Nie mehr: Der Zweck heiligt die Mittel Inteview mit Gerhard Gundermann: „Vor mir selbst bin ich schuldig geworden“
Vergangene Woche erfuhr die Öffentlichkeit, daß der Baggerfahrer und Liederrnacher Gerhard Gundermann von 1976 bis 1982 für die Stasi gearbeitet hat. Als IM“Grigori“ –frei nach Manfred Krugs „Das Flugwesen, es entwickelt sich“ mit der Hauptfigurgur Grigori Kosonossow. Über seine Motive, seine Schuld und seine heutige Sicht auf die Dinge äußert er sich in der RUNDSCHAU.
Wer hat dafür gesorgt, daß aus Gundi „Grigori“ wurde?
Meinst Du jetzt in der Öffentlichkeit oder damals?
Beides.
Also was die Gegenwart anbelangt vor etwa eineinhalb Jahren hat mir ein Liedermacher vorgeworfen, daß ich in seiner Akte auftauche. Ich war ziemlich erschrocken, weil ich mich nach meinen Erinnerungen nur an Sicherheitsüberprüfungen für West Reisekader beteiligt hatte. Ich hab‘ dann versucht, an die entsprechenden Akten heranzukommen, aber als Täter kriegst Du die ja nicht …
Hättest Du nicht damals schon. . .
Nee, da wußte ich ja noch nicht, was ich genau gemacht habe, hätte vielleicht wie manch‘ anderer mit dem besten Gewissen der Welt behauptet, keine privaten Dinge aufgeschrieben zu haben.
In Deinem Alter schon Gedächtnisschwund?
Du mußt es mir ja nicht glauben, aber es war wirklich so. Vielleicht lag das auch daran, daß für mich die ganze Geschichte 1982 vorbei war …
Und wie bist Du an die „Täter“ Akten herangekommen?
Über einen Journalisten.
Und?
Was soll ich jetzt sagen? Ich habe keinen in den Knast gebracht, aber ich hab‘ Sachen über Leute erzählt, die niemanden etwas angegangen wären. Meine Einschätzung über besagten Liedermacher zum Beispiel war vielleicht wirklich anmaßend sowohl was seine künstlerischen als auch seine menschlichen Qualitäten anbelangten.
Fühlst Du dich schuldig?
Ja. Vor mir selbst vor allem. Und eigentlich auch nur wegen dieser privaten Geschichten die ich denen gesteckt habe.
Nicht auch deshalb, weil Du Dich überhaupt mit der „Firma“ eingelassen hast?
Nee, deswegen nicht. Die DDR war mein Land und das Ministerium für Staatssicherheit war dazu da, dieses Land zu schützen.
Du bist also nicht mit irgendwelchen Vergünstigungen geködert worden?
Um Himmels willen, nein! Ich wollte schon immer Agent werden. Hab‘ das schon bei der Berufsberatung in der Schule als Wunsch angegeben. Aber die haben nur gesagt, da müßte ich schon warten, bis jemand auf mich zukäme. Aber es kam keiner.
Bis wann?
Bis 1975. Von da ab durften die Mitglieder der Hoyerswerdaer Singeklubs auch zu Pressefesten kommunistischer Zeitungen im Westen auftreten. Da wollte die Stasi wissen, wer politisch zuverlässig war.
Diese Informationen hast Du dann geliefert. Ja. Ich hab‘ mit dem besten Gewissen der Welt über Westkontakte oder „Provokationen“ bei unseren Auftritten berichtet. Nur bei meinem einzig „richtigen“ Auftrag bin ich dann kläglich gescheitert.
Das war die Ungarn Geschichte?
Ja, da sollte ich Kontakt zu in Mitgliedern der „gefürchteten Lampl Bande“ so stand es immer im ND aufnehmen und sie in die DDR locken. Dort sollten sie „umgedreht“, also in Stasi Agenten umgewandelt a werden. Da hab‘ ich dann mit hochrotem Gesicht etwas gestammelt, die sind natürlich nicht drauf reingefallen.
Hattest Du keine Skrupel?
Nee. Das waren für mich Menschenhändler, die wußten doch, worauf sie sich einlassen. Ich habe gedacht, ich kämpfe für den Frieden.
Wann ging Dir dieser naive Glaube verloren?
Als ich mitkriegte, daß es bei es Stasi nicht um Probleme, sondern um Personen ging. Als ein Kumpel mit zitternden Händen zu mir kam und erzählte, man habe ihn verhört und Schläge angedroht … Ich merkte immer häufiger, daß das, was ich eigentlich wollte, nicht ging. Ich wollte es diesen Oberschlauen in der Armee, FDJ und, Partei zeigen. Dabei hab‘ ich „der Firma“ vertraut.
Dein Vertrauen rührte das wie bei anderen IMs vom „verständnisvollen“ Übervater-Verbindungsoffizier her?
Nee, ich hatte Vertrauen zur Situation, so bescheuert das heute klingt. Das MfS waren für ich Richard Sorge, Feliks Dzerzinsky und Mischa Wolf. „For eyes only“ hab‘ ich mir zigmal angesehen.
Bei aller Begeisterung für den Sozialismus wenn ich abends mit guten Freunden zusammensitze, mit ihnen esse und trinke, mit ihren Kindern spiele und ich mich am nächsten Morgen hinsetze und das aufschreibe mußte man so etwas nicht auch in der DDR moralisch verwerflich finden?
Meine Eltern waren beide in der Partei. Westfernsehen kannte ich in Hoyerswerda nicht. Es gab bei mir kein Korrektiv. Ich weiß nicht, ob ich das getan habe so wie Du es beschreibst mit den Freunden und so. Ich weiß aber, daß ich schuldig geworden bin. Doch ich werde deshalb nicht bis an mein Lebensende in Sack und Asche gehen. Das könnte denen so passen.
Wem?
All jenen, die die ganze Stasi-Kiste nur benutzen, um den Osten kleinzuhalten. Jeder, der seinen Kopf zu weit oben hat, wird doch erstmal mundtot gemacht. Franziska van Almsick war noch zu jung, da mußte eben die Mutter her.
Entschuldige, aber das ist mir einfach zu platt.
Dann sage ich’s nochmal: Ich weigere mich, mein Versagen nun für alle Zeiten instrumentalisieren zu lassen. Die DDR war mein Staat. Die Betriebe, in denen unsere Eltern ihr halbes Leben verbrachten die jetzt verschleudert worden sind das waren meine Betriebe. Ich hab‘ diesem System vertraut. So ein Urvertrauen muß doch jeder Mensch haben. Meine eigenen Maßstäbe haben sich wie bei jedem Menschen erst mit der Zeit entwickelt. Das hat eine Weile gedauert. Aber dann habe ich meine Konsequenzen gezogen.
Wie geht’s nun weiter?
Weiß nicht. Kommt drauf an, wie sich die Leute entscheiden Ob sie auch weiterhin zu den Konzerten kommen oder nicht.
Gab es in den letzten Tagen Reaktionen, die Dich betroffen machen?
Betroffen macht mich, daß ausgerechnet jene, die wirklich Schlimmes durchmachen mußten, die größten Herzen haben.
Gespräch: Sandra Daßler 03.Mai 1995