Warum der Riese gerade Nudeln isst

Thüringische Landeszeitung

Gerhard Schöne, was kann man von Kinderzeichnungen lernen?

Man kann lernen, was es bedeutet, ungezügelt seiner Vorstellungskraft freien Lauf zu lassen. Vor allem sollte man, wenn man die Zeichnung eines Kindes betrachtet, nicht immer gleich fragen: Was ist denn das? So lenkt man das Kind vorschnell in eine bestimmte Richtung. Die Erklärungsnot verhindert dann, dass die Fantasie weiter blüht. Es ist auch nicht immer gut, wenn man einen Tipp gibt, so kann man das malen. Das hast du doch schief gemalt, willst du nicht mal versuchen, das gerade zu malen?

Man sollte sich, statt zu korrigieren, lieber in die Zeichnung vertiefen?

Genau. Unser Jona ist ein Eigenbrötler, er sitzt gern in einer Ecke und malt vor sich hin. Mit fünf war er in einer Phase, wo seine Bilder überquollen vor Geschichten. Alles fliegt durch die Luft, nicht nur geflügelte Wesen, sondern da kann auch mal ein Fahrrad vom Boden abheben.

Das Auto, das sich aufrecht auf der Straße bewegt, hat er sicher nicht im Verkehr gesehen.

Nein. Das hat er sich ausgedacht. Bei so einem Bild hüte ich mich, zu viele Fragen zu stellen.

Aber als Geschichtenerzähler empfiehlst du das Modell weiter. Ihr fliegt zusammen nach Peking, und der alte chinesische Autobauer, der den Entwurf ernst nimmt, entdeckt die Vorzüge des auf den ersten Blick absurd erscheinenden Gefährts.

Ältere Menschen sind oft aufmerksamer und stehen Kindern viel näher. Sie nehmen sich Zeit für sie.

Was sagen deine Kinder, wenn du ihnen die Geschichten vorliest?

Das meiste finden sie ganz schön. Aber sie sagen mir auch, was ihnen nicht gefällt. Zum Beispiel, dass das „Spezialding“, so eine Universalmaschine, die alles kann, am Ende wieder zerlegt wird. Sie hätten es lieber, die Maschine würde weiter produzieren, was sie sich wünschen.

Deine erste Indianergeschichte ist bei den Kindern durchgefallen. Da musste der Erzähler noch mal ran.

Das war nicht das einzige Mal. Hier habe ich am Ende beide Varianten stehen gelassen, auch um zu zeigen, dass wir darüber geredet haben.

Du bist gerade wieder auf Tournee. Wie schaffst du es, Bühne und Familie unter einen Hut zu bringen?

Meist gehe ich nur an den Wochenenden auf Tour. Ich war jetzt drei Tage mit drei verschiedenen Soloprogrammen in den alten Bundesländern unterwegs und bin unter anderem zum 20. Jubiläum der Friedenssteuer-Initiative aufgetreten, die Rüstungssteuer-Boykott betreibt. In einer Kindersendung des WDR in Köln habe ich Lieder gesungen und durfte auch schon mein Buch vorstellen.

Wer hatte die Idee zu dem Geschichtenband?

Klaus Koch vom Buschfunk-Musikverlag. Wir waren auf Tournee, und ich habe für meine Kinder Geschichten in den Laptop getippt. Die Bilder hatte ich bereits zu Hause eingescannt. Unterwegs gibt es oft Zeiten, in denen ich herumsitze, in der Garderobe oder im Hotel, und da bin ich froh, wenn ich etwas zu spinnen und zu arbeiten habe. Beim Frühstück habe ich Klaus Koch eine Geschichte vorgelesen. Die hat ihm so gut gefallen, dass er nach dem Frühstück noch mehr hören wollte.

Du bist selbst mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Wer hat euch damals Geschichten erzählt?

Meine Mutter hat mir einmal, als ich krank war, etwas vorgelesen. Ansonsten kann ich mich an derartiges nicht erinnern. Ich finde das bedauerlich und denke heute, dass meine Eltern etwas versäumt haben. Es war natürlich eine ganz andere Generation. Wir hatten nicht viel Geld, und wenn meine Mutter mit mir Schuhe kaufen war, haben wir bei meinem Vater, der im Arbeitszimmer saß, angeklopft und die neuen Schuhe gezeigt. Da hat er mir vielleicht mal freundlich die Wange getätschelt. Viel mehr Zärtlichkeit gab es nicht.

