Aufgemacht wie ein kostbares kleines Buch liegen Die Lieder der Briefkästen vor dem Betrachter, der augenblicklich das Verlangen verspürt, sich mit diesem in jeder Beziehung ästhetischen Gesamtkunstwerk zu befassen. Gedruckt auf edlem Papier, fallen zunächst die liebevoll filigranen Grafiken des bekannten Berliner Buchillustrators Klaus Ensikat ins Auge, der schon Werke von Edgar Allan Poe und Mark Twain bis Kurt Tucholsky und Bert Brecht mit seiner Kunst bereicherte – schon rein äußerlich, noch ehe ein einziger Ton erklingt, vermittelt sich der Eindruck, etwas ganz Besonderes in Händen zu haben. Auch wenn Gerhard Schöne im Grund das Briefgeheimnis verletzt, wenn er in seinen neuen Liedern die zu Herzen gehenden, erschütternden, aber auch witzigen und hoffnungsfrohen Inhalte unterschiedlichster Briefe verrät. Der Brief einer trauernden Mutter an ihr gestorbenes Kind („Debora“), der Brief eines Mädchens an die Erwachsene, die es einmal sein wird („Lene“), der Brief an ein Ungeborenes („An das Fischlein“), die Nachricht an die Eltern („Ferienbrief“) – all das gestaltet Schöne mit einem seltenen Maß an Einfühlungsvermögen und Zärtlichkeit. Daneben gibt es zu Liedern umgestaltete Briefe Rosa Luxemburgs an ihren Liebsten, Leo Tolstois an seine Frau, Erich Maria Remarques an Marlene Dietrich und Antoine de Saint-Exupérys an seine Mutter. Natürlich ist auch ein Liebesbrief enthalten – Henriette Vogel an Heinrich von Kleist – und sogar eine Lektion im Verfassen von Schmähbriefen, geeignet durchaus als Fundus für eigene Versuche. Die Instrumentierung mit Kontrabass (Wolfgang Musick), Schlagzeug (Karoline Körbel) und Piano (Stefan Kling) ist sparsam, wirkt dafür aber umso intensiver. Die Texte und nahezu alle Kompositionen, die im entspannten Jazzgewand daherkommen, stammen aus der Feder von Gerhard Schöne, der seine sensible, ausdrucksstarke Sangeskunst voll und ganz der Botschaft der jeweiligen Lieder der Briefkästen widmet. Ein wunderbares Album voller Wärme und Empathie.