Interview mit Norbert Leisegang

Christian Reder, Deutsche Mugge Internetportal

Es gibt viele gute Gründe, die Gruppe Keimzeit mal einzuladen und zum „Stargast“ bei Deutsche-Mugge zu machen. Die neue CD und die bevorstehende Tour sind da nur zwei Themen, die den Autor dieser Zeilen interessieren. Da haben sich über all die Jahre noch viel mehr Fragen angehäuft…

Norbert, am 24. April ist Euer 13. Studioalbum erschienen. Es trägt den Titel „Stabile Währung Liebe“. Bitte erzähl uns etwas über die neue CD.

Wir haben 25 Jahre Keimzeit gefeiert, und Ende 2007 habe ich gemerkt, dass ich eigentlich nichts Neues hatte, womit Keimzeit 2008 hätten brillieren können. Daraufhin habe ich vorgeschlagen, dass wir einfach mal eine Pause machen, was wir dann auch taten. Ich bin erstmal nach England gefahren, habe Abstand gesucht und mich sammeln wollen. Im Februar, März und April 2008 begann ich, neue Songs für ein eventuell neues Album zu schreiben. Das ging dann recht schnell, so dass ich im Mai etwa 70% des neuen Albums zusammengeschrieben hatte. Zwischendurch hatte ich mich noch mit Rudi Feuerbach, unserem Gitarristen, zusammengesetzt, und habe einige Kompositionen von ihm vertextet. Da habe ich gemerkt: „Gut, wenn das so schnell geht, dann rufe ich mal meine Kollegen an.“, und habe gefragt, ob sie möglicherweise im Herbst 2008 für eine neue Produktion zur Verfügung stünden. Wir hatten uns getrennt und jeder machte so sein Ding, aber alle waren dabei, die Hände gingen hoch. Wir haben Andreas Sperling angesprochen, der arbeitete zu der Zeit als Assistent bei Peter Schmidt in einem Studio im Süden von Berlin, und haben ihn gefragt: „Hör mal, hast Du eine Idee wer unser neues Album produzieren könnte?“ Bei der Produktion eines neuen Albums brauchen wir immer einen, der bei uns Regie führt. Andreas meinte, auch wieder durch einen Tipp: „Ruf doch mal Paul Grau in Andalusien an. Das könnte möglicherweise Euer Mann sein.“ Ich habe ihm eine eMail geschrieben, denn ich telefoniere ungern. Wir kamen sehr schnell überein, dass wir noch im Juni 2008 mit einer Abordnung von Keimzeit nach Andalusien fuhren und ihn dort besuchten. Paul lebt seit einigen Jahren zwischen Almeria und Malaga, in der Nähe von Motril. Er hat dort so ein kleines Areal, eine Art Hacienda in den Hügeln. Jedenfalls fuhren wir zu ihm hin, und als ich ihn sah – manchmal hat man ja so eine Intuition, so ein Bauchgefühl – habe ich gemerkt: „Dieser Typ ist es!“ Er ist so eine kleine Frohnatur, auch ein bisschen cholerisch, und hat sofort, als er meine Songs hörte, gewusst: „Das ist Weizen, das ist Spreu“, er hat also das, was auch ich für fadenscheinig hielt, aussortiert und die Essenz schnell erkannt. Darüber war ich sehr froh. Ich habe auch gemerkt, dass ich mit seiner Art ganz gut klar gekommen bin. Wir haben daraufhin recht schnell Nägel mit Köpfen gemacht. Dirk Tscherner, unser Manager, hat sich sehr gefreut und gesagt: „Andalusien ist doch toll. Da gibt’s dann jetzt Arbeit für mich. Ich gucke mal, wie wir Instrumente und Equipment da runter bringen und anschließend wieder hoch.“ So waren jedenfalls ganz schnell die Pläne geschmiedet, um schon im Oktober 2008 mit der kompletten Mannschaft nach Andalusien zu fahren. Ich hatte auch vor, einige Songs mit Bläsersätzen zu bestücken, also sind die auch noch mitgekommen. Außerdem hatten wir noch eine Köchin dabei. Wir haben es uns da unten 4 Wochen lang gut gehen lassen und haben innerhalb von vier Wochen das Album eingespielt. Für Keimzeit ist das ein Weltrekord. Das haben wir noch nie in einer solch kurzen Zeit geschafft.

