unvernünftig genug, die Gefahren nicht zu sehen. Je größer der Leistungsdruck, desto größer wohl auch das Bedürfnis, ihm zu entfliehen.
In `Whisky mit Wodka´ geht es nicht nur um Süchte, sondern auch um Ängste: Angst vor dem Altwerden, vor Einsamkeit, vorm Versagen, vor der Konkurrenz. Sind das die Dinge, die einen umtreiben, wenn man wie Sie langsam auf die 50 zugeht?
Das sind Dinge, die alle Menschen umtreiben, gleich welchen Alters. Sie werden einem nur stärker bewusst, wenn man älter wird. Weil man plötzlich anfängt, darüber nachzudenken, wie das sein könnte, wenn man dann nicht mehr arbeitet. Man fragt sich: Ist da ein Mensch, mit dem man Zeit verbringen kann? Jemand, der dann für einen da ist, für den man da sein kann. Das ist eine existenzielle Frage. Wir werden ja permanent gezwungen zu funktionieren. Wir müssen im Laufrad, in dem wir uns bewegen, die Geschwindigkeit halten, sonst fliegen wir raus. Der Kullberg in unserem Film funktioniert mal nicht – schwupp, kommt ein anderer. Das ist eine schmerzhafte Erfahrung, aber natürlich ist jeder ersetzbar. Man hört es nur nicht gern. Aber man muss sich damit auseinandersetzen, wie es einem wohl geht, wenn man die Berufsmühle verlässt. Da braucht man andere Werte, die einen halten.
Welche Werte sind das für Sie?
Freundschaft. Liebe zu einem Partner. Ich verbringe mit meiner Freundin viel Zeit. Da reden wir meist nicht über Film, sondern über ganz andere Dinge. Meine Freundin ist Lehrerin für Deutsch und Musik; sie bewegt sich in einem anderen Bereich als ich. Bei ihr geht es, wenn man das so sagen möchte, um die reale Welt. In der Filmwelt beschäftigt man sich viel mit Masken und Verkleidungen. Mit spielerischen Dingen, die viel Spaß bereiten, aber eben nicht mein gesamtes Leben ausmachen. Die Filmarbeit ist nur ein Teil von diesem Leben, zugegebenermaßen ein sehr wichtiger. Aber das andere ist vielleicht sogar wesentlicher.
`Whisky mit Wodka´ ist dem Regisseur Frank Beyer gewidmet. Wolfgang Kohlhaase hat das Drehbuch geschrieben. Warum bedeuten Ihnen diese beiden so viel?
Ich könnte da noch Konrad Wolf nennen, Günter Reisch, auch Roland Gräf oder ein paar andere. Das sind Leute, die das ostdeutsche, ja osteuropäische Kino maßgeblich geprägt haben. Für mich sind das Helden meiner Jugendzeit, als ich meine ersten tollen Kinoerlebnisse hatte. Als ich zum ersten Mal `Jakob der Lügner´ sah, den Defa-Film von Frank Beyer, hat mich das umgeworfen. Und natürlich kann ich mich daran erinnern, als ich Konrad Wolfs `Ich war neunzehn´ sah. Und `Solo Sunny´! Das war in Schwerin im `Capitol´. Das waren maßgebliche Erfahrungen, und es war faszinierend, einige dieser Menschen später auch persönlich kennenzulernen. Frank Beyer war ein durch und durch aufrechter Mensch; zu Defa-Zeiten ist er daran fast zerbrochen, kurz vor seinem Tod dann wieder. Als er beerdigt wurde, ging es mir nicht gut. Weil ich mich fragte: Wie viele Menschen dieser Art gibt es noch, die eine Haltung haben? Und da auch nicht einknicken. Frank Beyer war für mich eine Art moralischer Kompass. Er hat immer versucht, integer zu handeln. Ob das in jedem Moment gelungen ist – wer will das beurteilen? Das gelingt niemandem. Aber Beyer hat es in maßgeblichen Momenten geschafft, und das ist wesentlich. In der Zeit nach 1990 haben es gleich zwei ostdeutsche Generationen Filmemacher, die ältere und mittlere, nicht geschafft, beruflich Anschluss zu halten? Woran lag das?
