Gerhard Schöne: Ein Tag im Leben eines Kindes

BuschFunk, 2016

Titelliste

  1. Einmal Globus und zurück (Frankreich)
  2. Regenzeit (Gabun)
  3. Hazel unterm Regenbogen (Türkei)
  4. Lara und die Eselsbibliothek (Kolumbien)
  5. Das Kind mit dem Merkheft (Großbritannien)
  6. Wind in den Haaren (Mexiko)
  7. Das fremde Kind
  8. Mein liebes Apfelbäumchen (Deutschland)
  9. Ego-Shooter (Deutschland)
  10. Geiglein, Geiglein, Violinchen (Russland)
  11. Stella saß neben mir (Schweden)
  12. Der Junge des Soldaten (Niederlande)
  13. Mians kleines Geheimnis (China)
  14. Schönheitskönigin (USA)
  15. Nacht in Gulu (Uganda)
  16. Mette macht Mathe (Dänemark)
  17. Jan beim Krippenspiel (Polen)
  18. Wenn ich bei Opa früher war (Deutschland)
  19. Die einen und die anderen

Besetzung

  • Gerhard Schöne: voc, git
  • GewandhausKinderchor: Chor
  • Frank-Steffen Elster: Leiter des GewandhausKinderchores
  • Johannes Moritz (LU:V): sax, kl, querflöte, melodika
  • Timo Klöckner (LU:V): git, akk
  • Philipp Rohmer (LU:V): kontrabass
  • Peter Jakubik (LU:V): drums
  • Walter Zoller : piano

Liedtexte

Nach der Schule, jeden Tag,
Ranzen in die Ecke – Zack!
Mit beschwingten Hufen
achtundneunzig Stufen
hoch in meinen Dachverschlag.

Ein rotes Eisenbett steht drin,
wenn ich da mit Freunden bin,
holʼn wir aus der Ecke
den Globus auf die Decke,
darüber ziehen Wolken hin.

Unter uns – eh, klarer Fall –
dreht sich unser Erdenball.
SOS, wir stranden!
Hejaho, wir landen
irgendwo und überall.

Ist das der Nordpol?
Männer, zieht euch warm an!
Antoine, du spannst die Schlittenhunde an!
Boah, diese Kälte, rein in die Zelte.
Man wird hungrig unterwegs.
Was gibt’s zum Schmatzen?
Eisbärentatzen.
Lass die Eisbärn, nimm ʼnen Keks!

Weiter geht es mit dem Kahn,
U-Boot oder Bimmelbahn,
Zeppelin und Schlitten;
Zwischendurch geritten,
Hauptsache, wir kommen an!

Riesige Wälder, dort die bunte Villa!
Ein Rotschopf mit Äffchen reitet auf’ m Pferd.
Trolle und Feen sind hier zu sehen.
Keine Ahnung, wo wir sind.
Guckt mal nach oben,
da fliegt hoch droben
auf der wilden Gans ein Kind!

Weiter geht es mit dem Kahn,
U-Boot oder Bimmelbahn,
Zeppelin und Schlitten;
Zwischendurch geritten,
Hauptsache, wir kommen an!

Hitze und Sand, doch nirgendwo ein Brunnen,
unsre Kamele können bald nicht mehr.
Wackere Reiter, wir müssen weiter,
Sindbad reitet uns voraus.
Ah, die Oase, her mit der Vase,
alles Wasser sauf ich aus!

Weiter geht es mit dem Kahn,
U-Boot oder Bimmelbahn,
Zeppelin und Schlitten;
Zwischendurch geritten,
Hauptsache, wir kommen an!

Jungs, schaut mal runter.
Kommt euch das bekannt vor?
Da fließt die Seine, dort steht der Eiffelturm!
Schornsteine, Dächer, Bodengemächer,
rein, in die Luke da.
Auf allen Pfoten landet im roten
Eisenbett. Hipp-Hipp-Hurra!!!!

