Den Berlinern gibt er gerne einen mit. Zumindest jenen Vertretern, die jenseits der Stadtgrenzen nur „Umland“ wähnen. Die in Brandenburger Lokalen ungeduldig nach Bedienung schreien und sich mokieren, dass es „so nüscht wird mit dem Osten“ – von solchen berichtet Wiglaf Droste detailliert mit beißendem Spott.
Er hat sie nämlich gut kennengelernt, die Berliner, seit er 1983 von Bielefeld in die damals noch eingemauerte Stadt zog. Doch zur Milde gegenüber großkotzigen Auswüchsen großstädtischen Bewusstseins verführt ihn sein Asyl keineswegs. Den Blick von außerhalb hat er sowieso gern geübt etwa als Stadtschreiber von Rheinsberg 2009. Außerdem wohnt er viel in Leipzig. Was ihn aber nicht dran hindert, sich auch über die Heldenstadt der Montags-Demos lustig zu machen mit ihren zwei Millionen Helden – bei 500000 Einwohnern.
„Wenn der Berliner kommt“ setzt gleich zu Beginn der CD mit dem bandwurmartigen Titel„Meine ostdeutschen Adoptiveltern und ihr missratener Sohn aus dem Westen“ ein erstes Glanzlicht. Weil jeder sich schon mal geärgert haben dürfte über die beschriebenen Zeitgenossen, freilich ohne Drostes Fähigkeit zur bösen Zuspitzung zu besitzen, leider.
Die ostdeutschen Adoptiveltern hat sich Wiglaf Droste gesucht, nicht umgekehrt. Weil er, wie er sagt, nicht gefragt worden ist, ob er wiedervereinigt werden will. Da sich daran nun aber nichts mehr ändern lässt, habe er wenigstens nachträgliche Sozialisation gesucht und zu diesem Zwecke eben Adoptiveltern. Nicht auf der Straße, sondern auf der Bühne. Dort sind sich Droste sowie Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky 1999 erstmals begegnet.
Ihr gemeinsames Agieren erinnert an eine legendäre Veranstaltungsreihe aus den 1960ern, als DDR-Jazzmusiker und Schauspieler mit der Reihe „Lyrik – Jazz – Prosa“ gemeinsam auftraten. „Der Hase im Rausch“, von Eberhard Esche vorgetragen, „DieKuh im Propeller“ von Manfred Krug auf Amiga-Platte erreichten Kultstatus.
Heute machen Drostes Adoptiveltern Brüning und Petrowsky das, was gute Eltern auszeichnet: Sie lassen ihren Schützling gewähren und kümmern sich um ihren Kram. Um exzellenten freien Jazz mit hohem Spaßfaktor zum Beispiel. Etwa wenn „Luten“ Petrowsky auf seine kauzige Weise erst eine ellenlange Einleitung für „Das Neue Usel“ daher stolpert, dann in einen schwedischen Vortrag hinüber wechselt oder zumindest in etwas, das Schwedisch klingt. Uschi Brüning geht ungehalten mit Scat-Gesang dazwischen, ohne ihren Gefährten ganz aufhalten zu können. Wenigstens greift er dann doch mal zum Saxophon, auf dem er einer der größten Jazz-Stars dieser Welt ist.
Dichter Ulrich Plenzdorf hatte in „Die neuen Leiden des jungen W.“ Romanheld Edgar Wibeau über Uschi Brüning schwärmen lassen: „Wenn die Frau anfing, ging ich immer kaputt. Ich glaube, sie ist nicht schlechter als Ella Fitzgerald oder eine.“ Das deutet die Brüning hier an mit kunstvollen vokalen Spielereien in Petrowsky-Kompositionen oder mit Klassikern wie „Making Whoopee“.
Wiglaf Droste unterbricht mit sarkastischen Miniaturen oder schlicht fröhlichem Blödsinn. Er lästert über verhunzte deutsche Sprache, in der Pakete neuerdings beschlossen und verabschiedet werden – dabei wurden die dereinst gepackt und verschickt. Er empfiehlt als alternative Energiequelle den „Pilgerstrom“. Über die Stränge politischer Korrektheit schlägt er allemal, an billigen Kalauern kommt er dafür meist vorbei.
Wiglaf Droste/Uschi Brüning/Ernst- Ludwig Petrowsky: Meine ostdeutschen Adoptiveltern und ihr missratener Sohn aus dem Westen. Buschfunk.