Als die beiden deutschen Filmkulturen aufeinanderprallten, war die des Westens im Osten viel stärker bekannt als umgekehrt. Die Produzenten oder auch Fernsehredakteure, also die maßgeblichen Leute in der westdeutschen Branche, kannten kaum ostdeutsche Regisseure, die bei der Defa oder beim DDR-Fernsehen Filme gemacht hatten. Bei dem Tempo des Vereinigungsprozesses wollten oder konnten sie auch nicht so schnell herausfinden, wer da integer war und wer nicht, wer vielleicht Dreck am Stecken hatte oder einfach nur angepasst war – davon abgesehen, hätte das im Westen so auch passieren können. Diese Produzenten und Redakteure haben dann lieber auf die jüngere Generation ostdeutscher Filmemacher zurückgegriffen, also meine. Wir erschienen `unbelastet´.
Sie werden allgemein als „Ost-Regisseur“ geführt …… wobei es interessanterweise keine West-Regisseure gibt. Es gibt nur Regisseure und Ost-Regisseure. `Ost-Regisseur´ ist ja nicht nur eine Schublade, sondern meint auch, dass an Ihrer Arbeit und Erzählweise etwas Besonderes ist. Was ist das?
Da müsste man jene fragen, die mich so einordnen.
Ihre Filme erzählen von Obdachlosen, Imbissverkäufern, Arbeitslosen, Alten, jetzt einem Alkoholiker. Worauf achten Sie?
Ich versuche Figuren grundsätzlich nicht preiszugeben. Egal was sie tun. Ich stecke sie nicht in Schubladen. Die Hollywood-Klischees sagen uns ja immer: Da gibt es den Helden und seinen Gegenspieler. Dann prallen beide aufeinander innerhalb einer Dramaturgie, die in drei Abschnitten verläuft. Mit den entsprechenden Umschlagpunkten, die in der Geschichte deutlich kenntlich sind. Das macht diese Filme für mich extrem langweilig, weil sie so vorhersehbar sind. Was nicht heißt, dass nicht auch in Hollywood großartige Filme gedreht werden. Bei mir wird man weder einen strahlenden Helden noch einen üblen Bösewicht finden. ln `Whisky mit Wodka´ gibt es nicht einen einzigen Sympathieträger. Alle Figuren haben einen Knacks. Jeder läuft mit Lebenslügen und Kompromissen herum, und sie benehmen sich manchmal wie Schweine. Und trotzdem versuche ich, sie zu verstehen. Weil ich manchmal auch so bin. Jeder macht Fehler, irrt herum. Viele denken, ich habe meinen Platz noch nicht gefunden – und schon ist das Leben vorbei.
Sie wirken immer so verständnisvoll …
Das hat mit einem grundsätzlichen Humanismus zu tun, mit dem ich aufgewachsen bin. Komischerweise hatte ja der Osten auch was Religiöses. Christliche und sozialistische Werte sind sich ja nicht unähnlich. Obwohl ich Atheist bin, empfinde ich heute eine große Nähe zur Kirche, weniger zur Institution als zum Glauben.
Ein Kollege hat mal über Sie gesagt, der Dresen ist ein Christenkommunist.
Vielleicht stimmt das. Unbeabsichtigt hat uns der Osten dazu gemacht. Er hat uns diese Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach dem Guten eingepflanzt. Das ist zwar schön, aber manchmal auch etwas naiv. Das ärgert mich manchmal auch an mir – dass meinen Geschichten ein bisschen die Bosheit abgeht. Einen Kinoerzähler wie Luis Buñuel finde ich großartig, weil er sich von allen möglichen Konstellationen immer die allergemeinste raussucht. Und er wählt auch immer das allergemeinste Ende. Und dennoch sind seine Filme tief und wahrhaftig. Sie spiegeln den Zustand unserer Welt. Ich wünschte, ich könnte so erzählen. Dem steht meine Herkunft ein wenig im Weg. Aber ich versuche zu lernen.
