Axel Prahl stellt mit seinem Inselorchester im Gewandhaus den „Blick aufs Mehr“ vor Stehender Jubel, gellende Pfiffe: Axel Prahl und sein Inselorchester bringen im Leipziger Gewandhaus zweieinhalb Stunden lang die Luft zum Brennen
Schwarze Jeans, taufrisch sind sie nicht, ausgelatschte Turnschuhe, ein zu großer Pullover, auch nicht eben erst aus dem Laden geholt, darüber lässig eine Reporterweste: Der da am Donnerstagabend einsam auf der riesigen Gewandhausbühne den Hocker erklimmt, die Gitarre etwas umständlich vor den Bauch geklemmt, sieht aus wie sein eigener Roadie. Oder wie Frank Thiel, der es als Spross eines kiffenden Taxifahrers in den höchsten, den Tatort-Polizeidienst geschafft hat.
Das ist der Fluch des Axel Prahl, 52. Dass er, egal was er macht, sich als Tatort-Kommissar in die kollektive Netzhaut eingebrannt hat. Aber es ist auch sein Kapital. Nicht weil er, wie andere zuvor, die ungeheure Popularität der besten derzeit produzierten ARD-Sonntagskrimis nutzt, um mit seinem musikalischen Hobby noch ein paar Euro nebenher zu verdienen. Sondern weil jeder sofort sieht: Da ist einer ganz bei sich selbst, egal ob im Fernsehen, auf der Theater- oder der Konzertbühne. Axel Prahl ist, ja, ein abgegriffenes Wort, aber hier ist es das beste: authentisch.
Natürlich ist er dabei auch Vollprofi. Niemand glaubt ihm wohl im Ernst, das Inselorchester um seinen famosen Arrangeur Danny Dziuk klemme noch im Tourbus auf der Autobahn. Die Ansage braucht er, um erst mal allein anzufangen, um grandios Gershwins „Summertime“ zu bluesen oder „Thank You“ zu schmachten, seinen ersten eigenen Titel auf Englisch, den er zu einer Zeit schrieb, als „am Lagerfeuer immer schon alle am Knutschen waren und dann zu mir sagten: Mensch, Axel, spiel‘ uns doch noch einen“. Bereits der Solo-Auftakt des Leipziger Konzerts zum verspäteten Debüt-Album „Blick aufs Mehr“ beweist: Auch musikalisch haben wir es da mit einem Vollprofi zu tun.
Wie sich diese unvergleichliche Stimme beinahe zornig durch Bess‘ Wiegenlied raspelt oder durchs eigene Liebeslied streicht, wie Prahl sich dazu filigran und subtil auf der akustischen Gitarre begleitet, das lässt ahnen, dass es keineswegs Aufschneiderei ist, wenn er selbstbewusst verkündet: „Ich mache Musik, seit ich acht bin.“
Diesem Weg vom Achtjährigen, der auf dem Schoß der Tante mit der Kittelschürze für ne Mark den Heintje nachsingt, über den Halbwüchsigen, der sich in die Herzen der stolzesten Frau’n klampft, und den verirrten Lehramtsstudenten bis hin zum ernstzunehmenden Liedermacher ist die erste Halbzeit gewidmet. Prahl singt Gundermann. Prahl singt Reiser. Prahl singt frühen Prahl. Prahl lässt Dziuk singen und das mit zwei Keyboards, Holzgebläse, Streichtrio und Rhythmusgruppe so originell wie farbenfroh besetzte Inselorchester sich warmspielen und zieht das Publikum im gut gefüllten großen Saal bereits ganz auf seine Seite.
Um nach der Pause endgültig zu beweisen, dass es sich gelohnt hat zu warten – den Blick immer fest geheftet aufs Mehr. Eins zu eins singt und spielt er hier live und in Farbe sein Debüt-Album vor. 14 Songs zwischen Chanson und Rock-Ballade, zwischen Shanty und Polonaise, zwischen Melancholie und Satire. Alle selbst getextet, alle selbst komponiert, alle arrangiert und eingefärbt von Dziuk. Und, vor allem: alle gut.
Lange hat kein Liedermacher, so nennt Prahl sich selbst, und eigentlich passt das Etikett ziemlich gut, mehr so subtil mit Vertrautem gespielt und dabei so Eigenständiges abgeliefert. Die Melodien fräsen sich sofort ins Ohr, man glaubt, sie beim Ersten Mal bereits mitsingen zu können – und entdeckt sie auch beim 23. noch neu. Gleiches gilt für die im Grunde schlichte Harmonik, die meist nah am Zentrum des Quintenzirkels verharrt, um hin und wieder doch den Rand auszuleuchten. Gleiches gilt für Dziuks Arrangements, die auf Farbe setzen, auf federnde Rhythmisierung, auf Klarheit und Wärme.
Wenn Prahl mit diesem Instrumentarium balladesk vom unerbittlichen Schicksal des Seefahrers erzählt („Reise, Reise“), bitter von verflossener Liebe („Wieso bis du immer noch da?“), tieftraurig vom Tod eines Freundes („Schön, dass du da bist“), in böser Partylaune von der Globalisierung („polonaise internacional“), weise stabreimend ganz Grundsätzliches („Wilde Welle“) oder von der Körperpflege (Zugabe), macht er seinem Publikum einen unvergesslich schönen Abend.
Sich selbst, auch das glaubt man ihm aufs Wort, ebenso. Denn Axel Prahl ist eben ganz bei sich auf der Konzertbühne. Da gehört er hin. Ins Fernsehen natürlich auch. Oder ins Kino. Ins Theater sowieso.