Diese Band gibt es seit 35 Jahren. Engerling ist sich, ihrer Musik und ihrem Publikum treu geblieben – auch dem im legendären Ebersbrunner „Löwen“. EBERSBRUNN – Die Silvester-Dekoration hängt noch im Saal des Gasthofs „Zum Löwen“ in Ebersbrunn – oder ist es schon der Faschingsschmuck? An diesem Ort, an dem man sich nie verkleiden, verstellen muss, wohin man seit Jahrzehnten geht, um ganz bei sich selbst zu sein – und bei einer Musik, die das auch ist. „Into this house we’re born, into this world we’re thrown“, „in dieses Haus sind wir geboren, in diese Welt sind wir geworfen“, singt die Berliner Band Engerling Samstagnacht. Es ist ihre Version des Doors-Titels „Riders On The Storm“ – und es ist, als sei der Song für dieses Dorf bei Zwickau geschrieben. Engerling singt und spielt das eigene Leben, das die Band mit vielen Menschen teilt und geteilt hat. Ganz groß rausgekommen sind sie nie – dafür war der romantisch-melancholische Realismus des Quartetts den DDR-Kulturfürsten zu wenig optimistisch, woran auch eine Auszeichnung als „Hervorragendes Amateurtanzorchester“ nichts änderte. Im Gegenteil: Auftrittsverbote, Auseinandersetzungen mit Polizei und Stasi gehörten zum Alltag der Band, die damit allerdings auch später nie hausieren ging. „Freude am Beruf“ Ausschnitte aus Überwachungstonbändern wurden ohne Wissen der Band auf eine Platte gepresst. Als die Stasi Sänger Wolfram Bodag bedrängte, IM zu werden, klebte er vor dem entscheidenden Treffen einen Zettel an seine Tür: „Wiederkommen zwecklos.“ Nach der Wende war Engerling nicht clever und geschäftstüchtig genug, wollte dies auch nie sein. Stattdessen sind sie sich und ihrem Publikum treu geblieben, und das Publikum ist ihnen treu geblieben, viele jedenfalls. Von den rund 200 Zuhörern im Ebersbrunner Löwen hört kaum jemand die Band zum ersten Mal. In Ehren ergraute Herren mit langen Bärten, Parka und mit ihren Frauen oder Freundinnen, die sie vielleicht bei einem Engerling-Auftritt kennen gelernt haben. Damals, vor dreißig Jahren, als der Weg zum sonntäglichen Konzert in Ebersbrunn noch einer kleinen Odyssee mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder sympathisch-gleichgesinnten Mitfahrgelegenheiten glich. Viele Songs von damals spielt Engerling noch immer. „Mama Wilson“ zum Beispiel, den einfühlsamen Dialog mit der Mutter des jung verstorbenen Canned-Heat-Sängers Al Wilson, der, wie fast alle Engerling-Lieder, eine Ballade von der Suche nach dem Glück in c-Moll ist und darüber, wie wir das Glück immer wieder verspielen, verlieren. Keyboarder, Sänger, Texter und Komponist Wolfram „Boddie“ Bodag, gerade 60 geworden, ist mit weisem Einfühlungsvermögen gesegnet. Seinem Sohn, Hannes Schulze am Schlagzeug, spürt man die Achtung und die Freude an der Arbeit der Väter-Generation an. Gitarrist Heiner Witte, einer der besten seines Fachs, kann mit einem seiner beseelten Soli zu Tränen rühren, und Manfred Pokrandt am Bass steht dabei wie ein Fels in der Brandung, lächelnd, als wolle er sagen: Das wird schon wieder. „Freude am Beruf“ ist an Bodags Keyboard gepinnt, und die spürt man vom ersten bis zum letzten, leise verhallenden Ton an. „Hoffnungslos unmodern“ Viele Nachrufe haben sich in das Repertoire gemischt, wohl auch mit dem Wissen, dem Tod inzwischen selbst schon ein paar Mal von der Schippe gesprungen zu sein: eine wundervolle Bearbeitung des „Apfeltraums“ von Renft, die Ballade von „Tommy Simpson“ über eines der ersten prominenten Doping-Opfer im Radsport, ein Lied vom Überleben für Grateful-Dead-Sänger Jerry Garcia. Engerling gelingt es, sich mit ihren Cover-Versionen, auch von Stones- und Dylan-Titeln, vor dem Original zu verneigen, indem sie sie zu etwas Eigenem machen. Da ist Engerling dann doch ganz dem Blues verpflichtet, der nicht tot zu kriegen ist, wie es auch die Vorband, Mojo Man aus Plauen, bewies. Daran ändert nichts, dass „times they are a-changing“, dass „andere Zeiten“ kommen, immer wieder – womit Engerling sein Konzert beginnt, um weiter auf dem Sturm zu reiten. „Riders On The Storm“ verbindet die Band mit der Ballade „Nis Randers“ des fast vergessenen Schriftstellers Otto Ernst (1862-1926), der über sich schrieb, er sei „hoffnungslos unmodern… weil ich zu Gutem und Bösem nicht schweige und stillhalte, sondern kämpfe, weil ich entgegen der Mode… Optimist bin, weil ich nach einer gesunden, schlichten Kunst strebe“. Ein Satz, der auch von Engerling stammen könnte.