Erkennen Sie noch Unterschiede, wenn Sie mit Schauspielern aus dem Osten oder Westen arbeiten?
Es gibt keinen pauschalen Unterschied. Ich besetze kunterbunt. Bei mir spielen Westschauspieler Ossis und umgekehrt. Ich versuche Leute zu finden, denen ich mich nahe fühle, und zwar sowohl vor als auch hinter der Kamera. Das macht an keiner Grenze halt. Da man bei einem Film nie weiß, wie er am Schluss wird, versuche ich mir die Herstellungszeit so angenehm wie möglich zu machen, indem ich sie mit Leuten verbringe, von denen ich denke, wir können uns gegenseitig etwas geben.
Als Ihr Vater, der Theaterregisseur Adolf Dresen, fast so alt war, wie Sie heute sind, hat er die DDR verlassen. Was haben Sie damals empfunden?
Mein Vater ist 1977, nach der Biermann-Ausbürgerung, in den Westen gegangen. Ich war damals vierzehn. Meine Eltern lebten schon lange nicht mehr zusammen, mein Vater war in Berlin, ich mit meiner Mutter Barbara Bachmann und Christoph Schroth in Schwerin. Trotzdem sah ich meinen Vater regelmäßig, wir hatten alle guten Kontakt zueinander. Plötzlich konnte ich ihm nun nicht mehr begegnen. Ich erinnere mich an den Moment, als mir meine Mutter sagte, dass er in den Westen geht. Das habe ich als ganz großen Verlust empfunden. Er hatte mir damals ein Kassettenradio geschenkt, und ich fühlte mich bestochen, obwohl das sehr ungerecht war. Erst im Laufe der Jahre legte sich mein Gefühl, allein gelassen worden zu sein. Mein Vater hatte einen DDR-Pass mit ständigem Visum, bis zum Schluss. Er war sogar in Frankfurt am Main Theaterintendant, in einer CDU-regierten Stadt, als DDR-Bürger – das war schon paradox.
Sahen Sie ihn noch ab und zu?
Hin und wieder kam er nach Berlin, um sein Visum verlängern zu lassen. Da habe ich ihn getroffen. Mit einer entscheidenden Unterbrechung während meiner Armeezeit, ich durfte ihm nicht schreiben und er durfte es auch nicht, Westpost in die Kasernen war unmöglich. Meine Mutter schickte ihm aber ein Foto, auf dem ich total verdreckt vor einem Panzer stehe. Mein Vater hat das in seiner Wohnung in Hamburg an die Wand gehängt. Er dachte, wenn die jetzt mit dem Panzer losfahren würden, würde ich vermutlich auf ihn schießen …
Neben Ihrer Filmarbeit haben Sie auch Schauspiele und Opern inszeniert. Hofften Sie dabei auf Kommunikationsfeste?
Ich wünschte es mir sehr. Ich liebe Theater und finde es schade, dass es sich oft nur noch selbstreflexiv verhält. Dass sich eine Regie nur noch absetzen muss von anderen Theatermachern. Ich kann verstehen, dass man versucht, sich in seinem künstlerischen Profil abzugrenzen und zu profilieren, auch Theatermacher müssen sich heutzutage einen so genannten Marktwert erkämpfen, das macht man durch eine signifikante Handschrift. Dem Kommunikationsprozess mit dem Zuschauer ist das nicht immer zuträglich. Plötzlich kreist Theater nur noch um die Kunst und kaum mehr um die Reflexion der Gesellschaft. Manchmal sehe ich aber auch wunderbare Aufführungen, wenngleich viel zu selten.
Ist das im deutschen Kino anders?
