Nachruf – Der verbotene Held mit dem dreckigsten Blues-

von David Ensikat, Tagesspiegel

an alle stadtbezirksraete fuer kultur == ho-bezirksdirektion gaststaetten == s p i e l v e r b o t == mit wirkung vom 6. juli 1983 ist der amateurtanzkapelle „f r e y g a n g“ die spielerlaubnis xv / iv24 und gruppenregistrierkarte entzogen worden. damit ist die gruppe nicht mehr auftrittsberechtigt. herrn andre greiner-pol wurde die spielerlaubnis 3159 / 75 fuer 2 jahre entzogen … mit sozialistischem gruss juergen schuchardt stadtrat magistrat von berlin hauptstadt der ddr abteilung kultur.

Freygang, einen besseren Namen konnte André Greiner-Pol seiner Band gar nicht geben. Ihre Geschichte, jedenfalls die, aus der der Mythos „Freygang“ stammt, die DDR-Geschichte, kann man als fortwährenden Freigang verstehen. Umgeben von Mauern, Erpressung und Verboten steigt einer auf die Bühne, immer wieder, tut so, als dürfe er alles, tut so, als würde er singen, verrenkt sich wie eine Kreuzung aus Udo Lindenberg und Joe Cocker, lässt seine langen, krausen Haare fliegen, spielt den Blues, lässt seine Musiker den Blues spielen, stößt seine Texte raus, die nicht von Liebesleid und Friedenskampf handeln, wie die der offiziellen DDR-Tanzmusiker.

Seine Lyrik geht so: Manchmal sitz ich in der Kneipe am gedeckten Tisch / und bestell mir was zu essen, so für mich, so für mich. / Und am Tisch gegenüber, am gedeckten Tisch, / lutscht ein fettes Schwein am Eisbein, so für sich, so für sich. / Mich packt der Ekel, wenn ich das so seh / und der Kellner bringt das Essen / doch ich steh auf, zahl und geh.

Am Anfang stand der Knast, sechs Wochen Rummelsburg, weil er einem Freund helfen wollte, rüber, in die große Freiheit zu gelangen. Der Freund hat’s nicht geschafft, und André Greiner-Pol hätte noch viel länger sitzen können. Aber er war 25 und wollte endlich seine Band. Konnte er haben, er musste da nur etwas unterschreiben.

Drei Jahre Freigang nach den Regeln der Stasi und immer mehr nach seinen. Bis er die Herren endgültig von seiner Untauglichkeit überzeugen konnte. Er war wirklich keiner fürs Geheime, kein Mitmacher, kein Flüsterer.

Das beschissene Konzert im Spreewald, Januar ’83. Zuerst fehlt der Sprit, dann wird die Anlage nass. Kaum etwas funktioniert. Eine Prügelei mit dem Aushilfstechniker, zwei Besoffene, die auf die Bühne steigen, der eine grunzt ins Mikro, der andere torkelt ins Schlagzeug und landet auf der Geige. Auf der Rückfahrt: Motorschaden, Trampen. Ein Wartburg hält, der Fahrer sieht, wen er da mitnehmen soll, die langhaarigen Penner, bedauert, „hinten alles voll“, und André Greiner-Pol tritt gegen’s Auto: „Verpiss dich!“ Zwei Wochen später die Vorladung der Polizei „zur Klärung eines Sachverhalts“, Beleidigung, Sachbeschädigung, 2500 Mark Strafe. Und endlich ein Grund fürs Spielverbot, „mit sozialistischem gruß“.

Freygang ist längst berühmt genug, um Säle zu füllen, das sind die mit dem dreckigsten Blues, den heftigsten Texten. Jetzt, verboten, werden sie zu Helden. Da helfen die Gerüchte. Was für schlimme Sachen sie auf der Bühne gemacht haben sollen, Hosen runtergelassen, onaniert und, noch viel schlimmer, Staat und Partei in den Dreck gezogen.

Was soll man gegen so einen Ruf machen? Ihn genießen! André Greiner-Pol verdient Geld mit seinem Wolga, er fährt Schwarztaxi. Und er tritt mit den Freygängern auf, wann immer es das Auftrittsverbot zulässt, in der Provinz, unter anderem Namen, in anderen Bands. Nach zwei Jahren wieder offiziell, nach einem weiteren wieder inoffiziell.

„dem amateurtanzmusiker andre greiner-pol, wohnh. zionskirchstr. 79, 1054 Berlin, wurde die spielerlaubnis 3159 / 75 mit wirkung vom 17. 10. 1986 entzogen. auftritte bitte ich zu verhindern.“

In diesen Tagen trifft André Greiner-Pol den Sänger der Band Drudenfuß auf der Schönhauser. Drudenfuß soll für die Erdgastraßenbauarbeiter in der Sowjetunion spielen, aber die Musiker haben keine Lust. Sollen die Freygänger mitfahren, die haben doch jetzt Zeit. Sie machen Passbilder mit Schlips, nennen sich O. K. Rockband und fahren in den Ural. Vier Wochen saufen und rocken auf dem Permafrostboden und Ausschau halten nach den paar Frauen, die’s da gibt. Greiner-Pols Bedingung war: An der Trasse müssen wir sagen, wer wir sind.

Im September ’87 tritt die Punkband Feeling B in Dresden auf. Sie tragen einen Sarg hinein, feierlich, stellen ihn auf die Bühne. Heraus springt André Greiner-Pol, der Untote. Mit Aljoscha Rompe, Feeling B, singt er ein wildes Duett. In der Szene weiß kaum jemand, wie alt die beiden wirklich sind.

Rompe ist vor ein paar Jahren gestorben, seine viel jüngeren Musiker haben mit Rammstein große Karriere gemacht. André Greiner-Pol ist Freygänger geblieben, die alten Lieder immer wieder und neue, die wie die alten klingen. Sollte er denn alles ändern, nur weil der neue Staat ihn nicht so ernst nahm wie der alte? Sie haben ihn König genannt und Kapitän, er war der Sänger oben auf der Bühne, der nicht mal singen konnte, und trotzdem haben sie ihm zugejubelt.

Im Dezember ist er gestorben, Herzinfarkt. Heute Abend gibt es ein Konzert für ihn in der Kulturbrauerei Prenzlauer Berg. Es kommen viele Bands, es gibt kaum Absprachen, es wird lang und heftig.

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