Ich habe auf dem Promobeiblatt zur CD gelesen, dass Ihr die Platte live eingespielt habt. Für die heutige Zeit ist das sehr ungewöhnlich. Macht Ihr das immer so, oder war das bei „Stabile Währung Liebe“ das erste Mal?

Naja, es ist gewöhnlich und ungewöhnlich zugleich. Ich habe z.B. gemerkt, dass die Zeit mit Franz Plasa in Hamburg dadurch gekennzeichnet war, dass wir bei den Recordings immer von einem Piloten ausgingen. Den haben wir uns im Studio oder auf der Bühne erspielt, und den haben wir erstmal eingespielt. Und erst anschließend wurden dann Schlagzeug, Bass, etc. dazu aufgenommen und reingemischt. Bei dieser Aufnahmeart wurde auch immer sehr viel editiert, so dass es eine ganze Menge Zeit in Anspruch genommen hat. Mittlerweile macht Franz das seit ein oder zwei Jahren auch nicht mehr so. Wir hatten keine Lust mehr darauf, das so zu machen, und wir haben uns deshalb etwas Neues überlegt. Wir setzen uns alle hin und nehmen mal gleich schon Bass, Schlagzeug und ein paar Gitarren, möglicherweise auch schon den Gesang, einfach mal mit auf, und gucken hinterher, was man davon gebrauchen kann. Wir haben uns vorher wirklich geschunden, denn das ganze Material wurde vorher schon monatelang geprobt. Ist die Band dann fit und kann in dem Moment Höchstform erlangen, kann man hinterher von den Aufnahmen schon eine ganze Menge so stehen lassen. Ist sie aber nicht fit, muss man wahrscheinlich wieder zur alten Aufnahmeform und zum Editieren zurückkehren. In diesem Fall war ich froh, dass wir nach der Pause und dem vorherigen Proben – ich sage mal – wie nach einem Trainingslager recht gut zurecht kamen. Paul Grau hat daran buchstäblich aber auch große Anteile. Er hat gesagt: „Freunde, was wollt Ihr vier Wochen hier? Wir nehmen das in zwei Wochen auf, und den Rest macht Ihr hier noch schön Urlaub, und am Ende ist das Album fertig.“ So ein – ich sage mal – Coach wie Paul Grau kam der Band wie gerufen. Der Albumtitel ist etwas sonderbar. Ist Liebe wirklich ein Zahlungsmittel? Was möchtet Ihr mit dem Albumtitel aussagen?

Auf jeden Fall ist die Währung Liebe nicht stabil, oder? Das ist eigentlich totaler Humbug. Aber wie das manchmal so ist… Wenn man ein Album fertig hat schaut man, wie man das Kind benennt. Inzwischen waren wir nach der Albumaufnahme auch schon alle wieder auseinander. Rudi Feuerbach war drei Monate in Cordoba in Argentinien und schrieb uns irgendwann eine eMail: „Freunde, ich weiß wie das Album heißen soll: Es heißt ‚Stabile Währung Liebe‘.“ Diese Passage kommt bei dem Song „Für Dich“ hinten raus, und das ist doch die Maßgabe, die wir uns alle wünschen, und die nie oder nur ganz selten eintritt. Ich war anfangs aber erst der Meinung, dass man das gar nicht aussprechen könne und dass es viel zu lang sei für einen Albumtitel. Wir haben es einigen Leuten so vorgestellt, und die haben gesagt: „Na klar, macht das so und lasst Euch davon nicht abbringen.“ Und nun heißt das Teil eben „Stabile Währung Liebe“.

Als letzten Song findet man „Was ich im Wasser sah“ auf dem Album. Den Titel habe ich bereits als Demo-Version von KARAT gehört. Gab es da einen Kontakt und eine Kooperation mit der Gruppe Karat?