Nein. Wobei ich fairerweise sagen muss, dass das Theater und auch manche Filme zu DDR-Zeiten davon lebten, dass der Zuschauer zwischen den Zeilen las. Die subversiven Momente wurden stark wahrgenommen. Wichtige Inszenierungen, gerade auch von Klassikern, erzählten ja immer auch über die Gegenwart. Ulrich Plenzdorf hat das mal sehr schön beschrieben; er sagte: `Die Leute waren gewöhnt, dass das häufige Auftauchen von Reisrezepten im Neuen Deutschland bedeutete, dass es Schwierigkeiten in der Kartoffelversorgung gab.´ Das war im DDR-Theater nicht anders. Wenn Mephisto in Auerbachs Keller von Spanien schwärmte und die vier Schauspieler stöhnten alle verzückt auf: `Spanien!´, dann wusste der Saal, was gemeint ist. Dieses Decodieren ist heute nicht mehr nötig. Jeder kann alles sagen. Das führt natürlich zu einer gewissen Beliebigkeit. Kunst hat unter den Bedingungen einer Diktatur eine andere Brisanz. In einem Land, in dem keine Meinungsfreiheit herrscht, besetzt die Kunst diese Lücke. Dadurch wird sie existenziell.
Apropos: alles sagen können. Was sagen die Medien nicht über die DDR?
Ich finde, viele Geschichten über Ost und West wurden in irgendeiner Form schon erzählt. Zugleich bemerke ich aber auch, dass eine differenzierte Sicht oft sehr schwer zu vermitteln ist. Welche Zwischentöne das Leben in der DDR ausgemacht haben. Nur ein Beispiel: Als mein Vater wegen einer Verlängerung seines Passes in der DDR war, hatte er ein Gespräch mit dem Kulturminister Hoffmann. Das war Anfang der 1980er, in der Zeit der Hochrüstung. Mein Vater hatte in Frankfurt am Main an einer Diskussion in der Paulskirche teilgenommen und bekam von Hoffmann eine Abreibung, dass er sich dort als DDR-Bürger auch gegen die Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen ausgesprochen hatte. Während der Kulturminister meinen Vater im Gespräch zur Sau machte, schob er ihm über den Tisch den Spitzelbericht rüber, wo im Klartext stand, wer ihn in der Paulskirche beschattet hatte. Für die Mikrofone in seinem Büro hielt Hoffmann die Standpauke – in Wirklichkeit gab er meinem Vater zu verstehen, vor wem er vorsichtig sein sollte. Das ist eine irrsinnige Situation. Momente, in denen Leute zwischen die Fronten gerieten und versuchten, anständig zu bleiben, gibt es viele.
Warum ist es heute so schwer, solche Zwischentöne verständlich zu machen?
Geschichten mit einem schlichten Gut- und Böse-Schema sind wirkungsvoller, leichter konsumierbar. Natürlich ist es einfacher zu sagen, es gab auf der einen Seite die Funktionäre, die Betonköpfe, und auf der anderen Seite jene, die sich immer dagegen aufgelehnt haben. In Wirklichkeit waren die Grenzen ja oft fließend. Viele aus meinem Freundeskreis sind gerade deswegen in die SED eingetreten, weil sie der Meinung waren, sie könnten innerhalb der Partei besser zur Veränderung beitragen. Auch ich dachte durchaus darüber nach, in die SED zu gehen. Dann hörte ich, wie man sich auf den Parteiversammlungen den Hintern breit saß und auf eine Parteidisziplin eingeschworen wurde, nach der man diesen ganzen Unfug mittragen musste. Das wollte ich nicht. Aber es sind ja ganz komplizierte Konfliktfelder, die gerade jene betreffen, die nach Wegen der Veränderung suchten. Zum Beispiel Lothar Bisky, in den späten 1980ern Rektor der Filmhochschule Babelsberg: Er ist für mich ein ganz wichtiger Mensch. Er machte für uns sehr viel möglich. Und er war, glaube ich, der einzige Rektor einer DDR-Schule, der noch vor der Wende vor versammelter Studentenschaft die Vertrauensfrage stellte. Das war ein Moment, der mich zu Tränen rührte, denn ich erlebte zum ersten Mal handfest Demokratie. Als Bisky vor ein paar Jahren nicht zum Vizepräsidenten des Bundestages gewählt wurde, regte ich mich fürchterlich auf. Die Leute, die ihn ablehnten, werden noch an den Klischees ersticken, die sie im Kopf haben.
