Wer redet denn von Westalgie?

Ida Kretzschmar von der Lausitzer Rundschau - 10.10.2003

„Das Leben hat was“ meint der ostdeutsche Chanson-Sänger Jürgen Walter in seinem neuen Album, das er am Sonntag ab 16 Uhr im Cottbuser Hotel Holiday Inn vorstellt. Musikalisch begleitet von dem Saxophonisten Caspar Hansmann präsentiert er Lieder seines Lebens.

LR: Was hat es denn für Sie, das Leben?

Jürgen Walter: Ich bin gesund, habe eine Arbeit, die mir Spaß macht und die mich ernährt. Und ich werde geliebt. Was braucht man mehr? Mein Leben birgt immer wieder Überraschungen.

LR: Für die neue CD hatten Sie sich nach 22 Jahren wieder mit dem Komponisten Arndt Bause zusammengetan. Wie ist das, jetzt die letzten gemeinsamen Lieder zu singen, da der Weggefährte nicht mehr da ist?

Walter: Es war unsere letzte große gemeinsame Arbeit. Und sie hat uns großes Vergnügen bereitet. Ich denke sehr gerne daran zurück und singe seine Lieder, sowohl die alten als auch die ganz neuen, und freue mich, dass er durch diese Lieder weiter leben wird. Meine Autoren freuen sich, dass ihre Lieder, von ihnen losgelassen, meine werden. Ich kann die Lieder nie von den Autoren trennen, vergesse nicht, dass die Kompositionen von Arndt Bause oder Thomas Natschinski sind und die Texte von Gisela Steineckert.

LR: Von Gisela Steineckert ist ja gerade auch ein Buch erschienen:“Das Schöne an den Männern“.

Walter: Ich habe es schon gelesen.

LR: Sie müssen es ja auch wissen, singen Sie doch selbst: „Auch Männer sind schön“. Was ist denn nun das Schöne an den Männern?

Walter: Dass sie auch Menschen sind mit allem Für und Wider. Mit Tugenden und Untugenden, mit allen Lax- und Faulheiten, mit allem Fleiß. Man ist nicht so jung wie man sich fühlt. Man ist so schön wie man sich fühlt. Das trifft’s eher. Das Publikum macht mich schön, indem es mich auf eine besondere Weise anschaut, mir zuhört. Und was kann einem Mann schon Besseres passieren, als dass einem jemand zuhört?

LR: Ja, das Leben hat was. Was würden Sie niemals missen wollen?

Walter: Meinen Beruf. Und meine gute Laune. Auch, wenn es nicht optimal gelaufen ist, sehe ich immer einen neuen Anfang. Man muss auch bereit sein, sich zu verändern und neu durchzustarten. Das braucht Kraft. Dafür lasse ich manche Dinge einfach nicht zu nah an mich heran. Was soll ich mich aufregen, dass im Fernsehen immer dieselben Nasen zu sehen sind und andere ignoriert werden?

LR: Für die „Goldene Henne“ aber wurden Sie nominiert, auch wenn letztlich andere den Medienpreis mit nach Hause nahmen. Waren Sie enttäuscht?

Walter: Nein, überhaupt nicht. Ich habe mich gefreut, dass mich Leser einer Zeitung ausgeewählt haben unter fünf Kandidaten, die nicht irgendwer waren. Wäre mir der Preis zugesprochen worden, hätte ich ihn sowieso weitergegeben an Arndt Bause, posthum. Wenn einer einen Preis in Erinnerung an Helga Hahnemann verdient hätte, dann er. Die Lieder, die er für sie geschrieben hat, machten einen großen Teil ihrer Persönlichkeit aus, hoben die Ulknudel auf ein anderes Podest, zeigten ihre Möglichkeiten. Dieses eigene Repertoire hatte sie Arndt Bause zu danken. Auch mir hatte er ja ein Repertoire auf den Leib komponiert, mit dem man alt und grau werden kann. Grau bin ich schon.

LR: Apropos. Was wünschen sie sich zu ihrem 60. Geburtstag im Dezember?