Beim Geschichtenerzählen entsteht Nähe. Wie lässt sich so etwas in heutiger Zeit, wo von früh bis abends Kindersendungen im Fernsehen laufen und die Sprösslinge gern für sich am Computer spielen, bewahren?

Man kann von den Eltern nicht erwarten, dass sie Geschichten erfinden. Aber sie können ihren Kindern Märchen und Geschichten vorlesen. Vorlesen weckt die Fantasie. Wenn die Eltern dabei merken, dass etwas zu hart oder zu gruselig ist, oder die Geschichte lahmt, bauen sie von selbst etwas in die Handlung ein. Mal etwas ausschmücken oder etwas weglassen. Gucken, ob das Kind merkt, wenn man eine bekannte Geschichte verändert, ob es vielleicht sogar protestiert: Steht das wirklich da? Über solche Spiele kann man ganz gut ins Geschichtenerfinden hineinkommen. Ich fürchte bloß, dass sich viele Eltern nicht genug Zeit dafür nehmen, vielleicht die Zeit auch nicht haben.

Hast du als Kind das Geschichtenvorlesen vermisst?

Das weiß ich gar nicht. Unsere Eltern haben uns zum Spielen ´rausgeschickt. Woran ich mich erinnere: Ich habe mich als Kind oft gelangweilt und fand das in dem Moment schrecklich. Heute sage ich mir: Bloß gut, dass ich mich gelangweilt habe. Denn Langeweile ist die beste Voraussetzung, sich selbst etwas auszudenken. Man soll den Kindern nicht immer alles bereit stellen, sie nicht mit allem Möglichen ablenken. Sie müssen sich auch mal langweilen. Dann erfinden sie plötzlich etwas.

Welche Zeichnung aus dem Band gefällt dir am besten?

Die von dem Riesen und der Nachtigall. Dazu hat mir Jona erklärt, dass der Riese gerade Nudeln isst und weint.

Was auch jeder sehen kann, denn der Riese hat einen Glasbauch. Und welche Geschichte kam bei deinen Kindern am besten an?

So etwas wie den Hochseiltänzer, der nach seinem Absturz das Fliegen lernt, können sie noch nicht richtig verstehen. Dafür sind sie noch zu klein. „Das Spezialding“ und „Die Eisfalle“ sind ihre Favoriten. Beim Vorlesen war Jona hellwach: Hast du auch gesehen, was ich hier noch gemalt habe und hier? Er wollte, dass kein Detail verloren ging.

ZUR SACHE

Weil die Leute nur noch SMS verschicken, rollt Hanni mit dem von Schließung bedrohten Postamt zu ihnen: „Wir verkaufen Tinte, Stifte und Papier. Briefe schreiben, das müsst ihr!“ Beim großen Elbehochwasser schwimmt das ugullische Seepferd Ulla aus seinem Gehege, vorbei an der Semperoper, wo gerade ein Konzert für die Flutopfer stattfindet. Ein Riese verliebt sich in den Gesang der Nachtigall. Versehentlich verschluckt er sie. Erst als er sich Spaghetti kocht und diese in Gänze hinunterschlingt, hangelt sich die Sängerin daran ins Freie.

Unerhörtes berichtet Gerhard Schöne in seinem Band „Wenn Franticek niest“, in dem er 18 Geschichten und ein Gedicht zu Bildern seines fünfjährigen Sohnes gesammelt hat. Inzwischen ist Jona sechs und malt mit nicht nachlassendem Eifer. Manchmal malen seine dreijährige Schwester Hannah und der siebenjährige Bruder Jakob mit. Ihre fantasievollen Zeichnungen bilden die Grundlage für die poetischen Geschichten, die Vater Gerhard, der früher bereits Bildbeschreibungen zur Gitarre vortrug, zu Papier gebracht hat. Sein Kinder- und Familienbuch soll zum Vorlesen animieren. Es erscheint im Hausverlag des Liedermachers, der bisher 25 CDs veröffentlicht hat.

Eine Antwort hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst einige HTML-Tags verwenden.

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>