Mit welchem Zweck sollte überhaupt noch über die DDR erzählt werden?
Um daraus Erfahrungen für die heutige Zeit zu filtern. Mir liegt nichts an einer musealen Annäherung an die Geschichte, und schon gar nichts daran, Witzchen über ein abgeschlossenes Sammelgebiet zu machen. Die DDR-Vergangenheit sollte als eine Art Gleichnis betrachtet werden. Es sind übrigens keineswegs nur die Westdeutschen, die diese vierzig Jahre DDR nicht als Teil ihrer eigenen Geschichte anerkennen. Auch bei Ostdeutschen beschleicht mich oft das Gefühl, dass sie diese Zeit lieber nicht so nahe an sich heranlassen. Sie gehen den damit verbundenen Schmerzen lieber aus dem Weg. Ich habe dreimal versucht, in Filmen über die DDR zu erzählen, und jedes Mal musste ich die Erfahrung machen, dass die Zuschauer wegblieben. Was nicht bedeutet, dass ich es nicht wieder versuche.
Gibt es bereits konkrete Pläne?
Die DDR war ein widersprüchliches Gebilde, in dem sich Menschen auch höchst widersprüchlich verhalten haben. Ich würde gern eine Geschichte erzählen, die exemplarisch ist. Laila Stieler und ich fangen gerade an, darüber nachzudenken, einen Spielfilm über Gerhard Gundermann zu machen. Er trug unheimlich viel von dieser DDR in sich. Er war ein wunderbarer Poet und saß leidenschaftlich gern auf seinem Bagger, bis weit über die Wendezeit hinaus. Er brauchte diese Erdung für seine Kunst. Und am Abend führte er auf der Bühne ein zweites Leben. Als Genosse trat er nervenaufreibend für Verbesserungen in tausend Dingen ein, dann setzte er sich hin und schrieb mit derselben Selbstverständlichkeit Berichte für die Stasi. Später wurde es denen zu bunt: Für Gundermanns Verbesserungsvorschläge fühlte sich die Stasi nicht zuständig. Nun wurde er vom Täter zum Opfer, wurde selbst beobachtet. Anhand so vieler interessanter Momente hoffen wir darüber reflektieren zu können, was das Leben in der DDR ausmachte. Und was Leben überhaupt ausmacht. Nämlich Kampf und Kompromiss. Wie weit ich den Kompromiss gehen kann und wo ich weiter kämpfen muss, wenn ich moralisch aufrecht bleiben will.
Sie haben für Ihre Filme viele Preise bekommen, 2007 auch das Bundesverdienstkreuz. Sind Sie angekommen in Deutschland?
Der Brief vom Bundespräsidialamt lag in meiner Post zwischen all den Rechnungen, und als ich ihn öffnete, musste ich erst einmal tief Luft holen. Wenn man im Osten groß geworden ist, hat man ja mit Orden so seine Bauchschmerzen. War das jetzt ein Zeichen von endgültiger Anpassung? Hatte ich die Schnauze nicht weit genug aufgerissen? – Irgendwann beschloss ich, mich einfach darüber zu freuen. Es ist die Anerkennung meiner Arbeit. Später steckte ich das Verdienstkreuz in die Schublade, in dem schon die Medaille für Verdienste im künstlerischen Volksschaffen und die Urkunden für gutes Lernen in der sozialistischen Schule liegen.