Nach der Schule, jeden Tag,
Ranzen in die Ecke – Zack!
Mit beschwingten Hufen
achtundneunzig Stufen
hoch in meinen Dachverschlag.

Regen bei Tag und bei Nacht,
bin schon im Dunkeln erwacht,
schleiche und flüster,
weck die Geschwister.
Miriam gähnt, Josua lacht.

Kommt, meine Süßen, steht auf!
Zum Reisfeld im lockeren Lauf,
beginnt es zu tagen,
heißt ’s Vögel verjagen,
sonst fressen die alles auf.

Refrain:
Regenzeit, nichts als Regen
auf Haut, Haaren, Feldern und Wegen.
Regenzeit, Regenzeit,
selbst die Schule geht baden im Regen.

Wir sind die Feldpolizei,
wir haben Rasseln dabei.
Wolln uns die Tauben
und Spatzen berauben,
machen wir Krach und Geschrei.

Miriam, der klitschnasse Floh,
hüpft auf und ab wie’n Jojo,
fängt an zu tanzen,
zwischen den Pflanzen.
Wir beiden Jungs lachen so!

Refrain

Papa kommt abends vorbei,
freut sich und lobt seine drei
Krachspezialisten,
Feldpolizisten!
Mama kocht schon Milchreisbrei.

Trocken und warm ist es drin,
gähne und kuschle mich hin.
Mama singt wieder
die alten Lieder.
Regen, wie dankbar ich bin.

Refrain

Was ich dir jetzt erzähle,
bitte sag es nicht weiter!
Du musst schwören,
du schwärzt mich nicht an!
Jeder kennt mich als Jungen,
doch ich fühl, wie ein Mädchen.
Ich will Frau werden,
niemals ein Mann.
Hab im Keller ein Eckchen
hinter Stapeln und Kisten,
dort spiel ich mit den Puppen allein,
trag ein Kleid und ne Schürze,
kann da backen und kochen
und genieße es, Mama zu sein.

Refrain
Und steht am Himmel ein Regenbogen,
laufe ich schleunigst da hin, ganz allein,
wer darunter hindurch läuft, sagte mein Opa,
der darf fortan ein anderer sein.

Ich kann Jungen nicht leiden,
wie sie kämpfen und prahlen,
mich zieht es zu Mädchen nur hin.
Doch die sehen in mir
leider nur einen Jungen.
Niemand kennt mich
und weiß wie ich bin.
Gehen die Eltern zum Keller,
krieg ich so eine Panik,
wenn sie etwas entdecken ist’s aus!
Diese Sünde! Die Schande!
Oh, ich seh es schon vor mir:
Mama weint, Papa jagt mich hinaus.

Refrain

Warum hast du verraten,
was ich dir anvertraut hab?!
Ja, ich musste am Schulpranger stehn.
Ich sei eine Gefahr,
so wie fauliges Obst,
schrie der Lehrer,
drum müsste ich gehen.
Meine Eltern, die guten,
nahmen mich in die Arme
und die seufzten und weinten mit mir,
denn sie wussten längst alles
und sie haben’s geduldet.
Bin so froh, darum dank ich auch dir.

Und steht am Himmel ein Regenbogen,
rufe ich Mama und Papa heraus.
Darf mich verändern, darf mich verwandeln,
sein wie ich bin in meinem Zuhaus.

Oft muss ich Carlito
Geschichten erzählen,
er kann sonst nicht schlafen,
jetzt träumt er und spricht.
Papa schmust mit Mama.
Ich stehe am Fenster
und schau auf die Straße
im silbernen Licht.

Die Glühwürmchen tanzen
im Baum, wo wir saßen,
die Kinder des Dorfs
und der freundliche Mann.
Zum zweiten Mal kam er
zu uns in die Berge
und band die zwei Esel
am Baum drüben an.