Ach, das ist ja hübsch! Na klar, wir haben gerade vor zwei Jahren ganz viel kooperiert. Die Jungs fragten mich, ob ich nicht ein paar Songs für sie schreiben könnte. Zu dem Zeitpunkt war der Song auch noch frei, und ich habe gesagt: „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr den nehmen.“ Claudius hat später gesagt: „Ein super Titel, aber ich kann den irgendwie nicht singen.“ Den Song haben sie am Ende doch nicht genommen, genau wie andere Titel, die ich geschrieben habe. So hat sich ereignet, dass „Was ich im Wasser sah“ vor zwei Jahren in einer Version von Karat auf Deinem Tisch lag, und wir den jetzt trotzdem veröffentlicht haben. Erwähnenswert ist, dass die CD auf Eurem eigenen und neu gegründeten Label erschienen ist. Was waren die Gründe dafür, ein eigenes Label ins Rennen zu schicken, und warum erst jetzt, zum 13. Album, und nicht schon früher?

Das frage ich mich allerdings auch! Wir sind da sehr sehr sehr langschemelig gewesen. Wir hatten allerdings auch ein bisschen Angst, denn dass sich eine Band selbst aufstellt mit Label und Verlag ist ja eigentlich keine Neuheit. Dass sie es dann aber tut und auch über eine lange Frist kann, das wird sich auch bei Keimzeit erst herausstellen. Musiker sind um Gottes Willen keine guten Wirtschaftsleute und Administranten, aber wir haben einen Trumpf in der Hand: Wir haben Dirk Tscherner als Manager, der sich mittlerweile wirtschaftlich sehr profiliert hat, so dass er sowohl das Label als auch den Verlag auf seinem Tisch hat. So konnten wir auch das Label „edel kultur“ aus Hamburg als Vertrieb dazu bekommen, denn wir können nicht auch noch den Vertrieb organisieren. Mit diesen drei Säulen hoffen wir, dass wir dieses erste Album auf eigenem Label gut unter die Leute bekommen. Wir sehen dann, wie es sich weiter entwickelt. Ein eigenes Label ist eine probate Möglichkeit, die viele Bands und Interpreten inzwischen nutzen, wie z.B. Philip Boa oder Herwig Mitteregger, also Künstler die schon 20 und mehr Jahre auf der Bühne stehen.

11 Lieder sind auf der neuen CD zu finden. Welches davon liegt Dir besonders am Herzen?

Alle! Ich habe etwa 20 Songs für das Album geschrieben, und wir haben uns im Verlauf so sukzessive von einigen verabschiedet und es sind genau die, die mir nicht so am Herzen liegen. Was Du jetzt da hast, ist eigentlich das Herzstück… die Songs, die wir insgesamt und insbesondere Paul Grau und ich ausgesucht haben. Bei einem Album macht man sich Gedanken, was zusammen passt, wovon man sich verabschieden kann und muss, oder was man vielleicht für ein späteres Album verwendet. Die 11 Lieder auf „Stabile Währung Liebe“ sind das Herzstück.

Kramen wir mal ein bisschen in der Vergangenheit der Band. Du hast mit Deinen Geschwistern zusammen die Gruppe 1980 gegründet. Damals noch unter dem Namen „Jogger“. Wie kam es dazu, eine eigene Band zu gründen?

Das war wahrscheinlich die pure Langeweile und ganz viel jugendliche Energie. Man will mit 16 oder 17 Jahren irgendwie was machen, und nicht nur rumhängen. So ging es uns. Wir waren vier Geschwister und waren ganz schnell Feuer und Flamme für diese Idee. Die Idee war, eine Band zu gründen, denn vier Leute reichten dafür völlig aus.

Wie seid Ihr auf den Bandnamen „Jogger“ gekommen? Seid Ihr zu der Zeit so sportlich gewesen?

