Es muss 2011 gewesen sein, als Danny Dziuk in Kollegenrunde sein neues Lied „Würdest du?“ zum Besten gab und mit fühlbarem Stolz verkündete, damit eine Auftragsarbeit für eine neue Arbeitgeberin erfüllt zu haben – um prompt vom sichtbar unbeeindruckten Sebastian Krämer ermahnt zu werden, so schöne Lieder doch bitteschön nicht an Anett Louisan zu verhökern, sondern gefälligst persönlich zu verwerten.
Fünf Jahre später steht eben dieses Lied im Zentrum Dannys neuen Albums, und seine eigene Version ist der louisanschen keinem Aspekt unter-, in vielem überlegen. Anett mag jünger und dünner sein, Danny ist dafür älter und dicker – und macht mit seinem Remake in Sachen Gesang, Arrangement, Performance, Produktion, Mix unzweideutig klar, wer da wen benötigte.
Ist das galant? Nur sehr bedingt. War das notwendig? Offensichtlich: Denn glaubt man dem Erzähler im vorangehenden „Auf leisen Sohlen“ – und niemand, der dieses Lied gehört hat, würde dem Erzähler nicht glauben! – gab es diesbezüglichen Klärungsbedarf:
„Mein Glücksfall und ich, wir verstanden uns blendend / Ich nähte ihr Schuhe, auch Herzblut verwendend / für Hochdrahtseilakte zu hübschen Triolen / auf leisen Sohlen // Sie sagte, bald sind wir so frei, wie wir wollen / nur hat einer ihrer so hingebungsvollen / Minister dann doch noch die Stöpsel gezogen / auf leisen Sohlen // Die Angst um den Einfluss, die Monomanie / dass jeder so sein muss, wie zufällig sie / so ging ich denn nächstens mir Schnaps erstmal holen / auf leisen Sohlen“ //
Frl. Louisan reüssiert momentan mit Cover-Versionen von Münchner-Freiheit- und Rammstein-Schlagern und verabschiedet sich hiermit aus dieser Kritik – schließlich ist ja das Arbeitsleben des Autoren und reisenden Musikers D. Dziuk nur ein, aber sicher nicht das Thema dieses Albums.
Von wegen! Der Autor D. Dziuk zeigt geradezu exemplarisch, wie weit man sich als Liedermacher thematisch vom persönlichen Alltag entfernen kann, ohne dabei an Authentizität, Persönlichkeit oder Kompetenz zu verlieren. Gerade wie er sich rasiermesserscharf und lebensweise in „Zu groß, um zu scheitern“ die Bankenkrisen-Retter vorknöpft, offenbart ungleich mehr über den da singenden, hundeschnauzen-coolen Durchblicker als irgendein autobiographisch-selbstreferenzielles Geständnislied das könnte.
Wobei es auch solche Lieder auf „Wer auch immer, was auch immer, wo auch immer“ gibt: In „Alien“ betrachtet Danny unter anderem die Schwierigkeiten, die ihm sein Nachname bereitet, bewahrt dabei aber dieselbe Distanz wie an anderer Stelle z.B. zur AfD-Pegida-Mischpoke – Aliens allerorten eben, denen er sich in „Ja, man darf“ eher mit belustigter Neugier als mit Überheblichkeit nähert.
Was fast überall gelingt, stößt in „Und alle meine Freunde“ an Grenzen: In klassischer Balladen-Tradition erzählt Danny die wahre Geschichte der durch Cyber-Mobbing in den Suizid getriebenen Amanda Todd, kommt dabei aber kaum über eine Wikipedia-Artikel-Vertonung plus Facebook-Schelte hinaus. Die persönliche Betroffenheit ist ihm und Backingsängerin Dota durchaus anzuhören – und doch ist es eben nicht ihre Geschichte. Wieviel stärker, wenn Danny in „Borderline“ über seine eigenen Grenzerfahrungen singt – und mit „Die Wissenschaft, die Wissenschaft / wie putzig sie ihr Kleidchen strafft“ noch einen veritablen Aphorismus dazu spendiert.
Doch genug über Texte und Inhalte – höchste Zeit, die wunderbare Musik zu loben, die auch mit bulgarischen oder usbekischen Texten ein schieres Hörvergnügen wäre.
Nehmen wir den Titelsong: Mit bemerkenswerter Penetranz viertelt ein Banjo einen immer gleichen Pedalton über weiche E-Piano-Akkorde, als wäre gerade Soundcheck für einen Tarantino-Soundtrack. Dazu achtelt ein Shaker; abgestoppte Gitarren und Glockenspiel-Splitter machen Druck, dann kommt Dotas Ex-Drummer Nicolai Ziel mit einem Groove hinzu, den Al Green sicher genausowenig von der Bettkante geschubst hätte wie die punktgenauen Bläser, die ab dem dritten Refrain die Gesangsphrasen in Stücke schneiden, dann im Mittelteil das Geschehen kurz komplett übernehmen – um sich sofort wieder zurückzuziehen. Nach dreieinhalb Minuten gibt´s einen kleinen Acapella-Break, das Lied ist eigentlich vorbei, der Groove aber noch längst nicht – die Bläser geben sich jetzt entspannt, das Saxophon lässt sich zu einem amüsierten Solo verführen, die Slide-Gitarre hält kurz gegen, das Banjo viertelt noch immer… Little Feat haben vor vierzig Jahren so ähnlich musiziert, aber hört man z.B. deren „Spanish moon“ mal im A/B-Vergleich, bemerkt man, was sich seitdem alles produktions- und klangtechnisch so getan hat. Oder „Auf leisen Sohlen„, kompositorisch in Griffweite zu Dylans „Ballad of a thin man“, klanglich aber so weit entfernt, dass man den Direktvergleich gar nicht anempfehlen will, sondern eher fragen mag: Welche Bob Dylan ist denn vergleichbar gut gemischt – „Time out of mind“? „Together through this“? „Tempest“?
Ich darf zusammenfassen: Eine Platte mit Texten, die von der im Bereich „deutsche Lieder mit Inhalt“ erfolgreichsten Künstlerin mit Kusshand genommen würden und die persönliche wie politische Themen in bonmot-Qualität vermesssen; eine Platte, die sich kompositorisch mit den Klassikern des amerikanischen Songwritings der letzten Jahrzehnte messen darf, diese aber klanglich eher hinter sich lässt – eine solche Platte darf man kaufen.
Kaufen, Leute, kaufen.