Die Berliner Zeitung sprach mit Reinhard Lakomy anläßlich seines Albums „Die 6-Uhr-13-Bahn“
BZ: Warum melden Sie sich nach so langer Zeit mit Pop-Songs zurück?
R.L.: Nicht etwa, weil ich mich gefragt habe, wie man jetzt am besten Geld verdienen kann. Aber es hätte mich einfach krank gemacht, wenn ich mich jetzt nicht geäußert hätte, zu diesen Zeiten. Und da ich nicht im Bundestag sitze, um meine Meinung zu sagen, war das meine einzige Möglichkeit.
BZ: Es ist ja auch kaum ein Lied darunter, das nicht die deutsche Einheit thematisiert: Arbeitslosigkeit, Entwürdigung, Rechtsradikalismus, Drogensucht, Kriechertum – nichts fehlt. Denken Sie, dass die Leute Trost brauchen?
R.L.: Erst mal möchte ich meinen Anhängern sagen, dass ich noch da bin und mich noch immer für ihre Sorgen interessiere. Und dass die Künstler wieder die Bleistifte spitzen.
BZ: Spitzen sie? Es gibt doch bundesweit kaum Unterhaltungskünstler, die sich mit den Problemen des neuen Deutschland auseinandersetzen. Wer legt sich schon fest?
R.L.: Ich glaube, viele Künstler aus dem Osten sinnen vor allem über ein Konzept nach, mit dem Rücken an die Wand zu kommen, horchen vielleicht nicht in sich hinein, was eigentlich für sie wichtig ist.
BZ: Mehre Titel offenbaren eine tiefe Sehnsucht nach Vergangenheit. „Es war einmal ein Land aus Glas, zerbrechlich wie nur irgendwas…“ Das klingt nach DDR-Sehnsucht.
R.L.: Nach dem realen Staat habe ich keine Sehnsucht. Geplant war ja mal eine bessere, eine antifaschistische Gesellschaft, nicht dieser Unterdrückungsstaat mit seinen unfähigen Wirtschaftsfunktionären, die nur den Westen nachmachen wollten. Jetzt ist alles auf der Strecke geblieben, die Gerechtigkeitsideale von Marx, Jesus und Rosa Luxemburg, alles. Viele Leute können sich heute, in diesem freien Land, das ganz normale Leben nicht mehr leisten…
BZ: Der Westen macht keine Anstalten, seine Spielregeln zu ändern, denn wir haben uns angeschlossen, freiwillig und mehrheitlich.
R.L.: Ich nicht! Und dem Arbeiter, der den ganzen Tag an der Maschine steht und sich nicht so mit Politik auseinandersetzt, kann man das nicht vorwerfen. Aber den Verführern – damit fängt ja auch die Platte an, mit dem Gegröle in der Volkskammer nach dem Anschluss.
BZ: In einem Titel formulieren Sie Ihre Schwierigkeiten mit dem Begriff Heimat. Was ist Heimat für Sie?
R.L.: Ich habe in Rheinland-Pfalz ein Haus geerbt von meinem Vater, da würde ich nicht hinziehen. Meine Heimat ist Berlin und Umgebung, von Warnemünde bis Buna. Gesamtdeutsch kann ich nicht empfinden.
BZ: Warum haben Sie Nebelhorn als Label gewählt, nicht wie früher die Deutsche Schallplatte?
R.L.: Dort hat man die Platte abgelehnt, weil sie sich, so die Begründung, nicht gesamtdeutsch verkaufen lässt. O.K., aber das ist schließlich eine Platte für den Osten. Das darf es doch wohl auch geben, früher waren mir die Hörer im Osten auch genug.