Der Regisseur Andreas Dresen spricht über den langen Anlauf für seinen Gundermann-Film, über eigene Selbstzweifel, Größe und Verstrickung des Liedermachers – und über die Schwierigkeit, ostdeutsche Biografien auf die Leinwand zu bringen Herr Dresen, fast zehn Jahre hat es gedauert, bis Sie Ihr Filmprojekt über den ostdeutschen Liedermacher Gerhard Gundermann realisiert haben. Fällt jetzt eine Last von Ihnen ab?
Ehrlich gesagt, als meine Drehbuchautorin Laila Stieler und ich im Schneideraum saßen und den Film Ende März zum ersten Mal im Rohschnitt sahen, haben wir uns anschließend in den Armen gelegen und geheult. Es war eine lange Strecke. In den zehn Jahren gab es durchaus Phasen, in denen ich persönlich nicht mehr gedacht habe, dass es ein Film wird.
Was stand dem Projekt im Wege?
Es gab so viele verschiedene Drehbuchfassungen, die Produktionsfirma hat gewechselt, die Finanzierung war nicht einfach. Man glaubt ja an sein Projekt, aber irgendwann hat man auch das Gefühl: Es ist wirklich alles so schwierig, es wird einfach nichts. Als der Film dann tatsächlich irgendwann da war, konnten wir es fast selber nicht glauben. Bei der ersten Rohschnittvorführung luden wir den innersten Kreis der Kollegen ein und guckten ihn zum ersten Mal gemeinsam: Das ist wie ein kleiner Geburtsmoment. Da wird auch noch nicht so viel kritisch geredet, wie man das später durchaus macht. Man nimmt erst mal diesen Moment für sich und freut sich daran, dass der Film da ist. Und das war bei Gundermann schon noch mal anders als bei anderen Filmen, weil er so eine lange Geschichte hat. Ich hatte ja auch durchaus schon Drehbücher, an denen wir Jahre gearbeitet haben, und die sind dann trotzdem nichts geworden.
Aber Gundermann war ja schon durch die Konzerte, in denen Sie seine Lieder singen, nicht abzuschütteln.
Es gehört zu dem Beruf dazu, dass nicht alles gelingt. Und manchmal ist es besser, den einen oder anderen Film nicht zu drehen, wenn man nicht ganz so überzeugt vom Drehbuch ist. Das war hier nicht der Fall. Hier waren es eher die Partner, die von außen kamen, die uns das Gefühl gaben, sie glauben nicht so richtig an den Film.
Dann fängt man auch selbst zu zweifeln an?
Man fragt sich, ist es denn richtig, wie wir es erzählen. Es ist immer wichtig, dass der kämpferische Moment den resignativen Moment überwiegt. Sonst geht es nicht weiter.
Was gab es für Zweifel bei den Partnern?
Bei den Finanzierern stand die Frage: Wer ist denn Gundermann? Warum über den einen Film machen? Bei Rio Reiser hätte uns das niemand gefragt. Man muss sich teilweise als Ostdeutscher dafür rechtfertigen, wenn man über seine eigene Biografie erzählen will. Nur weil Leute Gundermann nicht kennen, muss das noch lange nicht bedeuten, dass die Geschichte nicht erzählenswert ist. Da kann man nur entgegnen: Das Buch liegt vor. Lest es doch: Dann werdet ihr sehen, warum es uns wichtig ist, es zu erzählen.
Sie sagten in einem Gespräch, dass Sie die Deutungshoheit über die eigene Geschichte wiederbekommen wollen.
Es wurden viele Filme über den Osten in den vergangenen zwei Jahrzehnten gemacht. Manche gut, manche weniger gut, über einige habe ich mich geärgert. Ich selber habe in den 1990ern in mehreren Filmen über die DDR erzählt, die aber nur wenige Leute sehen wollten. Vielleicht lag es an den Filmen. Als 2006 „Das Leben der Anderen“ rauskam, war es für mich schon grenzwertig. Es ist ein gut gemachter Film, unbenommen, aber er hat mit dem, wie ich die DDR erfahren habe, relativ wenig zu tun. Mich interessiert eine differenziertere Betrachtung. Auf der anderen Seite muss man sich sagen: Selber schuld, wenn man keine Lust mehr hat, die Geschichten zu erzählen, erzählen sie eben die anderen.
Welche Filme wollte denn keiner sehen?
In „Stilles Land“ ist kaum einer reingegangen.
