Ich hatte als Kind viel mehr Freiheiten Der Liedermacher Gerhard Schöne gibt morgen zwei Konzerte in Ingolstadt – für Kinder und Erwachsene

Donaukurier, Anja Witzke

Gitarre und Hut sind seine Markenzeichen: Gerhard Schöne ist Liedermacher aus dem Osten, aber längst nicht mehr nur für den Osten. Er ist ein Rebell der leisen Töne – der erst auf Umwegen zu seinem Beruf fand. Er war Kunstschmied, Briefträger und Bausoldat. Das DDR-System verweigerte ihm seinen Traumberuf: Schauspieler. Und so floh er in die Musik. Lieder hatte er schon als Jugendlicher geschrieben, nun folgte ein Fernstudium an der Dresdner Musikhochschule. Die ersten Platten („Spar deinen Wein nicht auf für morgen“ und „Kinderland“) machten ihn rasch über die DDR hinaus bekannt. Und so duldete ihn die Obrigkeit lieber, als ihn aufsehenerregend zu verbieten. Nach der Wende konnte er seine Karriere nahtlos fortsetzen. Mehr als 25 Alben sind seit 1990 entstanden, für die Gerhard Schöne unter anderem mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde. Am Samstag ist er im Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt zu erleben.

Herr Schöne, Sie geben zwei Konzerte in Ingolstadt: eins für Kinder am Nachmittag, eins für Erwachsene am Abend. Auf welches freuen Sie sich mehr? Gerhard Schöne: Für Kinder singe ich schon sehr gern. Aber wenn ich ehrlich bin, freue ich mich auf die Abendveranstaltung mehr, weil ich diese Konzertlesung noch nicht so oft gemacht habe. Und wenn ich mich dann an meine eigene Kindheit erinnere, merke ich den Erwachsenen oft an, dass sie selbst ihre Kindheitserinnerungen damit abgleichen. Das ist ein Wechsel zwischen ernsten und heiteren Tönen.

Wann haben Sie denn „Mein Kinderland“ geschrieben? Schöne: Ich habe sechs Kinder im Alter zwischen elf Jahren und Mitte 30. Und jedes dieser Kinder fragte mich irgendwann mal, wie es war, als ich Kind war. Je öfter diese Frage kam, desto mehr fiel mir ein. Irgendwann hatte ich einfach Lust, das aufzuschreiben. Ich bin 1952 geboren, da war die DDR noch relativ jung. Mein Vater war Pfarrer und hatte etliche Reibungsflächen mit staatlichen Stellen. Aber für mich war es eine Oase der Freiheit, wo man bedenkenlos reden konnte. Anders als bei manchen Freunden, wo die Eltern oft sagten: „Das muss aber unter uns bleiben. “ Ich hatte eine Jungsband. „New Western“ hieß unser Revier oberhalb der Weinberge. Da hatten wir so eine Bude mit ausrangierten Autositzen. Gleich dahinter begann der Wald. Ich war kein sonderlich guter Schüler. Und hab mir ein bisschen Geld verdient, indem ich bei Beerdigungen das Kreuz vorneweg trug oder indem ich die Kirchenuhr aufzog. Meine Eltern ließen mir ziemlich große Freiheiten. Wenn ich mit Freunden nachts im Wald übernachten wollte, dann hatten sie keine Bedenken. Wenn ich das mit heute vergleiche, stelle ich fest, dass es unter den Eltern mehr Angst gibt und sich die Kinder viel stärker durch die Medien fremdbestimmen lassen. Dann denke ich mir oft, dass meine Kindheit schöner war.

Was haben Sie mit Ihrer Bande gemacht? Schöne: Wir haben Cowboys und Indianer gespielt, sind rumgestromert, auf Felsen geklettert, haben Friedenspfeife geraucht. Meine Eltern wollten verhindern, dass ich rauche. Also haben sie einen Vertrag mit mir geschlossen: Wenn ich es schaffte, nicht zu rauchen bis ich 16 bin, würde ich 100 Mark bekommen. In diesem Vertrag war die Friedenspfeife extra ausgenommen.

Haben Sie’s geschafft? Schöne: Ja. Ich weiß aber nicht mehr, wofür ich das Geld ausgegeben habe.

