71 Jahre alt ist er gerade geworden vor ein paar Tagen. Mitch Ryder aus Detroit. Der Mann, der mit seinem Rockpalast-Auftritt 1979, dem legendären, jenseitig zugedröhnten „Full Moon Concert“ schlagartig den Deutschen ein Begriff wurde. Es ist keine Riesenkarriere daraus geworden, aber er hat sich eine Fangemeinde erspielt, die im Unterschied zum amerikanischen Publikum keine Hits der 60er Jahre hören will, sondern den im Feuer gereiften Sänger, der Blues, Rock, Funk mit seiner Stimme Glaubwürdigkeit, Liebe, Verkommenheit und Wahnsinn einhaucht. Diese Stimme, die sich artikuliert, wie ihr Inhaber auf die Bühne schlurft: Geschützt durch Hut und Sonnenbrille, ganz in Schwarz. Lauernd, um dann im Solarplexus des Hörers zu explodieren. Eine Stimme, der man sieben Jahrzehnte gelebtes Leben anhört – ohne kaputt zu sein. Der Katalysator ist Ryders Band Engerling, der berühmt Topf unterm Deckel ist. Es handelt sich um einen Dampfdrucktopf, stets bereit zum Überkochen, mit haarsträubender Präzision, abgeklärter Eleganz und einer krustigen Ladung Dreck unter den Fingernägeln legen die Herren ihren Meister in ein gut gemachtes Lotterbett, das ihn zielsicher durch alle Stürme schaukelt. Was das Gitarrengespann Heiner Witte und Gisbert Piatkowski in „War“ auffährt, ist schlicht zum Niederknien: Sie spielen so engtanzmäßig umeinander herum, dass des gerade so seine Bewandtnis hat, um dann im zweistimmigen Chorus die Erlösung auszurufen, fleischig unterorgelt von Wolfram „Boddi“ Bodag, beim eigenen Zeug ebenso wie bei James Brown’s „Living in America“ oder Jagger/ Richard’s „Gimme Shelter“, dessen Interpretation die Stones-Version als netter Versuch erscheinen lässt. Und da ist wieder dieses 68-Flair: „Be nice to each other“ ist die Botschaft, die Ryder wiederholt variiert, und man wähnt sich in der gleichen Kirche, die Patti Smith an gleicher Stelle im Sommer beim Zeltival geweiht hat. The Eternal Church of Rock `n` Roll, eine verschworene Gemeinschaft gegen das Böse in der Welt. Das man auch mit Humot kleinkriegt.
Ryder kommt zur Zugabe zunächst allein auf die Bühne und Kündigt an, er werde zwei Gedichte lesen, in Suaheli, versteht sich. Natürlich entfällt dieser Programmpunkt. Stattdessen schleicht sich der dräuende Bass ein, „Clock says it’s time to go now“ und der Doors-Klassiker „Soul Kitchen“ erhebt raunend sein Haupt. „Learn to forget“ singt Ryder, „That’s not that hard for a man age“, spricht Ryder, ist dabei ganz Jim Morrison und ganz er selbst, alldieweil sich die Gitarren zum Endkampf verabreden. Tastend, einzeln ausbrechend, unisono und schließlich zum Strom anschwellend – das Mündungsdelta ist erreicht, das Publikum wiegt sich wohlig taumelnd, minutenlang noch mit den Nebenwirkungen.