Duo Sonnenschirm: Billiges Vergnügen, Auferstanden, zugetextet: Wiederkehr der Brachialromantik

von Oliver Hotopp, Kritiken Deutschland

1997 war das Duo Sonnenschirm Beckert/ Wolff in die Diaspora gegangen, hatte sich in alle zwei Ecken Sachsens verstreut, um fortan auf getrennten Schienen der guten brachialromantischen Sache zu dienen. Selten nur unterbrachen kurze Ad-hoc-Vereinigungen wie etwa zum Bierfiedler-Iubilaeum oder für eine Einspielung ins Volksliedballadenliedgutarchiv die lange stille Nacht. Doch das neue Jahrtausend brachte nicht nur neue Stars, sondern auch ein texanisches Dackelgestirn auf den Plan des Rummsfeldes, das das Licht der Demokratie im Nahen Osten zu verbreiten sich anheischig machte. Ex oriente lux, ex occidente luxus, dies galt als überholt, denn aus dem Westen sollten nun lux und lex kommen, und Zucht und Ordnung gleich obendrein. Die beiden Duolektiker, die schon immer der Meinung gewesen waren, dass zuviel Sonne Schirme erfordert, erneuerten 2004 offiziell ihr Bündnis und klappten die Lichtabweiser auf. Neue Titel waren geschrieben, alte aufgemöbelt, die Internetsaite gestimmt und die Instrumente geölt worden, und frischauf ging’s ins Liederliche Leben. Ein neuer Tonträger wurde bald überfällig, um mit den Gehörknöcheln auf den Putz zu hauen! Mit arabesk-araboid gewobenen Klangteppichen im „Brief aus Bagdad“ widmen sich die beiden dem polnischen Europa im Irak, das sich als neu verstanden wissen wollte, so neu, dass es schon fast ein kleines Ameryka sein könnte, welches ja auch in Polen liegt. „Wir schützen den Frieden, das ist der Befehl, den kennt, my dear friend, jedes Kamel. . .“ Nun, das Rezept der „Immerfestedruffstrategie“ war das neuste nicht. Ob mit diesem Lied eine deutsch-polnische Brieffreundschaft auf der Kurzstrecke blieb, wurde nicht verraten. . . Mit „Castor und Fuchszilla“ schwelgt das Duo im verflossnen Zeitgefühl der Antiatombewegung, das koembt zwar ein wenig spät, doch entwerfen die Brachialromantiker ein Szenario nach den ehernen Regeln der Cunst, mit solch schönen Szenen wie „. . .dann tun alle so, als wäre nichts gewesen. 5000 Polizisten pfeifen unauffällig vor sich hin.“ Insonderheit diese Live-Aufnahme hat es in sich, als das Publicum mittelstrahlt. . . Wiederverwurstet wurden zween ältere Stücke: „Noah wider Willen“ und „Der Möwenschiß“. Die Hä-Hä-Häme wird den neudeutschen Verhältnissen und den aktuellen Kameraden angepasst: „Edmund Stoiber stoibert über die Wiesn und trinkt 10 Liter Löwenbräu, kotzt aber nur drei wieder aus; den Rest spart er sich für den Bundestagswahlkampf auf“, „Die Tour de France wird bis zum Tod von Lance Armstrong einfach ausgesetzt“, und wohlgemerkt stammen die Texte noch aus dem Vormai. . . Das billige Vergnügen des ersten Glases Bier bescheren die Doppelbeschirmer mit einem bisher tonlich unveröffentlichten Titel aus grauen und zahnlosen Duo-Vorzeiten, was klanglich angenehm an diese erinnert. Zwar sind die ganz aberwitzigen Wortspiele der frühen Jahre leider seltener geworden, doch im „Kulturvolk“ wird wieder eine typisch brachialromatisch gespitzte Situation heraufbeschworen: die BA („Beschäftigungsanstalt“) fordert cünstlerisches Engagement zum Aufpolieren der gekürzten Stütze. Benno, Mirko und Heiko von der Würstchenbude schreiben fürderhin Romane, pausen den Genter Altar ab und schreiben Musikstücke für drei Chöre, vier Orchester, eine Kirchenorgel und 55 Umblätterer, um zu mehr Punkten zu gelangen. Bennos Frau creiert gar „Die Schlacht im Kursker Bogen“ als Ballett. . .So findet die Cunst wieder zum Volke. Hoffentlich auch im wahren Leben! Mit diesem Schuß duolektischer Brachialromantik.

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