Die Sache auf nichts gestellt

von Karsten Krampitz, Junge Welt

Die Sache auf nichts gestellt

Irgendwann im Sommer 2007 war es, da rief ich ihn an auf dem Handy: »Mensch, André, ich stehe gerade im Deutschen Historischen Museum – und du ahnst ja nicht, wessen Plakat hier an der Wand hängt …« – Er aber meinte nur: »Schon wieder? Wen interessiert’s?«

»Parteidiktatur und Alltag in der DDR« hieß die Ausstellung und hatte zumindest für mich als angehenden Historiker einen hohen Unterhaltungswert. Zu den ersten Exponaten, auf die der Besucher stieß, gehörte Ulbrichts Pudelmütze. Und nur wenige Schritte weiter fand sich in einer Glasvitrine die geblümte Kittelschürze von Frida Hockauf, der Mutter der DDR-Aktivistenbewegung. Ihr wird der Satz zugeschrieben: »Denn so, wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben!« Ach, wie recht sie doch hatte.

Wie auch immer, als Künstler muß man dergleichen erst mal schaffen: »Du bist mit Ulbricht und Frieda Hockauf in einer Sammlung. Jetzt biste Geschichte!«

Auf dem alten Poster sieht man die Christinenstraße, an der Bezirksgrenze zwischen Prenzlauer Berg und Mitte. Offenbar muß André dort seit Ewigkeiten gewohnt haben, in Zeiten, als es dort noch jede Menge freie Parkplätze gegeben hat. Und was noch auffällt: André Greiner-Pol, kurz AGP, ist der einzige bei Freygang, der keinen Bart hat. Eine schwarze Chopperjacke trägt er. Echtes Leder!

»Wo hattest du denn die Klamotten her?« wollte ich wissen. – »Ist doch egal.«

Auf jeden Fall werde er sich diesen »Dreck« nicht mehr anschauen. Geschichte sei geschehen, aus und vorbei. Dennoch bat er mich, »nur so, zur Information«, ihm den Bildkommentar vorzulesen. Zum Glück habe ich an dem Tag den Katalog gekauft: »Plakat der Gruppe Freygang. Deutsche Demokratische Republik, 1982/1983, Papier, Siebdruck, 39 x 57,5, Inv.-Nr.:P98/1824. 1977 gründete André Greiner-Pol die Berliner Blues-Band. Ihre Auftritte in Jugendklubs und Gaststätten waren Happenings. Der Magistrat erteilte in den 80er Jahren mehrere Spielverbote, die die Kultband unterlief, indem sie ihre Namen wechselte. Beispielsweise gastierte sie als »OK« 1987 in der Sowjetunion und spielte 14 Tage an der Erdgastrasse im Ural. Freygang tritt auch heute noch auf.«

Eben dieser letzte Satz war das Problem und beinahe schon eine kleine Unverschämtheit. Sämtliche der neun Alben wurden nach ’89 veröffentlicht. Ohne jede Reklame und Rezension in der Presse hat Freygang all die Jahre immer vor zwei-, dreihundert Leuten gespielt, und zwar vierzig Konzerte im Jahr! Und im Museum steht geschrieben: »… tritt auch heute noch auf.«

Im Freundeskreis habe ich gern erzählt, ich sei Texter von Freygang, was leider nicht stimmt. Ich bin auch kein Auto, wenn ich mich in die Garage stelle. Unlängst habe ich beim Erstellen des Songbooks geholfen, habe einige der Musikerporträts geschrieben. Ansonsten findet sich auf dem Album »Nr. 9« ein einziger Songtext von mir, »Paradies« – und den habe ich auch noch geklaut. Wobei man in der Dichtung selten von Diebstahl spricht, sondern von »intertextuellen Bezügen«, in diesem Fall zu Max Stirner.