Ja, wir sind durch unsere Eltern immer zum Sport angehalten worden. Ich fand es damals total cool zu joggen. Das war so eine Idee aus den 80ern, quer durch den Wald zu laufen. Der Name dafür war Englisch, und ich habe die ersten Songs unsäglicherweise auch auf Englisch getextet. Und so hießen wir dann erstmal „Jogger“. Aber nur kurz, denn ich habe schnell gemerkt, dass es eigentlich Quatsch ist, da ich eigentlich gar kein Englisch beherrsche, und dass ich lieber in Deutsch weitermachen wollte. Und deshalb haben wir uns später auch umbenannt…

Schon zwei Jahre später wurde der alte Bandname abgelegt und fortan firmierte man unter dem Namen „Keimzeit“. Was hat dieser Name für eine Bedeutung, und warum wurde er ausgewählt?

Na, ein Bandname muss doch erstmal peppen! Irgendwie sollte der Name für Teens, die wir ja damals waren, gut klingen und sollte auch was darstellen. Letztendlich sollte er so klingen wie bei anderen Bands, die es damals gab, z.B. Extrabreit oder Ideal… einfach was Deutsches, was Neue Deutsche Welle und Punk widerspiegelt. Ich hatte dann diese Idee und fragte die anderen: „Leute, was haltet Ihr von Keimzeit?“ Und dabei blieb es bis heute, und das, obwohl heute keiner mehr Neue Deutsche Welle hört.

Wie kann man sich das Bandleben von Keimzeit in den 80ern vorstellen? Wie war das Musikerleben von Keimzeit in der DDR?

Bunt! Unsere Eltern hatten uns so einen kleinen Probeschuppen gebaut. Sie haben uns eh immer bei solchen Sachen, die mit der Band zu tun hatten, unterstützt. Auch immer wieder finanziell, mental und vom Herzen her. Sie gaben uns einen guten Rückhalt. In diesem Proberaum haben wir immer geübt, was uns gerade so vor die Flinte kam, also von allen Genres und Musiken, die bekannt waren. Das ging von Bossa über Jazz bis zu Punk und Neue Deutsche Welle. Wir haben von allem etwas zusammengeklaubt, haben Songs geschrieben und geübt. Als wir dann 30 oder 40 Titel zusammen hatten, sind wir von Jugendtanz zu Jugendtanz und von Dorfgaststätte zu Dorfgaststätte unterwegs gewesen. Wir bekamen Einladungen zu Open Air-Veranstaltungen und Parties. So haben wir eigentlich die 80er verbracht.

Weißt Du noch, wo Euer erstes Konzert stattgefunden hat?

Ich glaube bei uns in Lütte, dort wo wir unsere Kindheit verlebt haben. Da gab es einen Dorfplatz, auf dem man irgendwann eine Bühne aufgebaut hat. Da haben wir nicht nur einmal, sondern in den 80ern gleich mehrmals gespielt.

Wie liefen Eure Live-Auftritte überhaupt ab? Ich habe gelesen, dass Ihr Konzerte von bis zu 5 Stunden gegeben habt, ist das richtig?

Das ist wohl mehr die Tradition, dass man damals als Band ohnehin von 19:00 Uhr auf jeden Fall bis Mitternacht verantwortlich war, die Leute bei Stimmung zu halten. Üblich war, dass eine Band 2 bis 3 Songs spielte und dann eine Pause gemacht wurde. Wir fanden das allerdings langweilig und haben bis zu einer Stunde am Stück gespielt und dann eine Pause gemacht. Dann wieder eine Stunde gespielt und wieder eine Pause gemacht. So ging das meistens bis Mitternacht weiter. So konnten wir uns gut ausarbeiten, also in dieser Zeit ganz viel ausprobieren, waren dann aber ab 22:00 Uhr eigentlich auch nicht mehr zu gebrauchen.

Habt Ihr nur nachgespielt oder gab es auch eigene Stücke?

Beides!

Habt Ihr in der DDR einen Berufsausweis erworben oder war Keimzeit eine reine Amateurband?

Wir waren eine Amateurband. Wir mussten uns hin und wieder durch eine Jury prüfen lassen, und haben dann ein Prädikat bekommen, und damit eine Lizenz erhalten, um spielen zu können.

Welchen Beruf hast Du neben der Musik ausgeübt? Was hast Du gelernt?