Aber die DVD wurde oft gekauft.
Ja, dann bekam er noch einen Schub. Ich habe auch noch zwei Filme fürs Fernsehen gemacht, „Das andere Leben des Herrn Krein“ wurde spätnachts irgendwie versendet. Und dann noch „Raus aus der Haut“ über zwei Schüler, die ihren autoritären Direktor entführen. Meine Filme über die untergegangene DDR blieben jedenfalls unter ihren Möglichkeiten. Und dann dachte ich: Okay, vielleicht wollen die Leute die Art, wie ich erzähle, nicht sehen. Das war auch gerade die Zeit, in der die großen Komödien wie „Sonnenallee“ und „Good Bye, Lenin!“ herauskamen. Eine zugespitzte komödiantische Sicht auf die DDR, die auch sehr schön war. Aber ich sagte mir: Beschäftige dich jetzt lieber mit der sozialen Gegenwart.
Aber dennoch spukte Gundermann weiter in Ihrem Kopf?
Nach „Das Leben der Anderen“ sagten wir uns: Wir dürfen uns nicht beschweren, wenn Filme entstehen, die vielleicht nicht unsere Sicht teilen. Dann müssen wir eben selber nochmal ran. Wenn man sich die erzählerische Hoheit nicht nehmen lassen will, darf man sich nicht drücken.
Was macht das Besondere von Gundermann aus?
Er vereint so viele Facetten in seiner Persönlichkeit. Eine im Tagebau arbeitende Arbeiterfigur, dann parallel ein Künstler, ein wunderbarer Poet, der große Konzerte spielt und danach zur Schicht fährt. Wo gibt es so was? Er spielt vor Bob Dylan und fährt danach in den Tagebau. Schon Irrsinn. Außerdem Kommunist, der leider in der DDR aus der Partei flog, weil er zu kritisch war in seiner „grundsätzlichen Eigenwilligkeit“, wie es über ihn hieß. Außerdem ist er schuldig geworden, weil er ein paar Jahre für die Stasi gearbeitet hat. Auf der anderen Seite wurde er danach jahrelang selber von der Stasi bespitzelt. Diese ganzen Seiten des Charakters sind so interessant. Und wir kannten ja noch nicht mal die tolle Liebesgeschichte, als wir mit dem Film angefangen hatten. Die hat Laila dann erst in der Recherche von Conny Gundermann erfahren. Außerdem sind wir natürlich großer Fan seiner Lieder.
Man möchte in dem Film, der kürzlich in Rohfassung vor der Presse gezeigt wurde, diesem auch störrischen Gundermann zurufen: Nun entschuldige dich doch endlich bei den Leuten, über die du für die Stasi berichtet hast.
Er sollte sich ja sein ganzes Leben immer für etwas entschuldigen. Ja schon im Osten, bei den Leuten von der Partei und den Bonzen. Was die Stasi betrifft, ist er ja dann direkt zu einigen betroffenen Leuten nach Hause gegangen, um mit ihnen zu reden. Aber er lehnte es ab, für das, wie er gelebt hat, von Leuten beurteilt zu werden, die davon nichts verstehen. „Ich werde niemanden um Verzeihung bitten, aber mir selbst kann ich das nicht verzeihen“, das hat er gesagt.
Starb Gundermann mit seinen 43 Jahren, weil er sich innerlich so verzehrt hat?
Diese ganze Atemlosigkeit, die er gelebt hat – diese zwei Leben – für so etwas zahlt man einen Preis. Aber vielleicht war es auch nur Zufall? Man weiß es nicht. Wir haben diese Nasenblutengeschichte im Film drin, die so ein Gefühl dafür gibt. Auf seinem letzten Konzert, das er kurz vor seinem Tod in dem nordbrandenburgischen Dorf Krams gab und von dem es auch eine CD gibt, sprach er so viel über das Sterben, dass man denkt, er hatte eine Vorahnung.
In Alexander Scheer fanden Sie eine Besetzung, durch die man Fiktion und Realität noch weniger trennen kann. Wie dicht sind Sie an Gundermann dran?
