Der Komponist, Sänger und Kinderliedermacher Reinhard Lakomy ist im Alter von 67 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Da kam er aus dem Saal – klein, aber doch unübersehbar unter Hunderten Premierengästen mit diesem leuchtend weißen Haarschopf, Langhaarfrisur mit Pony, dazu Oberlippenbart und eine anscheinend ewig gleiche kleine Nickelbrille auf der Nasenmitte. Wie vor zwanzig, dreißig Jahren verbreitete er den Eindruck von Unveränderlichkeit, wenn wir mal von den farblichen Verläufen absehen und davon, dass der einst sehr schmale Mann rundum stabiler geworden war. Damals jedenfalls, bei dieser Premiere vor ein, zwei Jahren, wirkte Reinhard Lakomy noch trotzig, stolz und nach außen verschlossen wie eine Festung. Das war lange vor dem Ausbruch der Krankheit, die ihn zuletzt dünn, müde und schwach werden ließ und also dann doch sehr veränderte. Am Sonnabend ist der Komponist, Sänger und Kinderliedermacher Reinhard Lakomy im Alter von 67 Jahren in Berlin-Blankenburg gestorben. Er war eigentlich sein Leben lang gesund, die schnelle grausame Krankheit, die Anfang Februar bei dem leidenschaftlichen Raucher diagnostiziert wurde, heißt Lungenkrebs.
„Direkt durch die Mauer“
Ich merkte, wie sich die Nachricht von seinem bevorstehenden Tod steinschwer in mir einnistete. Seine Lieder „Es war doch nicht das erste Mal“ oder „Heute bin ich allein“ klingen mir doch bis heute in den Ohren, mit dem „Traumzauberbaum“ ist auch unser Kind groß geworden. Wir kannten uns vierzig Jahre, er zog damals nach Blankenburg, ich nach Buch. Als er mit dem Einbau der Heizung in seinem alten Haus fertig war, übernahmen wir seine Monteure für unser altes Haus. So war das einmal, aber die letzten anderthalb Jahrzehnte sprachen wir nicht mehr miteinander, und dann war es zu spät. Er fand sein Werk in der Zeitung nicht hinreichend gewürdigt. „Ich bin Steinbock. Die gehen geradeaus, manchmal direkt durch die Mauer“, pflegte er zu sagen. Was für ihn geradlinig und direkt war, empfand mancher Weggefährte nicht nur in seiner Autobiografie als verletzend. Einige Freunde Lakomys blieben so auf der Strecke, manche sind wieder zu ihm zurückgekehrt, wie die Sängerin Angelika Mann. Sie hat an seiner Seite die ersten Schritte ihrer Laufbahn getan, ihn nicht nur als ihren Komponisten geschätzt, sondern als Erzmusikanten, humorvoll, energetisch, in der Arbeit absolut unnachgiebig und genau. Sie ist ihm bis heute dankbar. Den Fans sind Animositäten unter Künstlern sowieso egal, sie kaufen mit beispielloser Treue seine Kinderplatten, indessen 13, und füllen seine Konzerte, nun schon in dritter Generation.
Und wer sang?
Eine Prophezeiung, dass ihn sein Ruhm als Kinderliederautor überleben wird, hätte Lakomy als junger Musiker womöglich als üble Nachrede verstanden. Kinderlieder, wo er doch klassisch ausgebildet war und sich in der Jazzszene zu Hause fühlte. 1946 in Magdeburg geboren, studierte er Klavier und Komposition in Dresden und Berlin, bevor er als Pianist bei Klaus Lenz einstieg, eine Jazz-Institution, später bei Günther Fischer. Die Jazzer bildeten ja eine sehr eigene Szene in der DDR, pflegten einen Status von Freiheit und Subkultur, ließen sich politisch nicht einbinden und sangen, wenn überhaupt, dann englisch. Entsprechend pikiert reagierten etliche, als einer der ihren plötzlich abdriftete und mit eigenem Liedgut auftrat, so anders. Kein Schlager, kein Rock, aber alles auf deutsch. Und wer sang? Lakomy selbst, bisher doch kein Sänger, trug da Popballaden vor, Geschichten aus dem Alltag. Davon, wie er sich unsterblich verliebt und für einen anderen aussortiert wird. Wie er Ferien macht von seiner Liebsten und alles auskostet, was sie nicht leiden kann. Ein neuer Ton war das 1972 (Texte: Fred Gertz), fern der piefigen Schlagerseligkeit, unpolitisch, erfrischend.
