Filmregisseur Andreas Dresen hat seine Deckung also wirklich aufgegeben und setzt auf den direkten Angriff der Musik. Musik, die er selbst macht! Cineasten müssen sich allerdings keine Sorgen machen, denn, nein, er ist ihnen nicht abhanden gekommen. „Tim Thaler“ ist abgedreht, nun befindet sich der Kinderbuch-Klassiker in der Post-Produktion, sein Kinostart ist pünktlich zum diesjährigen Weihnachtsfest angedacht. Mit dabei: Axel Prahl.
Vor dem Dreh hatten Dresen und Prahl – immerhin nach vier gemeinsamen Streifen – ihre dienstliche Beziehungspause auch mit dem Fitmachen ihrer Live-Band verbracht. Dass der ehemalige Straßenmusiker Prahl seit fünf Jahren ernsthaft ein Inselorchester betreibt, hat er schon bei seinen Auftritten in Dresden bewiesen. Mit Dresen aber ist es nun der reine Spaß. So lautete auch die Antwort auf die Frage von Prahls Managerin, was denn „das Ziel dieses Projekts“ sei – Manager fragen so komische Sachen. „Spaß“, meinte der inoffizielle musikalische Chef, Jens Quandt. „Na, das ist doch mal ein guter Grund“, sagte die Managerin lächelnd. Axel Prahl hat mutmaßlich gegrinst. Breit. Sehr breit!
Zu grinsen und zu lächeln gibt es jede Menge, wenn Prahl, Dresen und Band nun auf Tour sind. Sie geben zu sechst exakt die energetische Dampfsperre zwischen Schülerband und Singeklub, Männerrunde und der absolut nötigen Portion Ernsthaftigkeit. Da sie vor allem angetreten sind, um das Erbe des 1998 gestorbenen Hoyerswerdaer Liedermachers Gerhard Gundermann wachzuhalten, braucht es diesen Ernst. Stücke wie sein „Kommen und Gehen“, „Brunhilde“, „Vater“, „Europa“ oder „Schwarze Galeere“ mit ihrer atemlos machenden Aktualität oder einfach „stimmenden“ Stimmung kann man nicht mal eben runterrotzen. Und diese Band macht es nicht. Der angenehm unverstellten Lockerheit des ausverkauften Montagabens im Sarrasani-Zirkusrund (am Dienstag war es garantiert nicht anders) tat es keinen Abbruch.
Natürlich wurde gefrotzelt und geherzt. Prahls Anspielungen auf seinen anderen „Tatort“ („Andi muss immer das letzte Wort haben. An wen mich das wohl erinnert?“) konterte Dresen mit dem Wink, dass man seinen West-Kumpel Axel immer für einen Ossi halten würde, läge auch an seiner Kleidung. War aber wirklich ein besonders legerer Chic, dieses schwarze Oberteil! Sängerfestspiele klingen anders. Axel Prahl weiß das, Andreas Dresen sowieso. Es war auch keine Feier des akustischen Gitarrenhandwerks – Al Di Meola kann beruhigt weiterschlafen. Die beiden Solisten werden von ihren durch und durch gestandenen Musiker so gebettet, dass sie im Grunde tun und lassen können, was sie wollen. Wenn ihnen Töne wegrutschen, fallen sie bei Jens Quandt (Tasten), Jürgen Ehle (E-Gitarre), Harry Rossweg (Bassgitarre) und Nicolai Ziel (Drums) ins Netz. Das war sicher auch ein Grund für Andreas Dresen, aus der Deckung herauszukommen.
„Kein Lebender hat ihn vorher singen sehen“, sagte Axel Prahl nach dem ersten gemeinsamen Auftritt zum zehnten Todestag Gundermanns vor 3000 Menschen in Berlin. „Und danach auch nicht wieder“, hatte Dresen geantwortet. Doch sie machten es weiterhin – in Prahls Haus auf dem Lande, in Quandts Studio, für sich allein, zusammen, auf Bühnen. Das Label Buschfunk befeuerte, und nach dem auf CD dokumentierten Konzert zum 60. Gundermann-Geburtstag im Februar 2015 (siehe ergänzenden Artikel auf dieser Seite) gaben sie dem Drängen nicht gerade weniger lokaler Konzertveranstalter im Lande nach. Gundi Gundermann hätte es genauso gewollt: Ost und West stehen gemeinsam auf der Bühne, singen noch heute und morgen sowieso seine Lieder zusammen mit denen von Rio Reiser und dessen Scherben („Übers Meer“, „Ich hab nix“). Prahl bringt eine Handvoll eigene Stücke mit, in die Dresen lustvoll einsteigt („Blick aufs Mehr“, Weitergehn“, „Bla Bla Bla“). Gisbert zu Knyphausens getriebenen „Sommertag“ hatte Dresen in den Abspann seines Krebs-Dramas „Halt auf freier Strecke“ gesetzt. Das Lebens-Ja, das er versprüht, hilft auch im Alltag. Jürgen Ehle zeigt mit dem Wolf-Maahn-Cover „Die Sucht der Träumer“, dass er als Sänger wohl immer unterschätzt worden ist. Jens Quandt erinnert mit dem Tscheburaschka-Geburtstagslied gar an seine Russisch-Intensiv-Schülerzeit.
Doch immer wieder finden die sechs zurück zum Baggerfahrer Gundermann, der auf seinem Führerstand so herrlich Gedanken fliegen lassen und in unsterbliche Poesie und unvergessliche Lyrik betten konnte. Später, als Arbeitsloser, tat er es vom Dach seines kleinen Reihenhauses aus. „Zweitbester Sommer“ entstand auf diese Weise. Was für ein Granit von Lied!
Dass man Gundermann weiterhin entdeckt und wiederentdeckt, gibt und weitergibt´, erkennt und hinterfragt, liegt eben auch an diesem Prahl/Dresen Bandprojekt. Dass man MDR und ORB nicht zwingen kann, die Zwangsgebühren der Bürger für einen lange geplanten Dresen-Film über Gerhard Gundermann (sehr wohl mit all seinen Angriffsflächen) zu verwenden, macht ohnmächtig. Hat der stete Tropfen überhaupt noch eine Chance, den Stein zu höhlen?