Die Eselchen nannte er
Alpha und Beta,
die waren mit Bücher-
paketen bepackt.
Er legte die Bücher
vor uns in den Schatten,
las eine Geschichte
und hat laut gefragt:

„Wer von euch kann lesen?“
Ich hab mich gemeldet.
Er reichte mir Kreide
und bat mich so nett:
„Schreib bitte ganz ordentlich
auf diese Tafel
die Buchstabenreihe
vom A bis zum Z.“

Er malte darunter
gekonnt kleine Bilder,
von Affe bis Zebra.
Wir haben gelacht.
Und als er beim E grad
ein Eselchen malte,
schrie Alpha:“IA!“
und hat Köttel gemacht.

Wir durften uns wieder
paar Bücher ausleihen.
Ein Extrageschenk
hatte er nur für mich.
„Das Wörterbuch hilft euch
beim Lesen und Schreiben.
Du bist jetzt ihr Lehrer.
Ich zähle auf dich!“

„IA!“ schrie jetzt Beta,
er packte zusammen.
Wir hockten auf Bäumen
und winkten ihm nach.
Ich hab noch Carlito
im Bett vorgelesen.
Jetzt schlafen sie alle,
nur ich bin noch wach.

In mein Merkheft schreib ich mit Zauberstift
absolut Geheimes in Spiegelschrift.
Oh, mein Traumberuf auf Erden
wäre, Detektiv zu werden.
Alles, was so ringsumher passiert,
wird ins Heft notiert.

Pünktlich siebzehn Uhr kommt Papa nach Haus,
nippt am Kaffee, breitet Zeitungen aus.
Mama trinkt jetzt heimlich immer
Alkohol im Badezimmer,
ruft nach Papa, doch der blättert stumm
seine Zeitung um.

Müllabfuhr leert Abfalltonnen aus.
Spedition trägt Schränke in ein Haus.
Leichenwagen steht im Halteverbot.
Kind mit Dreirad fährt durch Hundekot.
’n Sprayer sprüht an ein Garagentor.
’ne Politesse kommt, knüpft sich ihn vor.
Der Leichenwagen kriegt ’n frischen Sarg.
Alte Männer joggen durch den Park.

Manches, was ich in mein Heftchen notier,
gibt mir Rätsel auf und ich kombinier.
Mama trinkt seit sieben Wochen,
seit Papa so gut gerochen
nach Parfüm der Marke „Egoist“,
was echt seltsam ist.

Papa putzt im Keller sein Tourenrad.
Mama führt jetzt Selbstgespräche im Bad.
Gar zu gerne würd‘ ich wissen:
Warum hat sie weggeschmissen
all ihr Schminkzeug, das so teuer war?
Einfach sonderbar!

Türkin auf dem Hof, die Teppich klopft.
Straßenbahnen, Busse, vollgestopft.
Nachbarin bringt Stubenfliegen um.
Und die Politesse steht herum.
Mama hat die Zeitung heut zerknüllt.
Papa hat zum ersten Mal gebrüllt.
Jetzt schwingt er sich unten auf sein Rad.
Und sie spricht am Telefon im Bad.

Hab im Zeitungsstapel rumspioniert.
Auf den Zeitungsrändern war was notiert.
Mama schrieb auf viele Seiten:
„Du da, kannst du mich noch leiden?“
„Sieh mich an!“ stand da und „Ich bin hier!“
Und auch: „Sprich mit mir!“

Detektive heulen nicht, um keinen Preis.
Ich leg ’s Merkheft weg, weil ich alles weiß.
Ich bin groß genug, an meinen
Schultern kann sie sich ausweinen.
Ich werdʼ mit ihr reden, wenn sie will,
oder lausche still.

Mama, ich komme! Mama, ich reite
auf diesem Güterzug schnell in die Weite.
Hab dich vermisst, Mama, in den fünf Jahren!
kann nicht mehr warten, ich muss zu dir fahren.
Klar, ist’s gefährlich auf dieser Reise.
Manchmal stürzt einer hinab auf die Gleise.
Tage schon, Nächte schon bin ich gefahren,
Dieselgestank und den Wind in den Haaren.