Ich habe die Ausbildung eines Lehrers an der Pädagogischen Schule zu Potsdam genossen. Wie man heute so schön sagt: Vier Jahre auf Lehramt Mathematik und Physik studiert.

Eure Schwester Marion war mit kurzer Unterbrechung von einem Jahr Babypause bis 1989 Mitglied der Gruppe. In der Wendezeit stieg sie endgültig aus. Was waren die Gründe dafür und was macht sie heute?

Die Gründe für ihren Ausstieg waren, dass sie sich eine Familie aufgebaut und gemerkt hatte, dass sie als Mutter nicht laufend mit einer Band unterwegs sein kann. Das war eine Entscheidung pro Familie. Heute ist sie Mutter und Chefin einer Kindertagesstätte in Lütte.

Ein Album blieb Euch zu DDR-Zeiten verwehrt, aber Rundfunkproduktionen hat es gegeben. Erinnerst Du Dich noch an die erste Produktion für’s Radio? Welcher Song wurde da aufgenommen, und wie war die Arbeit im Studio?

Bevor es dazu kam, den Song aufzunehmen, kann ich mich erinnern, dass wir im „Haus der Jugend“ als Vorband für Jürgen Kerschowski gespielt haben, und dass da Leute vom Rundfunk der DDR auf uns zukamen und meinten: „Wollt Ihr nicht mal zu uns ins Studio vom Radio der DDR kommen und ein oder zwei Songs aufnehmen?“ So hat man das mit einigen jungen Bands damals gemacht und wir waren eine davon. Wir haben dort den Song „Mama, sag mir warum“ aufgenommen.

Aus der Gesamtsumme Eurer Rundfunkproduktionen entstand später die erste Keimzeit-LP „Irrenhaus“, die beim Label Hansa veröffentlicht wurde. Wie seid Ihr an den Plattenvertrag mit dem bekanntlich ja nicht gerade kleinen Label gekommen?

Wir haben bei denen einfach mal angeklopft und gesagt wer wir sind. Zuvor hatten wir uns mit der AMIGA überworfen. Irgendwie hatte die Amiga damals die Zeichen der Zeit nicht wirklich erkannt und uns noch so ziemlich altertümliche Verträge vorgelegt. Daraufhin haben wir gesagt, dass wir nicht unbedingt zur Amiga gehen mussten, sondern es bei der Hansa/BMG Music versuchen wollten. Die haben sofort gesagt: „Ja, klasse! Machen wir.“, und sind mit den Leuten vom Rundfunk sehr schnell einig geworden. Schon war das erste Album von Keimzeit mit dem Titel „Irrenhaus“ auf dem Markt.

Auf der Platte sind einige Songs, die in ihren Texten sehr deutlich Kritik an der früheren DDR übten, wie z.B. im gleichnamigen Song „Irrenhaus“. Wie sind diese Sachen eigentlich durch die Zensur gekommen? Die entstanden ja noch zu Zeiten der DDR während Eurer Rundfunkproduktion…

Richtig, sogar weit vor der Rundfunkproduktion!

Gab’s da gar keine Probleme?

Doch, die gab es schon. Aber als wir die aufgenommen haben, war die Produktion schon zu weit vorangeschritten, als dass da noch jemand hätte kommen können und das hätte ausbremsen und sagen können: „Dann wird das eben nicht aufgenommen!“ oder „Ihr müsst Titel wie `Irrenhaus` und `Hofnarr` noch mal umschreiben.“ Hinter der Hand haben uns einige Leute vom Rundfunk gesagt: „Ändert da mal gar nichts, nehmt das so auf und schaut mal, wie’s dann weitergeht.“ Wir standen damals sowieso auf dem Standpunkt, entweder wir machen das so wie wir es wollen oder wir lassen das mit der Band. Denn das Standbein, dass wir live unterwegs waren und damit eigentlich auch unser Geld verdienten, war fest. Insofern waren wir frei und glücklich – welche Band wäre das nicht – als das Album zustande kam und uns große Schwierigkeiten mit Funktionären erspart blieben.