Wir orientieren uns am wahren Gundermann, aber natürlich erzählen wir eine Spielfilmgeschichte. Wir müssen uns den Charakter ja zu eigen machen. Und Leute, die Gundermann nahestanden, werden unsere Sicht vielleicht nicht teilen. Immer wenn man reales Leben in Spielfilm übersetzt, durchläuft es Transformationsprozesse. Es gibt ja zwei Dokumentarfilme über Gundermann, da kann man ihn sich im Original angucken. Wir erzählen eine eigene Figur anhand des Originals, und da gibt es Verschiebungen und Zuspitzungen, wie es die Dramaturgie erfordert. Aber ich finde auch, dass Alexander ihm wahnsinnig nahekommt. Conny Gundermann hat mal gesagt, als sie beim Drehen zuguckte und Alexander das Lied „Linda“ sang: „Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht nochmal verliebe.“ Und Linda, die Tochter, sagte: „Ich habe Papa so lange nicht gesehen.“
Der Film berührt durch seine komischen und traurigen Momente. Stand die Besetzung Alexander Scheer sofort fest?
Anfangs hatte ich Milan Peschel als Gundermann im Kopf. Damals war er noch in dem Alter. Mit inzwischen über 50 ging es aber doch nicht mehr. Jetzt spielt er auch mit, aber eine andere schöne Rolle. Alexander Scheer kannte ich natürlich von der Volksbühne und auch vom Film, er war von Anfang an eine ganz tolle Option. Es gab trotzdem ein Casting. Doch sofort nach seinem Vorsprechen sagte ich ihm zu. Er ist so ein wilder, verrückter und zugleich fleißiger, akribischer Schauspieler. Und er singt selbst, spielt dazu Gitarre, ja und sogar Schlagzeug – so wie Gundermann. Das habe ich nicht zu hoffen gewagt.Alexander zaubert sich einfach in die Rolle rein. 15 Jahre Castorf sind nicht an ihm vorbeigegangen. Es ist schön, wie er sich bewegt und spielerische Formen findet: In den 1970ern gibt er Gundermann ja auch als Clown, einen Don Quichotte. Und dann später zeigt er so eine Erdenschwere, eine tiefe Verzweiflung.
Wie unbeschwert konnten Sie sich der Figur nähern, die mitunter ja auch ein echter Kotzbrocken war? Welche Rücksicht mussten Sie auf Conny, die Witwe, und die Kinder, nehmen?
Kotzbrocken finde ich zu hart, aber Gundermann ist ein sehr ambivalenter Charakter. Und gerade die Familie wollte nicht, dass wir ihn auf einen Sockel stellen. Wenn es einen Film gibt, dann sollte er ein reales Bild seiner Zerrissenheit zeigen. Und trotzdem ist es für mich komisch gewesen: Gundermann habe ich ja nicht persönlich gekannt, nur von seinen Konzerten. Aber Conny kenne ich durch die Vorarbeiten sehr gut. Und dann plötzlich einen Menschen mit einer Schauspielerin zu besetzen, der einem vertraut ist, das fiel mir richtig schwer! Ich habe immer versucht, diese reale Conny wieder zu finden. Aber es ist toll, wie nahe die aus Tirol stammende Schauspielerin Anna Unterberger der Conny kommt. Und die beiden mögen sich auch. Sie haben sich jetzt öfter getroffen. Da war ich total erlöst.
Gundermann zu zeichnen war einfacher?
Der ist erst mal weit weg und so eigenwillig, dass man ihn sich überziehen kann: Fleischerhemd drüber, komische Brille auf, merkwürdige Frisur und dann hat man ihn erstmal – aber nur äußerlich. Ansonsten haben wir uns schon die Freiheit genommen, ihn zu interpretieren.
Der Gundermann sagt im Film: Ich hatte damals selbst kein Privatleben, vielleicht habe ich es deshalb auch anderen nicht zugestanden. Ist das verbürgt?
Ja, es bezieht sich teilweise auch auf seine Vatergeschichte, die ich schon aus einigen Liedern kannte. Eine sehr traurige Geschichte. Er war 12 Jahre alt, als er 1967 in der Wohnung die Pistole seines Vaters fand, ein altes Armeemodell aus dem Zweiten Weltkrieg. Er ist damit rumgelatscht und hat sie seinen Schulfreunden gezeigt. Plötzlich standen Polizisten in der Tür und der Vater bekam ein Strafverfahren wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Auch die Ehe zerbrach daran. Was lastet da auf Kinderschultern! Und der Vater weigerte sich, mit dem Jungen noch Kontakt zu haben. Statt großzügig damit umzugehen, sprach er nicht mehr mit ihm, bis zu seinem Tod. Das hat Gundermann traumatisiert, und die Stasi nutzte das ganz geschickt. Das kommt bei uns im Film aber nur indirekt vor. Aber die waren sehr clever und gaben ihm einen väterlichen Typ von Führungsoffizier zur Seite. Gundermann brauchte so einen Menschen, dem er sich anvertrauen konnte. Sicher war er auch deswegen anfällig und prädestiniert für die IM-Tätigkeit.