Sicher bäckst du bald Tortillas für mich.
Ich such mir Arbeit und sorge für dich.
Wenn mich das Glück und der Mut nicht verlässt,
dann, dann umarmst du mich fest!

Weiß viele Tricks von den anderen Jungen.
Bin wie ein Tramp von Zügen gesprungen.
Fand in den Städten im Müll was zu kauen,
nicht dass du denkst, Mama, ich würde klauen.
Mir kommen manchmal Geschichten zu Ohren,
manche gehen, während sie schlafen verloren,
werden verschleppt und verkauft, so wie Sklaven.
Deshalb versteck‘ ich mich immer zum Schlafen.

Wenn ich mal schlafe, ich schlafe ja kaum,
dann steh ich vor dir, du rufst mich im Traum.
Du hältst wie früher die Arme weit auf
und ziehst mich zu dir hinauf!

Schaff ich zu Fuß die gefährlichen Pisten?
Kann ich sie täuschen, die Grenzpolizisten?
Halt ich den Rhythmus von Schlafen und Wachen
lang genug durch? Muss mich unsichtbar machen.
Kann ich mich in dunklen Kellern verkriechen?
Werd ich die Fallen und Fußangeln riechen?
Find ich Manhattan, die Straße, die Wohnung?
Und gibst du mir einen Kuss zur Belohnung?

Mama, ich hoffe, dass du deinen Sohn
wiedererkennst und abküsst zum Lohn
für die Entbehrung, Ängste, Gefahren
nach fünf unendlichen Jahren.

Alles ist so fremd hier,
alles ist so seltsam,
meine Eltern sind hierher geflohn.
Und seit ein paar Tagen
geh ich hier zur Schule.
Einen Freund zumindest hab ich schon.

Der spricht extra langsam,
malt auf kleine Zettel
alles, was er mir erklären will.
Sonst versteh ich gar nichts,
wenn die andern reden.
Ich sitz fremd dazwischen und bleib still.

Refrain: Mella wune polli wake gunna ekos piroston.
Mei kalutsche fate lios. Rebelli co Rebellon
Nengu Ramu Pirazella oro cantus belle wi.
Salminello zippelina, tulla tulla tellerie.

Anders ist ihr Essen,
anders ist die Kleidung,
anders ihre Haare und die Haut.
Anders sind die Bäume,
anders stehn die Sterne,
nur die Sonne ist mir wohl vertraut.

Als ich gestern weinte,
hatʼs mein Freund gesehen.
Er nahm meine Hand und malte dann
in die Hand mit Filzstift
eine gelbe Sonne.
’s hat gekitzelt und mir gut getan.

Refrain

Wann werd ich ’s verstehen,
wovon sie da reden?
Alle müssen lachen, nur nicht ich.
Manche schielen zu mir
wie zu einem Tierchen.
Lachen sie am Ende über mich?

Wenn mein Freund nicht wäre,
würde ich verzweifeln.
So versteh ich manches irgendwann.
Jedenfalls klingt ’s lustig,
was sie grade singen.
Ich versuch es auch, soweit ich kann…

Refrain

Meine Mutter schimpft auf „Ego-Shooter“.
Meine Güte, das ist doch nur ein Spiel!
Am Computer bin ich so ein guter
Kämpfertyp, ich komm garantiert zum Ziel.
Der Marco hat mir dieses Spiel gebrannt,
im zwölften Level bin ich bald.
Bin grad durchs Feuer zu dem Jeep gerannt
und machte sieben Gegner kalt.
Ich darf gar nicht dran denken: um sechs muss ich raus…
den Vortrag kann ich mir schenken, flieg sowieso raus.
Die Schule ist einfach öde und Tina war fies.
Klar, sie findet mich blöde trotzdem, die ist süß.