Also hattet Ihr in all den Jahren keine Probleme mit der Obrigkeit, so dass da mal einer gekommen ist und sagte: „So geht das aber nicht“?

Es war so, dass wir zu den Aufnahmen der Lieder zum Album „Irrenhaus“ einen technischen Ingenieur zugewiesen bekamen, der hieß Peter Nölle. Peter war für uns aber nicht nur der Ingenieur, sondern einfach der Produzent. Und das war er auch wirklich, denn er hatte Durchblick und Checkung. Es wurde allerdings vom Rundfunk der DDR eine Produzentin beordert, und die kam hin und wieder mal rein. Wir haben ganz schnell gemerkt, dass sie eine politische Observer-Funktion hatte, und Peter Nölle und wir waren „dicke Tinte“ und haben die links liegen lassen und uns mit ihr gar nicht so viel auseinander gesetzt. Die kam rein und meinte „Ihr müsst hier das…“ und „Dort müsst ihr jenes…“. Wir haben sie ausreden lassen, und als sie wieder raus war haben wir es doch so gemacht, wie wir es wollten. Kurz gefasst: So lief das damals!

Während viele deutsche Bands und Interpreten nach der Wende auf dem gesamtdeutschen Musikmarkt zu kämpfen hatten, hattet Ihr einen kleinen Hit. Der Titel „Kling Klang“ dürfte wohl als gesamtdeutscher Erfolg in Eurer Bandgeschichte abgelegt werden. Wie habt Ihr die Zeit nach der Wende empfunden?

Diese Frage stellte mir Marion Brasch von Radio EINS vor ein paar Tagen schon… Für uns war diese Zeit total aufregend. Wir haben uns auch überhaupt keine Gedanken und Sorgen gemacht, ob mit der Wende unsere Popularität und unsere eigentlichen Berufe in der Musik zusammenbrechen. Das haben wir erst viel später gemerkt, als wir in den 90ern auf unsere eigenen Krisen stießen. Wir haben gemerkt, dass bei einigen Bands solche Krisen, oder so ein Verfall, zeitgleich mit gesellschaftlichen Veränderungen einhergehen, was bei anderen Künstlern aber nicht der Fall ist. Bei denen passiert es irgendwann zwischendurch. Und bei uns war das eben auch so, dass so was dann zwischendurch kam. Wenn alle anderen im Staate Deutschland total glücklich waren, gab’s Probleme bei Keimzeit.

Der eben angesprochene Hit „Klingklang“ ist ein richtiger Ohrwurm, der sich schon beim ersten Hören nicht mehr aus den Gehörgängen entfernen ließ. Wie ist dieser Song entstanden und hat man bei der Entstehung gemerkt, dass er Potential zu mehr hat?

Ich habe dieses Lied bereits in den 80ern, so 1984 oder 1985 geschrieben, und ich muss zugeben, dass wir den damals auch schon fleißig auf den Konzerten gespielt haben. Als wir die Songs für das erste Keimzeit-Album ausgewählt haben, haben wir gemerkt, dass wir einen unglaublichen Pool an Material hatten. Wir haben nach „Irrenhaus“ das Album „Kapitel 11“ aufgenommen, und bei den Arbeiten zu „Bunte Scherben“ war das alles schon abgearbeitet, aber es lagen noch ältere Titel in der Schublade rum. Da hatte der damalige Produzent, Ralf Böhme Bostelmann, gesagt: „Forste da noch mal rum, und bring mir mal ein paar Sachen mit, die Ihr schon lange nicht mehr spielt.“ Und da war „Klingklang“ mit dabei. Er hatte sofort eine Spürnase dafür gehabt und gesagt: „Diesen Song würde ich gerne aufnehmen.“ Das haben wir dann auch so ein bisschen widerwillig getan und er hat ihn anschließend bearbeitet und produziert. Die Plattenfirma hat später auch gesagt: „Es wäre super, wenn wir den Titel so mit auf das Album `Bunte Scherben` rauf nehmen könnten.“ Also haben wir das auch so gemacht. Der Song hat sich erst als solches entwickelt, denn er ist ja nicht mal als Single rausgekommen…

Doch, ich habe davon eine Maxi CD hier…

`Ne Maxi CD? Dann weißt Du mehr als ich! Damals war das auch im Gespräch, ob das eine Single werden soll oder nicht und ob Keimzeit ein Single-Thema ist. Und daraufhin haben Plattenfirma als auch Band gesagt: „Ne, wir wollen das Album rausbringen.“ Letztlich haben sich das DJs und Radioleute so peu a peu rausgepickt und immer wieder gespielt. Speziell die Radioleute haben den geliebt. Ich lieb den Song ja auch!