Axel Prahl spielt den Führungsoffizier. Wann stand das fest?
Er war der erste, der besetzt war. Axel hat so etwas Grundgutmütiges. Die Figur so zu besetzen, fand ich interessant und nicht mit jemanden, dem die Bosheit aus dem Gesicht geschnitten ist. Axel hat etwas Joviales. Da spielt er jetzt gegen an. Aber natürlich kann er nicht aus seiner Haut.
Gundermann ist nochmal nach der Wende zu seinem Führungsoffizier gegangen. Ist das filmische Erfindung?
Ja. Wir fanden das eine spannende Konstellation: Gundermann begibt sich auf Spurensuche. Bei seinem Führungsoffizier trifft er auf jemanden, der ihn in eine Schublade steckt, von der Gundermann selbst der Meinung ist, dass er da nicht reingehört. Ich habe diese Szene immer geliebt. Da kann man so schön dran sehen, wie die Selbstwahrnehmung ist. Gundermann selbst wäre nie auf die Idee gekommen, dass er einer der besten unter den Stasi-Informanten gewesen war. Er hat sich immer als kritisch gesehen. Schon spannend: diese Diskrepanz zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung. Man sieht sich immer so, wie man gern gesehen sein würde. Der Stasioffizier sagt am Ende des Treffens indes: Und trotzdem warst du einer von uns.
Glauben Sie, dass der Film auch im Westen sein Publikum findet?
Das will ich hoffen. Auch dass er grundsätzlich auf Interesse stößt, weil man hoffentlich einen etwas differenzierteren Blick auf den Osten bekommt. Und natürlich auch die tollen Lieder von Gundermann kennenlernt. Die werden ja auch 20 Jahre nach seinem Tod noch gespielt. Das sagt doch etwas. Dieses nachhaltige Berühren. Wir spielen ja selbst in Konzerten die Lieder von ihm und da kommen durchaus auch junge Leute. Der Gundermann-Zirkel erweitert sich.
Wenn Sie die Lieder jetzt singen, nachdem Sie beim Drehen so viel über das Leben Gundermanns erfahren haben, verändert sich da etwas?
Das kann ich noch nicht sagen. Ich habe sie noch nicht nach dem Film gesungen. Ich glaube aber erstmal nicht. Denn die Lieder sind die Lieder. Gundermann sagt es ja selbst in unserem Film nach seinem Konzert mit Bob Dylan: Man muss das Werk vom Künstler trennen können. Das stimmt. Ob Bob Dylan ein toller Typ oder ein Stinkstiefel ist, interessiert nicht. Die Songs sind großartig. Wenn ich die Gundermann-Lieder singe, denke ich nicht zwingend an den Menschen Gundermann. Sie haben ein Eigengewicht, ein Eigenleben. Und sie sind schwer zu singen, nicht musikalisch, sondern weil man sich ganz auf sie einlassen muss. Wenn man anfängt, virtuos sein zu wollen, ist man schon erledigt. Die Lieder vertragen das nicht. Man muss ganz bei sich und bei der Sache sein.
Der Kinostart ist am 23. August. Eine gute Premierenzeit?
Eine sehr gute. Wir spielen ja auch Konzerte. Mit großen Open Airs. Sodass wir den Gundermann-Film mit seinen Liedern wirklich begleiten.
Gibt es in Potsdam auch ein Open Air?
Nein, da spielen wir den Film im Thalia. Vielleicht mit ein paar Liedern zur Gitarre. Es gab leider keinen Freilicht-Ort: Der Kinosommer im Waschhaus ist dann schon vorbei. Also gehen wir rein.
Und gibt es Konzerte in der Umgebung?
In Berlin spielen wir im Kesselhaus, das ist schon seit Januar ausverkauft. Unglaublich. Und im Amphitheater am Senftenberger See sind wir einen Tag vor Kinostart. Ein toller und passender Ort am Tagebausee.
Das Interview führte Heidi Jäger Andreas Dresen, geboren 1962 in Gera, lebt in Potsdam. Er studierte an der HFF Babelsberg, ist seit 2012 Verfassungsrichter und wird ab September Professor für Filmschauspiel in Rostock.