Der Begründer des Individualanarchismus fragte in seinem Werk: »Was soll nicht alles meine Sache sein!« – Gott, die Menschheit und das Vaterland usw. Und wie bei Stirner zu lesen, hört man bei Freygang: »Ich hab’ meine Sache auf nichts eingestellt!«

Oft wurde die Band mit Ton-Steine-Scherben verglichen. Und wie so viele Vergleiche hinkt auch dieser. Bei den Scherben stand das »Wir« im Mittelpunkt. Man denke nur an: »Die letzte Schlacht gewinnen wir!« – Bei Freygang ging es dagegen immer um das »Ich«; der einzelne emanzipiert sich von der Mehrheit, hält Abstand zur Masse, denn im Ernstfall kann er sich nicht auf sie verlassen. Anders als die von Rio Reiser wird man diese Songs nie auf einer NPD-Demo hören. Das Material ist einfach zu undeutsch.

»schwätzer umschwirrn mich/mach mal das licht aus/is ja nich anzusehn,/die kann man nur niedermähn/hoch die tasse & gut nacht,/ich hab viel blei euch mitgebracht/der blues muss bewaffnet sein/sonst glaubt dir kein schwein (…)//kommt staatsgewalt mir in die quere/verteidige ich meine ehre/dem staat sein gewaltmonopol/ist das, was ich mir runterhol/ich bin mein eigner brückenkopf, & geb mir selber feuerschutz. (Aus: »Der bewaffnete Blues«, Text: Bert Papenfuß).

In der Nacht zum 15. Dezember ist André Greiner-Pol in den Armen seiner Freundin Delia gestorben. Herzinfarkt. Und es gibt keine Worte, die ihren Schmerz beschreiben können, geschweige denn trösten. Auch nicht für Cayen, die gemeinsame Tochter.

In ein paar Wochen wollten die Freygang-Leute ins Studio gehen, die zehnte Platte einspielen. In einem der neuen Songs wäre es darum gegangen, daß »nett« nur der kleine Bruder von scheiße ist. André Greiner-Pol ist nie nett gewesen. Man konnte mit ihm befreundet sein, und das über lange Zeit. Man konnte sich aber auch mit ihm überwerfen – jedoch nicht streiten. Wenn es nicht um irgendwelche politischen Sachen ging oder simple Geschmacksfragen, setzte AGP sich durch. Er diskutierte nicht; er teilte mit. Seinem Gegenüber kam er manchmal so weit entgegen wie andere eine Waschmaschine werfen. Aber lassen wir das.

Irgendwie ist jede Kunst undemokratisch und Konsens nur ein anderes Wort für Mittelmaß, für »nett«. Komisch: Er selbst hat die fehlende Streitkultur immer bestritten. Den Umstand, daß Freygang eigentlich alle anderen Bands aus der späten DDR-Indieszene überlebt hat – seien es Ichfunktion, die Firma, die Skeptiker oder auch Herbst in Peking und und und – erklärte er nicht mit seiner Autorität, sondern mit dem absoluten Drogenverbot. »Saufen ja, aber nichts anderes!« Die anderen seien nicht künstlerisch gescheitert, sondern menschlich und ökonomisch. Einige Kollegen hätten ihre Gage für Koks verballert und dabei, wie André Greiner-Pol sagte, »jede Bodenhaftung verloren«.

Der Dokumentarfilmer Thomas Heise charakterisierte Freygang als Band für den vierten Stand. Dem hat Greiner-Pol widersprochen. Im Gegenzug wollte er aber nicht erklären, was denn an Freygang »bürgerlich« sei. Außerdem wußte er nicht, wann er das letzte Mal in einer Kirche oder einem Audimax gespielt hat.

In Erinnerung wird bleiben, daß er sein Publikum gerne mal mit »Na, ihr CDU-Schweine!« begrüßte. Sein Freund Key Pankonin, der Sänger von Ichfunktion, zeichnete in seinem Insiderbuch »Keynkampf« das Bild eines launischen und gleichsam stolzen Regenten: »Auf der Bühne steht er erhobenen Hauptes und schaut gnädig auf sein Publikum hinunter. Ist er gut aufgelegt, dann teilt er seine Kraft und seinen Glauben an den Rock ’n’ Roll mit den Unwürdigen des Volkes. Wenn Majestät es gefällt zu wüten, dann tut er es gründlich …«

Der König ist tot.

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