In den 90ern und auch im neuen Jahrtausend habt Ihr kontinuierlich neue Alben Produziert. Ein auffälliger Bruch mit der musikalischen Tradition ist auf der LP „Im elektromagnetischen Feld“ (1998) zu hören. Was waren die Gründe für diesen musikalischen Wandel?

Die Krise, von der ich gerade sprach, war der Grund. Ich bin 1995/96 an so einem Punkt angelangt, wo ich merkte, dass alle „Mama sag mir warum“s, alle „Irrenhäuser“ und alle „Maggies“ geschrieben waren und ich keine neue Motivation und Inspiration mehr hatte. Andreas Sperling, der 1994 zur Band kam, meinte dann: „Lass uns doch mal gucken, was man außer der Pop-Müsli-Schiene von Keimzeit noch machen kann“, und schleppte so Sachen wie Pearl Jam, Chris Cornell und so was an. Wir haben damals auch sehr viel Selig gehört und haben Zugang zu Franz Plasa bekommen. Ich habe damals festgestellt, dass, wenn es mit Keimzeit weitergehen würde, das nur über den Weg nach Hamburg gehen konnte. Wir haben uns mit Franz unterhalten und sind uns eigentlich sehr schnell einig geworden. Wir fuhren dann nach Brüssel und haben dort das „Elektromagnetische Feld“ aufgenommen. Ich war in diesem Fall so offen wie vorher noch nie, und letztendlich war das ein großes, experimentierfreudiges Ereignis. Rückblickend auf fast 30 Jahre Bandgeschichte: Was waren für Dich die erfreulichsten und schönsten Momente, was die weniger schönen?

Die Anfänge waren natürlich groß, wenn man weiß, man hat eine Band zusammen, man stellt da ein Schlagzeug hin, hat Bass und Gitarre dazu und plötzlich groovt das irgendwie. Man stellt sich auf die Bühne und merkt, dass es erst die Anfänge sind und noch gar nicht richtig funktionieren kann und es dann doch so eine Art Feuerwerk gibt. Solche Anfänge liebe ich, und so was hatten wir damals als „Keimzeit“ bzw. als „Jogger“ auch. Ich habe gemerkt, dass mir die Umbrüche am liebsten sind. Auch wenn solche Umbrüche manchmal eine ganze Menge Verletzungen in sich haben, sind sie mir trotzdem ganz lieb. Darum habe ich auch die Zeit um 1998 mit der Produktion vom „Elektromagnetischen Feld“ als so einen Umbruch erlebt. Und an die anderen Zeiten, in denen man am besten morgens gar nicht aufstehen wollte, erinnert man sich gar nicht mehr so. Die gibt es natürlich auch en masse…

Aber nichts, was einem jetzt spontan so einfällt?

Nein, da müsste ich jetzt auch erstmal überlegen. Die guten Sachen kommen immer spontan raus, im Gegensatz zu den Momenten, in denen man große Zahnschmerzen hatte. Und diese gibt es immer. Letztendlich entsteht aus den „Zahnschmerzen“ die gute Musik, soviel ist mir auch mittlerweile klar. An Punkten, an denen einem Defizite und Verluste klar werden, kommen die besten Songs zustande.

Thema Verluste: Zuletzt war zu hören, dass Euch Ralf Benschu verlassen hat. Warum ist er ausgestiegen, und gibt es Ersatz? Wer ist jetzt für die Saxophon-Klänge im Hause Keimzeit verantwortlich?

