Gerhard Gundermann, Musiker und Tagebaukumpel aus der Lausitz, ist tot. In spröden Versen artikulierte er ein typisch ostdeutsches Lebensgefühl. Er war durchaus nicht so, wie man sich einen Rockmusiker vorstellt. Er trank keinen Alkohol, ernährte sich vegetarisch und war von der verkoksten Boheme des Westens nicht nur räumlich weit entfernt. Wenn die Ostdeutschen, wie es scheint, die größte kulturelle Minderheit im Lande sind, so war Gerhard Gundermann ihre Stimme – allerdings kaum Richtung Westen, wo er nahezu unbekannt blieb. Er ist mit 43 Jahren gestorben.
Der blasse Blonde mit der Kassenbrille hat 20 Jahre im Lausitzer Braunkohlerevier bei Hoyerswerda als Baggerfahrer gearbeitet – auch noch, als er längst von der Kunst hätte leben können. Aber das wollte er nicht. Geschont hat er sich nie. Mal gab er nach der Schicht ein Konzert, mal fuhr er von einem Konzert zur Schicht.
Seine Lieder über niedergehende Industriereviere, über Vor- und Nachwendepolitiker, über Hoffnungen, Träume und Irrwege fanden nicht selten ein geradezu andächtiges Publikum, von der Zahnarzthelferin bis zum Intellektuellen. Ihnen brauchte sich der Sänger nicht anzubiedern, denn er gehörte sichtlich zu ihnen – wie viele von ihnen und zwei seiner Kinder wurde auch er nach der Wende arbeitslos. Kaum ein anderer Künstler hat die Enttäuschung vieler Ostdeutscher nach der Vereinigung in so prägnante Verse gefaßt wie er: „Du hast mich auf dein Traumschiff mitgezottelt / doch ich kann dich nicht mehr leiden / du drückst mich an dein Herz aus Stein / und ich sollte dankbar sein.“ Gundermann graute davor, „daß weltweit amerikanische Plastikträume zur eigentlichen Sehnsucht der Völker hochstilisiert werden“. Doch die flache Ostalgiewelle war ihm auch suspekt, schon vor der Wende mahnte er DDR-Künstler, „keine mechanische Front zu ziehen zwischen Osten und Westen“.
Eigenwillig, oft stur und trotzig waren seine Lieder. Gundermann zählte sich zu jener „übersprungenen Generation“ der jetzt 30- bis 45jährigen im Osten, die weder in der Honnecker-DDR noch in der vergrößerten Bundesrepublik zum Zuge gekommen waren. Als naiver Idealist, der „Soldat der Revolution“ sein wollte, ging Gundermann mit 18 Jahren zur Offiziersschule. Wie viele seiner Altersgenossen im Westen schwärmte er von Chè Guevara und dem Vietcong. Seine Karriere in der Nationalen Volksarmee fand ein jähes Ende, als er sich mit 20 weigerte, bei einem Besuch des DDR- Verteidigungsministers Heinz Hoffmann ein Loblied auf „unseren General“ zu singen. Im Tagebau, wo er danach als Hilfsmaschinist anheuerte, trat er der SED bei. Die schloß ihn 1984 aus, wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“ und Kritik an Parteifunktionären. Damit endete auch seine achtjährige Mitarbeit als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, die ihm „parteifeindliche Verhaltensweisen“ attestierte. Schließlich wurde er selbst von der Stasi bespitzelt. Zuvor hatte der Musiker als IM „Grigori“ über unfähige Parteiskretäre, Schiebung im Betrieb, aber auch über Intimes von Kollegen berichtet. Sein Umgang mit dieser Stasi-Vergangenheit war widersprüchlich, fast schizoid: Einerseits bekannte er unverblümt, er sei „vor mir selbst schuldig geworden“, und bedauerte aufrichtig seine „ekligen Petzberichte“. Andererseits hielt er, was er über korrupte Kader notiert hatte, störrisch auch weiterhin für richtig. Sein Publikum hat ihm überwiegend bald verziehen. Gundermanns Sprödigkeit, seine unaufdringliche Klugheit hatten etwas Gewinnendes, selbst für politische Gegner. Das Scheitern der Hoffnung, der reale Sozialismus lasse sich reformieren, und der Untergang des kleinen Landes DDR gingen Gundermann zu Herzen. Ihn schmerzte, daß die Ostdeutschen sich ihre „Souveränität“ abkaufen“ ließen. Er spielte auch bei PDS-Veranstaltungen, doch von Parteien wollte der enttäuschte Ex-SED-Genosse nichts mehr wissen. Der Sänger lehnte jede Art von Vereinnahmung für irgendein „Lager“ ab. Vielleicht wirkte er auch deshalb häufig so gehetzt, wie auf dem Sprung zu einem Zug.
Oft wehte durch seine Nachwendelieder eine befremdliche Todessehnsucht. Mal säuselte er vom „Sensemann“ und vom „allerletzten Schuß“, mal vom „schwarzen Trichter“, in den er einmal fallen würde. Auf seiner letzten CD „Engel über dem Revier“ sang er davon, daß ihn, der durch die Schließung seines Tagebaubetriebes 1997 die Arbeit verlor, sein „Schutzengel“ verlassen habe – und die „silbernen Gucklöcher im Himmel“ seien zugewachsen. Frank Castorf, Intendant der Berliner Volksbühne, hat Gundermann einmal etwas „ganz eigen ostdeutsch-russisch Volkstümlerhaftes“ bescheinigt. Das war genau beobachtet. Auch wenn er Bruce Springsteen verehrte und im Vorprogramm von Bob Dylan und Joan Baez bei deren Gastspielen im deutschen Osten auftrat, war Gundermann die russische Spiritualität vertrauter als der westliche Zeitgeist.
Er schwärmte von frühen Konzertreisen durch Rußland, von improvisierter Technik und dem begeisterten Publikum junger Russen. Gundermanns oft traurige, tragikomische, ausweglose Verse erinnern im Grundton an den russischen Barden Wladimir Wyssozki. Wyssozki, wie Gundermann ein spöttisch-sensibler Sohn des späten Sozialismus, ist 1980 gestorben – fast im gleichen Alter (42) wie der Deutsche und, wie dieser auch, an Herzversagen.“