In der DDR brach die große Zeit der Rockbands an. Lakomy hatte Sängerinnen wie Nina Hagen, Uschi Brüning, Angelika Mann, Veronika Fischer in seinem Chor, er zog bald mit eigener Band durchs Land, brachte drei Platten in hohen Auflagen heraus, bis er 1977 die Tänzerin und Texterin Monika Ehrhard heiratete und das verlotterte Tourleben mit seinen Sauf-Exzessen ein Ende fand. Fortan wollte er sich in Ruhe seinen Kompositionen widmen, schrieb Filmmusiken und elektronische Musik. Und dann kamen die berühmten Geschichtenlieder, Monika Ehrhardt steuerte die Texte bei und erfand die Traumgestalten für Kinder. Vor allem die ersten Platten entfalteten wieder etwas Eigenes, Neues – Kindgerechtes ohne Tümelei. Die fein durchkomponierten Stücke hatten hoch eingängige Melodien unter Umschiffung von zu viel Süße, wurden getragen von himmlischen Glockenstimmen oder dem brummig-verrauchten Sprechgesang des Meisters selbst, schön.
Lästige Tourneen
Monika Ehrhardt hat Ordnung gebracht in Lakomys Leben. Sie, die politisch Geradlinigere, hielt von nun an Kontakt zu Funktionären, setzte Privilegien wie Reisefreiheit durch für die Lakomys, sorgte dafür, dass neue Kinderlieder-Platten regelmäßig als Revuen im Friedrichstadtpalastes inszeniert wurden. Lakomy dagegen galt dem Staat als gänzlich unberechenbar. Von einem Stasi-Anwerbeversuch erzählte er bewusst lärmend in großer Runde – und hatte die Sache sofort vom Tisch. Seinen Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung zog er auch auf dringendes Anraten nicht zurück, da konnte er unerschrocken sein. Er hat den Sozialismus oft zum Teufel gewünscht und doch immer an ihn geglaubt und für irgendwie verbesserungsfähig gehalten. Zugleich verübelte er jedem Kollegen seine Ausreise in den Westen, polterte sogar öffentlich.
Für Künstler taugt die Marktwirtschaft nicht, das war seine Überzeugung. Tatsächlich hatten privilegierte Künstler wenig auszustehen in der DDR, dem Land mit abgeschlossenem Markt. Lakomy erzählte gern, wie lästig ihm Tourneen waren, wie ungern er sich auf der Bühne wiederhole. Aber seinen Arbeitsplatz konnte er sich ja daheim einrichten. Dort hat er drei Elektronik-Alben herausgebracht, wohl 200 Film- und Ballettmusiken geschrieben, ein wirklich lohnendes Geschäftsmodell aber wurden erst seine Kinderlieder.
Ungeschliffen, wie er selbst
Die haben ihn auch zurück auf die Bühne geholt, dafür nahm Lakomy dann jede Wiederholung in Kauf. Seit Jahren schon ist er mit seinen drei Traumzauberbaumfiguren auf Tournee. Die Termine sind gefragt, reichen bis 2014, aber die Vorstellungen müssen jetzt ohne ihn laufen. Monika Ehrhardt hat das Programm umgeschrieben, als Lakomy erstmals ausfiel und erzählt, wie erleichtert sie war, dass es trotzdem funktioniere, dass der Traumzauberbaum weiter lebt. Dies sei Lakomys größter Wunsch. Sie hat nicht an Aufhören gedacht bei der Nachricht, wie es um ihren Mann stand, sie informierte die Superillu. So erfuhr man schon Anfang März, dass Lakomy keine Chemotherapie wolle, dass er gefasst sei, auf ein schönes Leben zurückblicke und sein Grabstein ungeschliffen sein soll, wie er selbst.
Dann ließen seine Kräfte zügig nach und Monika Ehrhardt, die immer zu ihrem Mann gehalten hat, und die überaus geliebte gemeinsame Tochter Klara-Johanna haben seine letzten Tage zu Hause bewacht. Nun wird es keine neuen Traumzauberlieder mehr geben. Sein erster Bandchef, der Jazzmusiker Klaus Lenz, sagt, er verliere einen Freund und Ostdeutschland einen großen Künstler.