Zwei Jahrzehnte Neuanfang Mit einer CD und einer Tournee durch Deutschland feiert die Gruppe L’art de passage ihr 20-jähriges Jubiläum. In eine musikalische Schublade hat sie nie gepasst
Das Spiel der Gedanken beginnt beim Namen: L’art de passage – die Kunst des Übergangs? Vielleicht der musikalischen Genres ineinander? Des Übergangs der Augenblickssituation? Freier übersetzt vielleicht auch Vorübergehen? Das Nicht-so-ernst-Nehmen der gegenwärtigen Lage, in der man sich befindet? L’art de passage – die Kunst der Begegnung? Begegnung unterschiedlichster Musiker? Unterschiedlichster Stilrichtungen, die der Musik von L’art de passage dieses Unverwechselbare geben? Oder L’art des passage als Kunst des Ganges im Sinne von Haltung wie der Schriftsteller Volker Braun es 1979 in seinem Lyrikband „Training des aufrechten Ganges“ formulierte? Die Lust am Spiel der Gedanken ist provoziert vom ersten Tag an als sich die Band L’art de passage gründete. Das ist nun 20 Jahre her und soll in diesem Jahr gefeiert werden. Pünktlich zum Geburtstag erscheint ein neues Album. Noch ist es nicht ganz fertig und mit dem Titel hält Tobias Morgenstern noch hinterm Berg. Der Akkordeonist ist einer der Gründer.
Sechs Jahre zuvor hatte er sein Studium an der Hochschule für Musik in Weimar abgeschlossen. Morgenstern und der Gitarrist Rainer Rohloff, der ebenfalls an dieser renommierten Uni sein musikalisches Handwerk erlernt hatte, verließen das Haus beide mit dem selben Gefühl: ihre beiden Instrumente Akkordeon und Gitarre hatten längst nicht alles offenbaren können, was in ihnen steckte. In der modernen Musik war ihr Platz noch nicht besetzt. Den Begriff Weltmusik gab es noch nicht. Was Morgenstern nach dem Studium weitergab an die Studenten nach ihm, er lehrte Musiktheorie und Improvisation an der Weimarer Hochschule, wollte unbedingt in der Praxis entdeckt werden – über die Ausdrucksmöglichkeiten der Folklore und Klassik hinaus. Morgenstern und Rohloff fanden einen dritten Gleichgesinnten: den Pianisten Stefan Kling. So entstand die Gruppe L’art des passage, die 1987 eine ihrer Sehnsucht nach musikalischer Veränderung freien Lauf ließ. „Sehnsucht nach Veränderung“ hießt auch das erste Album der Gruppe, das bei AMIGA erschien. Wer zu den 30 000 Leuten gehört, in deren Plattenschrank es steht, leiht es vermutlich niemals niemandem aus. So einen Schatz hütet man argwöhnisch.
„Sehnsucht nach Veränderung“, das war 1987 der Gipfel der Provokation in einem Land, das zu ersticken drohte an den einstigen Hoffnungen, die seit langem in Konflikt geraten waren mit den Eitelkeiten der Regierenden, den Mittelmäßigkeiten der Möchtegerns und der wirtschaftlichen Situation. Sehnsucht nach Veränderung hatten viele Menschen in der DDR. L‘art de passage drückte sie in ihrer Musik aus, ließ den Hauch von Welt in das kleine abgegrenzte Land hineinwehen, die Musette aus Frankreich, den Blues aus Louisiana, den Tango aus Argentinien…
Erfolgreich in der Szene, wuchs die Gruppe der individuellen Könner mit dem Bassgitarristen Gunter Krex, der einst in der Band „Engerling“ mitspielte, mit den Bassisten Wolfgang Musik, den Percussionisten Hermann Naehring und Henry Osterloh, dem Drummer Bernd Schimmler oder dem Geiger Helmut Lipsky als Gastkünstler aus Kanada. Alle für sich schon Klasse, ihre Namen hatten Klang, ordneten sie sich ein in L‘art de passage. Es folgten Festivals in Frankreich, Italien, in der Schweiz – und immer wieder in Deutschland, dessen Westen die Gruppe genauso schnell eroberte durch eine Musik, die einzigartig war wie die Besetzung. Konzerttourneen, TV- und Radio-Auftritte bei allen wichtigen Sendern ließen immer wieder aufhorchen, obwohl ihre Musik nie „radiogängig“ wurde, will sagen: bis heute kaum mehr als allenfalls in specials zu hören ist.
Mit der vierten CD, die den entsprechenden Titel „Jubilee“ erhielt, wurde das zehnjährige Bestehen manifestiert. Über 1000 begeisterte Leute kamen im „Tränenpalast“ zum 10. Geburtstag von L’art de passage zusammen, Kollegen wie Gerhard Schöne, Gisela May, Matthias Freihof, Hans -Eckardt Wenzel, Linard Bardill… gratulierten. Mit ihnen und vielen anderen wie Bettina Wegner, Bärbel Röhl, Reinhard Mey, Ester Ofarim hatte die Gruppe zusammengearbeitet. Mit Gerhard Schöne gab es schon 1987 mehrere gemeinsame Konzerttourneen. Eine Verbindung ist daraus geworden, die bis heute hält, da Tobias Morgenstern längst sein eigenes Theater hat – das Theater am Rand in Zollbrücke im Oderbruch. Zehn Jahre waren die Mitglieder in L’art de passage eng verbunden. Die Veränderungen waren vollbracht, musikalisch, gesellschaftlich. Aber wie war das doch gleich? Die Kunst des Übergangs?
Individuelle Wünsche nach Veränderung kamen auf bei den Musikern, nicht im Sinne des Abschwörens der Idee L’art de passage, sondern im Sinne des Erfahrens dessen, was noch so alles in einem selber steckt. Die Zeit für L‘art de passage-Projekte brach an: In verschiedenen Zusammensetzungen wurde Individualität ausgelebt. Morgenstern und Kling gestalteten einen „Modernen Serenadenabend“, für „Milonga triste“ und „Au Parfum de Tango“ gesellte sich Wolfgang Musick mit dem Kontrabass zu den beiden, „Lilly passion“ entstand 1999 mit der Schauspielerin Bärbel Röhl (vocal), Tobias Morgenstern, Rainer Rohloff und erneut Wolfgang Musick, Morgenstern begeisterte mit Soloprorgrammen, ebenso wie Stefan Kling mit seinen World-Jazz-Klassik-Phantasien „Dattelkerne in der Wüste“ und wie Rainer Rohloff mit seinem Mikis-Theodorakis-Programm, das der griechische Meister selbst 2001 in hohen Tönen lobte… L’art de passage blieb immer und überall erkennbar, unverkennbar.
20 Jahre Erfolg. Die Biografien und Discografien prägen längst Musikgeschichte. Und doch ist noch nicht alles Mögliche erreicht. Die hervorragend ausgebildeten Leute von L’art de passage, haben noch manches zu geben, weiter zu geben an den Nachwuchs. Tobias Morgenstern z.B. lehrt seit vier Jahren an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin, das, was er und seinesgleichen seinerzeit in Weimar vermisst hatten: die Kunst der Improvisation. Neben der CD wird der 20. mit einer Tournee gefeiert, die ihren Auftakt am 11. Mai im Theater am Rand in Zollbrücke erlebt, weitere Konzerte folgen im Herbst und im Frühjahr des nächsten Jahres.
L’art de passage – die Kunst, sich zu bewegen, etwas voran zubringen, und dennoch bei seinen Wurzeln zu bleiben. Was für ein unerschöpfliches Programm! Was für ein Lebensentwurf!