Gleich zwei Fragen auf einmal (lacht). Wir haben dazu jüngst auf unserer Homepage ein kleines Statement abgegeben, ich weiß nicht, ob du das schon gesehen hast…

Nein, habe ich noch nicht…

Jedenfalls war der Ausstieg ein Prozess der letzten 7 bis 10 Jahre, wo sich Ralf weitestgehend auch musikalisch, menschlich und persönlich nicht mehr so wohl gefühlt hat. Das war immer so ein Hin und Her. Letztendlich führte das aber nie zu einer Lösung, und er hat sich erstmal für einen Ausstieg entschieden. Wir hoffen und wünschen uns für ihn, dass das die richtige Lösung war. Wir müssen ja sehen, wie es weitergeht, und haben Robert Frenzel aus Erfurt als Unterstützung am Saxophon gewinnen können, und werden die bevorstehende Tour mit Robert Frenzel am Saxophon, Frank Braun an der Trompete und Ralf Zickerick an der Posaune spielen.

Norbert, Du bist im letzten und auch in diesem Jahr mit dem Projekt „Club der toten Dichter“ unterwegs gewesen. Es gibt auch eine wundervolle CD mit vertonten Texten von Wilhelm Busch. Wie kam es dazu, dass Du Teil dieser Formation geworden bist?

Ganz einfach… Max Repke rief mich an. Er stellte mir die Demos vor, und da ich Wilhelm Busch, seine Geschichten und seine Poesie sehr gern mag, habe ich mir das angehört und bemerkt, dass das sehr gut zusammen passt: Wilhelm Busch als Texter und Max Repke als Komponist…

Stehst Du für das nächste Programm auch wieder zur Verfügung?

Nein! Die Maßgabe von Max Repke ist, er ist ja der Chef des Projekts, dass er als einziger dabei bleibt, und die Mannschaft drum herum mit dem neuen Programm wieder wechselt. Wir geben heute (17.04.) übrigens das letzte Konzert mit dem Wilhelm Busch-Programm in Brandenburg.

Ich nenne Dir jetzt ein paar Stichworte, und Du antwortest bitte in einem bzw. max. 2 Sätzen, was Dir spontan dazu einfällt.

Lütte: Mein Heimatort

DT64: Marion Brasch

Videoclip zu „Flugzeuge“: (lange Pause) Ooooh, da geht’s ja jetzt ganz weit zurück… Ein Zylinder, den ich auf hatte.

„Comic Helden“: Das neue Label von Keimzeit

Casting Shows: Außerhalb meines Wahrnehmungskreises

Finanzkrise: „Stabile Währung Liebe“

Frühling: Magnolien

Ihr geht mit dem neuen Programm auch auf Tour. Wohin führt Euch die Reise, und was erwartet den Besucher Eurer Konzerte?

Die Reise führt uns quer durch Deutschland. Wir werden auch in der Schweiz und in Österreich spielen.Es ist jetzt Frühling und dann kommt der Sommer. Wir haben deshalb ganz viele Open Air-Konzerte. Außerdem haben wir ein 2 ½ -stündiges Konzertprogramm entworfen, in dem wir als Herzstück das neue Album live vorstellen werden, aber wir werden auch einige Klassiker von uns, wie z.B. „Irrenhaus“, „Singapur“ und natürlich auch „Kling Klang“ spielen. Mit dabei werden auch einige Songs sein, die wir schon lange nicht mehr live gespielt haben, also eine Art „Best of“ nach unserem Gutdünken. Außerdem haben wir – wie ich vorhin schon angekündigt habe – den kompletten Bläsersatz mit dabei. Wir hoffen, dass das eine feine Saison wird.

Wie sieht die weitere Planung für 2009 aus? Gibt es schon Ideen über das Jahr hinaus?

Nicht die Bohne! Wir werden erstmal 2009 stemmen!

Norbert, ich danke Dir für das Gespräch und die vielen interessanten Antworten. Möchtest Du noch ein paar Worte an unsere Leser richten?

Wenn sich der Leser möglicherweise schon mal überlegt hat, dass er gerne mal in einer Band spielen möchte, dann soll er eine gründen.

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