Sie wollten ursprünglich gar nicht Sänger, sondern Schauspieler werden. Warum zog es Sie überhaupt zur Bühne? Schöne: Ich war von Kindesbeinen an in der kirchlichen Laienspielarbeit. Der Pfarrer, der mich auch zum Liederschreiben ermuntert hatte, weil er bei mir wohl eine gewisse Begabung gesehen hatte, leitete selbst ein Kabarett und hat mich gefördert. Seit ich 14 war, war ich jeden Sommer in einem Theatercamp. Da arbeitete auch ein Bühnenbildner des Berliner Ensembles mit. Das war eine intensive Zeit und ich bekam Lust, das beruflich zu machen. Ich bewarb mich, wurde immatrikuliert, aber als ich in der NVA den Dienst an der Waffe verweigerte, verlor ich den Studienplatz wieder. Vermutlich wäre ich kein guter Schauspieler geworden.

Sind Sie als Sänger glücklich? Schöne: Ja. Das hatte ich schon immer nebenbei gemacht. Da gab es das Berufsbild eines Liedermachers noch gar nicht. Aber ich hatte singende Schauspieler wie Manfred Krug erlebt und dachte, über diesen Umweg könnte ich meine Lieder an den Mann bringen.

Wovon handelten denn die ersten Lieder? Schöne: Die ersten schrieb ich als Jugendlicher auf bekannte Schlagermelodien – weil ich das in dem Kabarett meines Freundes so gesehen hatte. Ich schrieb beispielsweise auf Drafi Deutschers „Mamor, Stein und Eisen bricht“ einen Text, der mit „Weine nicht, wenn der Vater sagt, ins Bett, ins Bett“. Zunächst ging es um Erlebnisse in der Schule, da waren die Texte eher heiterer Natur. Das wandelte sich aber bald, und ich packte die großen Weltprobleme an, wobei ich mich auch ganz schön überhob. Aber das ist ja normal bei einem jugendlichen heißen Herzen. Später ist einem das natürlich peinlich.

Wovon lassen Sie sich denn heute inspirieren? Schöne: Ich erzähle gern Geschichten in meinen Liedern. Deshalb ist mir wichtig, dass die Geschichten packend sind. Und sich die Leute darin wiedererkennen. Ich liebe programmatische Alben. Eins hieß beispielsweise „Das Leben der Dinge“ und handelte davon, dass Alltagsgegenstände plötzlich zu reden beginnen. Ein Badezimmerspiegel spricht mit seinem Gegenüber über Schönheitsideale. Ein ausrangierter Teddy beklagt sich, dass das Mädchen, das ihn so lange als Kuscheltier benötigte, plötzlich einen Freund und gar keine Zeit mehr hat. Also die Geschichte einer verschmähten Liebe. Mein Favorit handelt von einem Filmprojektor, der gerade einen Kriegsfilm gezeigt hatte. Als das Publikum gegangen war, beginnt der Projektor mit dem Filmvorführer zu sprechen und bittet ihn, den Film rückwärts laufen zu lassen. Und dann sieht man eben, wie die totgeschossenen Soldaten aufstehen, die Bomben aufgesaugt werden von den Flugzeugen und sich auf den Bahnhöfen Leute um den Hals fallen.

Sie geben 100 Konzerte im Jahr. Sind Sie gern unterwegs? Schöne: Ich bin sehr gern unterwegs. Ich habe ja sonst nichts zu tun – außer Vater zu sein. Ich freue mich auf die Konzerte und aufs Auto fahren. Das ist mit Hörbüchern nämlich auch ziemlich kurzweilig.

Wie erleben Sie Deutschland 30 Jahre nach der Wiedervereinigung? Wie unterscheidet sich das Publikum? Schöne: Ich habe vielleicht den Bonus im Osten, dass mich viele kennen und dass wir vieles an Erfahrungen geteilt haben. Für die bin ich wie ein alter Freund. Ansonsten geht es in meinen Liedern weniger um aktuelle Politik als um Alltagsgeschichten, die überall verstanden werden. Was mir zurzeit Sorge macht, ist die fortschreitende Entfremdung der Gesellschaft. Die Unfähigkeit, über Politik zu diskutieren. Es mangelt an Mut, an Haltung, an Widerspruch. Es gibt so eine Vielzahl an Problemen, die die Menschheit zu bewältigen hätte, aber im Gegensatz dazu nur wenige, die aktiv daran arbeiten wollen. Und dagegen singe ich an

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