Ein Vierteljahrhundert Rockspaß

Dresdener Neueste Nachrichten, 4. Oktober 2006

Jäcki Reznicek, von 1981 bis 1987 Urbassist der Urberliner Kultcombo Pankow und anno 1987 mit ostuntypischem medialen Getöse zu Silly gewechselt, spielt heutzutage wieder in beiden Combos.

Mit Pankow ist er nun auf der 25-Jahre-Jubeltour im gesamten Revier, von Annaberg bis Zinnowitz, unterwegs. Und morgen endlich auch im Dresdner Alten Schlachthof. Im Gepäck die jüngste Buschfunk-Scheibe des Quintetts, „Nur aus Spaß“ betitelt. Ansonsten schreibt der omnipräsente Musiker auch noch Lehrbücher für angehende Bassgitarristen und doziert an der Dresdner Hochschule für Musik. Für die DNN unterhielt sich Andreas Herrmann mit dem Ur-Dresdner über Vor- und Nachwendespaß an ostdeutscher Rockmusik.

Frage: Wie lange hat es eigentlich gedauert, bis Ihnen Ihre Pankower Kollegen den Wechsel zu Silly verziehen haben?

Reznicek: Da müsste man mal die Pankower Kollegen fragen… Aber spätestens zum zehnjährigen Bandjubiläum 1991 war ich wieder dabei.

Das war ja in Zeiten, wo Musikcombos wie Wohngemeinschaften hausten, durchaus unüblich – wie konspirativ geschah dies?

Ach, das lief ganz normal: Es gab ja in der DDR eine so genannte Allstar-Band namens „Die Gitarreros“, in die jeweils die besten Musiker gewählt wurden. Dort waren Kollegen beider Bands immer gut vertreten und dadurch war die Szene auch gut vernetzt. So verborgte ich mal einen Bass an Silly und wollte ihn aus dem Studio wieder abholen. Da James, also der eigentliche Bassist, nicht da war, sollte ich schnell aushelfen – und spielte dort die Melodie von „Batallion d‘ Amour“ ein. Später hat mich dann Tamara Danz gefragt, ob ich nicht immer bei ihnen spielen wolle.

Aber Sie waren doch bei Pankow ganz gut aufgehoben…

Ja – und ich habe auch lange hin- und herüberlegt. Ich hätte gleichzeitig auch zu Karat gehen können, dies hätten viele vielleicht eher verstanden. Die waren jenseits von Gut und Böse und durften in den Westen fahren. Es gab nach dem Wechsel viel Unruhe – zumal sich dann in der kleinen DDR-Szene sofort das Karussell drehte. Für mich kam Ingo Griese von Rockhaus zu Pankow.

Wodurch unterschieden sich damals die beiden Gruppen?

Silly, Pankow und auch City gehörten – nach den Puhdys und Karat – zur so genannten zweiten Garde der populären Ostrockbands und waren nicht so angepasst. Meine beiden Bands unterschieden sich ja schon durch völlig verschiedene Sänger. Textlich waren beide provokant – Pankow vielleicht noch etwas direkter in der Sprache. Silly spielte einen durcharrangierten Rock, bei dem immer wieder neue kleine musikalische Details zu erkennen sind, während sich Pankow mehr durch einen fast schon traditionellen „Geradeausrock“ auszeichnet.

Und heute?

Genauso.

Was unterscheiden damalige Bandfamilien von heutigen Musikprojekten?

Wir haben damals sehr viel getourt – viel mehr, als heute möglich ist. Man war ständig am Spielen – und in den knappen Zeiten ohne Konzerte hat man geprobt, an neuen Songs gearbeitet und Platten aufgenommen. Selbst wenn man gewollt hätte: Die Zeit für andere Projekte neben der „Hauptband“ fehlte einfach. Heute spielt man ja höchstens noch ein Drittel der Konzerte – daher hat jeder gute Musiker mehrere Projekte laufen. In sehr guten Zeiten kann er so vielleicht auf die gleiche Anzahl von Konzerten kommen.

Und wie unterscheiden sich die Reaktionen des Publikums?

Bei uns kaum. Die Leute achten auf die Texte und wir bekommen mittlerweile Mails von Teenies, die offenbar den Plattenschrank ihrer Eltern durchhören und dann schreiben: „Wahnsinn – wie konnte man damals solche aktuellen Songs schreiben?“ Beispielsweise der Silly-Song „Alles wird besser“ könnte vorgestern geschrieben worden sein. Damals war nur das „Feindbild“ klarer.

Man könnte meinen, angesichts des vielen deutschsprachigen Nonsens, der produziert, gesendet und gekauft wird, dass Zensur heute subtiler funktioniert…

Ich kann und mag das nur für uns beurteilen: Wir hatten zu DDR-Zeiten Schwierigkeiten mit den Texten – und nach der Wende mit der Plattenfirma wieder. Gesellschaftskritik ist offenbar nie beliebt. Warum relativ viel bei den DDR-Zensoren durchging, ist ganz einfach: Wir hatten einen Vertrag mit einer Westfirma – inklusive deren Produktionsdruck – und die DDR war einfach devisengeil. Teilweise haben wir schon in Westberlin produziert und unser damaliger Texter Gerhard Gundermann, der nicht in den Westen durfte, hat per Telefon noch schnell die letzten Texte durchgegeben. Da wusste letztlich der Stasimann in der Abhörzentrale besser Bescheid als die Plattenfirma.

Dennoch hat wohl – glücklicherweise – die Zensur vor der Wende nicht mehr so recht funktioniert?

Wir haben schon gegengesteuert und diverse Stolperstellen eingebaut, um den Rest zu schützen. Tamara nannte das „Grüne Elefanten“. Aber man muss differenzieren: Beim DDR-Label Amiga ging viel mehr als beim Rundfunk, der viel strenger war. Aber zum Schluss hatte man schon den Eindruck, dass die Aufbruchstimmung auch die obersten Kader erreicht hatte und sie bestimmte Sachen bewusst durchließen.

Beiden Bandgeschichten eigen ist die offenbar gelungene Aufarbeitung diverser Stasi-Abschöpfung – wie gelang das?

Nur durch exakte Recherche und fast schon schonungslose Aussprache.

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