Walter: Zum 50. Geburtstag habe ich mit Rauchen aufgehört. Etwas Ähnliches will ich mir auch zum 60. schenken.

LR: Aber bekommt man Geschenke nicht eher von anderen?

Walter: Wenn ich etwas an Geschenken gut leiden kann, dann sind das Freundlichkeit, Vertrauen und Zuverlässigkeit. Das hat mit Geld und materiellen Dingen nichts zu tun. Ich weiß noch nicht, wo ich sein werde an diesem Tag.

LR: Wo ist denn Ihr Lieblingsplatz?

Walter: Entweder bei mir zu Hause in Falkensee oder zu Hause auf Teneriffa.

LR: Weil da auch Papageien zu Hause sind, tippe ich mal.

Walter: Richtig. Dort gibt es diesen berühmten Loro Parque (Loro = Papagei). Ich bin Mitglied der Loro-Foundation, engagiere mich für die vom Aussterben bedrohten Arten und den Erhalt des Urwaldes. Ein Benefizkonzert im Loro Parque ist für nächstes Jahr geplant.

LR: Sie lieben und verbreiten Harmonie. Was macht Sie zornig oder traurig?

Walter: Unlängst war ich in Forst zum Konzert, und es ist mir wichtig, hinterher mit den Besuchern zu reden. Da erzählte man mir, dass die jungen Leute alle weggingen, weil die Textilindustrie zusammengebrochen ist und es keine Arbeit mehr für sie gibt. Diese Perspektivlosigkeit macht mich traurig. Da sägt doch die Gesellschaft an einem Ast, auf dem sie selbst sitzt. Das finde ich zum Fürchten. Es ist wirklich an der Zeit, dass sich Politiker Vertrauen erdienen, nicht verdienen.

LR: Müssten Sie wählen unter Ihren mehr als 400 Liedern – was wären d i e Lieder Ihres Lebens?

„Schallali“ hat mich auf die Bretter gehoben, die für mich die Welt bedeuten. Für „Clown sein“ habe ich mich aufs Trapez geschwungen und aufs Seil gewagt. Ich liebe alle meine Lieder. Sie sind mein Leben.

LR:Läuft man nicht Gefahr, in Erinnerungen zu schwelgen? Zumal uns ja auf dem Bildschirm eine regelrechte Ostalie-Welle überschwemmt.

Walter: Ich schwelge nicht. Ich bin stolz auf meine Biografie. Aber diese Ostalgie-Shows kann ich gar nicht leiden. Da mieten sich West-Journalisten eingeborene Ost-Unterhaltungskünstler, und es erschreckt mich, wie sie den Kakao schlürfen, durch den sie gezogen werden. Das Leben in der DDR war differenzierter, mit Höhen und Tiefen, Freude und Schmerz, mit Liebe, Hass, Mut, Angst, Individuen und Kollektiv, mit Lebensformen, die anders waren als im Westen. Es wäre notwendig, sich damit objektiv und ohne ideologische Zerrbrille auseinander zu setzen. Wer redet denn von Westalgie? Dieses Kleben an dem im Kalten Krieg entstandenen DDR-Bild behindert uns doch auch. Wann wird denn das überwunden, bitte schön?

LR: Wenn man Sie einladen würde in eine solche Show?

Walter: Um über Ata zu reden? Das sagt nichts über die DDR. Dazu wäre ich mir zu schade. Ich bin auch zu Ostzeiten nicht in jede Sendung reingegangen. Da haben manche gesagt: Will denn der nicht Karriere machen? Natürlich wollte ich Karriere machen. Aber ich verkaufe mich nicht. Weder damals noch heute. Ich bereue nichts in meinem Leben. Meine Eltern waren ganz einfache Leute, ich habe Germanistik und Romanistik studiert, die Musik für mich entdeckt, viel gearbeitet, mich auch geirrt, Chancen verpasst. Dann gab es eben neue. Und irgendwie fühle ich mich immer noch wie ein Lehrer, von dem Menschen etwas erwarten.

LR: Was wollen Sie lehren?

Menschlichkeit.

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