Gundermann-Abend in Stuttgart mit Andreas Dresen und Alexander Scheer: Blumen vom Arsch der Hölle

von Kathrin Horster, StN vom 10.08.2023

Andreas Dresen und Alexander Scheer feiern das Liedgut des DDR-Liedermachers Gerhard Gundermann im Stuttgarter Theaterhaus. Ein musikalisch mitreißender, inhaltlich zwiespältiger Abend.

Es gibt ein altes, verwaschenes Video von Gerhard Gundermann, der 1998 mit gerade einmal 43 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls starb. Gundermann trägt seine riesige Brille, ein einfaches T-Shirt, Jeans und seine Akustikgitarre. Hinter ihm wuchert eine Zimmerpflanze in den von Sonnenlicht fleckig erhellten Raum, er legt den Kopf in den Nacken und singt: „Ich mache meinen Frieden mit all den Idioten /die
die Welt behüten wolln mit ihren linken Pfoten“.


Alexander Scheer singt Gundermann voll und rockig
Gundermann war ein Liedermacher zur Zeit der DDR und noch ein Stück darüber hinaus. Vor fünf Jahren brachte ihn der Regisseur Andreas Dresen mit einem Biopic dem gesamtdeutschen Publikum wieder ins Gedächtnis, gemeinsam mit dem Schauspieler Alexander Scheer, der nicht nur einen rührend verpeilten Teenager in Leander Haußmanns DDR-Kultkomödie „Sonnenallee“ verkörperte, sondern auch die Rock’n’
Roll-Größe Keith Richards. Seit Jahren treten Dresen und Scheer auch immer wieder mit Gundermann-Songs auf, wie am Mittwochabend im Stuttgarter Theaterhaus, mit einer stark besetzten Band im Rücken.

Scheer, Jahrgang 1976, hat wie der aus Gera stammende Regisseur Andreas Dresen die DDR aus erster Hand erlebt. Nun steht er in einem beigefarbenen Jogginganzug auf der Bühne, der trotz des westlichen Markenemblems auch von einer DDR-Reste-Rampe stammen könnte wegen der trostlosen Farbe, genauso wie die seltsame Ostblock-Variante eines Crocodile-Dundee-Huts, den Scheer auf dem Kopf trägt. Scheer steigt ein mit „Ich mache meinen Frieden“ und macht sich den Song sofort zu eigen. Während Gundermann fast ein bisschen spröde klingt, hört man bei Scheer eine Spur Rio Reiser heraus, sein Timbre ist dramatischer, voller und rockig-rau.


Das Werk eines widersprüchlichen Menschen
Die Band mit dem Gundermann-Soundtrack-Produzenten Jens Quandt an den Keyboards, dem hervorragenden Pankow-Gitarristen Jürgen Ehle, Harry Rosswog am Bass und Nicolai Ziel am Schlagzeug schiebt die Songs mit Druck in die Moderne und befreit sie ein Stück weit von ihrer historischen Anbindung an die trübe Zeit des real existierenden Sozialismus und die ersten faden Postwende-Jahre, die Gundermann als Tagebau-Arbeiter noch erlebte. In der großen Halle T1 sind an diesem Abend noch etliche Plätze frei, dennoch springt sofort der Funke über zwischen Band und Publikum mit wenigen jüngeren Fans. Die Menschen lassen sich mitreißen vom begeisterten Vortrag von Stücken wie „Schwarze Galeere“, „Brunhilde“ und „Alle oder Keiner“.

So zeitlos Gundermanns eigenwillige, oft nachdenkliche Lyrik auch ist; Scheer und Dresen arbeiten auch an dessen Mythos, konservieren, rocken und feiern romantisch verklärt das Werk eines widersprüchlichen Menschen, der sowohl Staatskritiker als auch Informeller Mitarbeiter der Stasi war. Sie seien eine Tanzkapelle, bekräftigt Dresen mehrmals, und freut sich mit Scheer riesig über das ausgelassene
Publikum ganz vorne. Einer der schönsten Songs des Abends ist dann ein Mutmachlied von Gisbert zu Knyphausen als Zugabe mit der großartigen Zeile „Ich hab euch Blumen und Pralinen vom Arsch der Hölle mitgebracht“ – ein Lied, dass vielleicht auch Gundermann gefallen hätte.

Eine Antwort hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst einige HTML-Tags verwenden.

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>