Messer, Spaten und die Handgranaten,
Medipack und Supersturmgewehr.
Vorsicht, Falle! Ha, die ich mach sie alle:
Tak-tak-tak…jetzt zucken die nicht mehr.
Ein geiles Spiel eh, ich bin so ein Fuchs!
Wär Tina hier, wär ich ihr Held.
In Echt sag ich zu Tina nie ein‘ Mucks.
Ich komm nicht klar in ihrer Welt.
Ich spiel bestimmt schon vier Stunden, hab ich einen Knast.
Hab kalte Pommes gefunden und zum Glück nichts verpasst.
Die Fischern sagte in Mathe zu mir, ich sei dumm.
Wenn ich nur könnte, die Ratte, ich brächte sie um.

Blendgranaten. Zack, eins überbraten!
Explosion!!!  Geschafft!!! Ich bin der Boss!!!
Dollars! Rubel! Korkenknallen! Jubel!
Ich sitz‘ winkend auf dem hohen Ross.
Die Mama streichelt mich die ganze Zeit.
Mit dem Gemecker ist jetzt Schluss.
Und Tina flüstert: „Sorry, tut mir leid!“
Und bittet mich um einen Kuss.
Ich seh‘ toll aus! Und der Knüller: Die Schule wird umbenannt
in „Institut Andy Müller“. Bin beliebt und bekannt.
Es senden alle Programme ein Sieger-Bild, nämlich meins.
Die Lehrer wollʼn Autogramme. Die Fischern kriegt keins!

Ich dachte, Papa wär mein Held,
der mir am Lagerfeuer
von seiner Zeit im Krieg erzählt
die schönsten Abenteuer.
Doch er fängt gleich zu zittern an,
spricht jemand von Afghanistan.
Mir ist das nicht geheuer.

Einst hat er Medaillen abgeräumt
im Kampfsport und im Ringen.
Und ich hab oft davon geträumt,
mit ihm Fallschirm zu springen.
Ich war so stolz die ganze Zeit
auf ihn und die Spezialeinheit,
sprach nur von solchen Dingen.

Ich prahlte und ich hab gedroht
mit Papa, meinem Helden.
Jetzt steh ich da wie ein Idiot
und hab nichts mehr zu melden.
„Ein Weichei ist er!“, spotten sie,
„Der rennt doch in die Psychiatrie!
Der lebt in andren Welten!“

Mit Orden kam er aus dem Krieg.
Er kauft uns teure Sachen.
Doch leer und müde ist sein Blick.
Verschwunden ist sein Lachen.
Er stiert nur Löcher in die Wand
und streichelt traurig Mamas Hand.
Was sollen wir nur machen?

Mein Püppchen, mein liebes,
jetzt kann ich’s dir sagen,
jetzt schläft Mama ja nebenan.
Ich bin gar nicht krank
und mich zwickt nichts im Magen.
Ich hab einfach nur so getan.
Ich wollte, dass Mama
mich wieder mal streichelt,
was vorliest und kuschelt mit mir.
Das tut sie ja leider
nur dann, wenn ich krank bin,
ich mach das viel öfter mit dir!

Aber sie hat auch viel um die Ohren…
Und schließlich, wir brauchen das Geld.
Da muss ich zurückstehn
und vor allem ihr Glück sehn,
damit sie den Posten behält.

Die Leute im Fernsehn,
die geben sich Mühe,
doch Mama liest besser, als die.
Ich sah alles vor mir
und musste fast weinen
und dabei berührte ich sie.
Da merkte ich, Mama
hat selbst nasse Wangen,
das hätt ich von ihr nie geglaubt.
Weil sie sonst so streng und
so diszipliniert ist
und sich keine Schwäche erlaubt.

Mama ist schließlich Chefsekretärin,
manchmal macht sie doppelte Schicht.
Da muss ich sie schützen
und stets unterstützen.
Drum bettel und klage ich nicht.

Mein Püppchen, mein liebes,
der Milchreis war lecker!
Ein wenig tut es mir ja leid,
dass ich kein bisschen krank bin,
dass sie extra zu Haus blieb
und im Bett lag mit mir all die Zeit.
Und wenn es auch schön war,
ich werde mich zwingen
und mach nicht noch mal so etwas!
Komm, kuschel dich an mich,
mein Püppchen, mein liebes.
Jaja, meine Wangen sind nass.

Mama findet sich hässlich,
viel zu fett, Gott sei Dank
hat sie mich ja zum Lieben
und ich bin zart und schlank.
Ich sei „ihre Prinzessin“,
ihr „besseres Ich“,
drum bewacht und umsorgt
und betuttelt sie mich.
Kalorientabellen
hat sie aufwendig drauf.
Und sie passt, wenn ich jogge,
vom Auto aus auf.

Würdʼ ich heimlich nichts futtern,
wärʼ ich sicher längst krank.
Oft lustwandeln wir zwei
im begehbaren Schrank.
Sie schleppt Kleiderchen,
Schuhchen und Leggins heran.
Ich posiere vorm Spiegel.
Mama betet mich an.
Unser Nachbar zur Linken
bastelt an seinem Jeep.
Und der andre hat nur
seine Schießeisen lieb.

Mamas Hobby bin ich,
bin ihr Vollzeitprojekt.
So viel Hoffnung und Geld
hat sie in mich gesteckt.
Ständig knipst sie mich
mit neu gestylten Frisuren
und schickt dann meine Fotos
Model-Agenturen.
Immer ist es mir peinlich,
wenn sie darauf besteht,
dass sie mit mir zum Shoppen
im Partnerlook geht.

Manchmal werde ich bockig.
Dann hilft es nur zu schrein.
Dann stopf ich massenhaft
süßes Zeug in mich rein.
Ha, das muss ich doch schaffen:
Ich krieg so einen Bauch!
Dann lässt sie mich in Ruh‘,
denn dann hasst sie mich auch.
Soll sie ’n Pudel sich halten,
lila Löckchen ihm drehn,
ihn anbeten und mit ihm
im Partnerlook gehen!

Wie jeden Abend halte ich
Ausschau hinterm Fenster.
Da näherm sich die Schatten,
nein, nein keine Gespenster!
ʼs sind viele hundert Kinder.
Ich höre ihre Schritte.
Sie schlurfen jetzt im Dunkeln
vom Stadtrand hin zur Mitte.

Sie suchen einen Schlafplatz,
paar huschen um das Haus,
auf unserer Terrasse
ruhn sie sich aus.

Aus weit entfernten Dörfern
sind sie einst losgelaufen,
um in den großen Städten
ihr Dasein zu verkaufen.
Mein Vater sagt, wie Sklaven,
so schlimm sei ihre Lage.
Sie schuften in Fabriken,
beim Bau und Untertage.

Doch jeden Abend drängen
sie in die Stadt hinein.
Sie schmiegen sich in Ecken
und schlafen ein.

Wir stellen einen Eimer
mit Wasser hin zum Trinken.
Da trinken jetzt zwei Mädchen,
gern würd‘ ich ihnen winken.
Ich kann einfach nicht schlafen
und steh an der Gardine.
Mein Vater sitzt noch immer
an seiner Nähmaschine.

Er muss sein Pensum schaffen,
sonst fliegen wir hier raus.
Und ich schlaf eines Tages
bei anderen vorm Haus.

Leis öffne ich das Fenster,
die beiden kichern munter.
Ich reiche ihnen wortlos
mein Kopfkissen hinunter.
Da liegen sie im Mondlicht
auf meinem weißen Kissen.
Jetzt schlaf ich sicher besser
mit leichterem Gewissen.

Und morgen putz ich wieder
den Müll und all den Dreck,
eh sich mein Vater aufregt
unbemerkt weg.