Ich wünschte, meine Lieder würden funktionieren, so wie man Brot ißt

Junge Welt, 5. März 1993

Schön ist Gerhard Gundermann nicht. Doch er wird schöner im Laufe eines Abends. Seine Lieder kommen aus dieser ehrlichen Seele. Längst verlorene Augenblicke. Empfindliche Rückblicke. Zaghafte Ausblicke. Gundermann versucht, so zu leben, wie es in seinen Texten steht. Und für einen Augenblick glaubt man daran, daß es so gehen könnte. Gundermann will Lebensmittel sein, manchem mag er trotz dem nicht bekommen. Manchmal will er Psychologe sein, manchmal Philosoph. Dann aber ist er wieder der Baggerfahrer aus Spremberg. Er sucht Antworten auf diese Welt, und ist froh, daß es endgültige nie geben wird. Ich finde, Gundermann ist ziemlich bitter geworden. Was in den alten DDR Liedern so gut nach Revolution roch, klingt nun fast ein wenig nach Wut und Trauer, auch Haß. Selbst in den weichen, leisen Liedern wie „Gras“ oder „Komm nicht zu spät“ fehlt mir die Hoffnung. Können Sie zur Zeit nur unter dieser Haut überleben?

Wenn Sie auf der Platte „Einsame Spitze“ Wut und Haß gefunden haben, dann muß in Ihnen Wut und Haß sein.

Ich habe davon nichts reingebracht. Sicherlich war früher mehr Optimismus dahinter. Der ist mir abhanden gekommen, das stimmt. Der Optimist sagt möglicherweise,es wird sich schon noch alles richten oder irgendjemand wird es richten. Aber der Pessimist sagt, es kann niemand richten, außer mir.

Wie gehen Sie an Ihre Lieder heran?

Es ist ja so: Du schaust zu Hause fern und guckst Dir eine Oper an. Der Fernseher er findet diese Oper ja nicht, sondern macht sie dem Zuschauer nur sichtbar. Manche bekommen ein gutes Bild, manche gar keines. Und ich bin auch so ein Fernseher. Lieder, die ich singe, habe ich irgendwo gefunden, weil ich eine Erklärung für etwas gefunden habe. Mein Nachbar, der singt keine Lieder, weil er keine Erklärung hat.

Ich möchte mehr auf Ihr Gefühl hinaus. Früher haben Sie davon gesungen, wie es ,sein könnte, nun singen Sie davon, wie es nicht gewesen ist. Dazwischen, was liegt da? Was passierte in Ihnen selbst?

Schwierig. Eine Platte ist ja immer die Erfahrung von ungefähr einem Jahr. Man muß sich dabei sehr kurz fassen. Heraus kommt mein Standpunkt, so kurz wie möglich eben. Wie die Leute das nun berührt, oder was sie damit anfangen, darauf bin ich neugierig, aber ich kann dazu nichts sagen. Vielleicht würde ich manches heute auch nicht mehr so schreiben.

Viele Leute hören Ihre Texte und sagen: „Ja, genau das ist es.“ Andere hören nicht mehr hin, sind viel zu müde geworden. Und davon ganz taub. Was macht diese Leute so krank?

Die Leute erkennen, wo die Probleme liegen und erkennen gleichzeitig, daß niemand da ist, der einen Vorschlag hat, Daher kommt diese Politikverdrossenheit. Für mich heißt Politik, daß einer für mich nachdenkt. Und genau das trauen die Leute niemandem mehr zu oder nur wenigen. Trotzdem ist ja die Sehnsucht da, zu begreifen, wie die Welt funktioniert. Und auch die Sehnsucht, sich der Erfahrung von anderen Leuten zu bemächtigen. Irgendjemanden zu finden, der die Erfahrungen von anderen Leuten versucht, zu verdichten und als verdichtete Substanz anzubieten. Und ich glaube schon, daß ich damit ein wenig dienen kann. Ja, ich hoffe, daß es Lebensmittel ist. Egal ob die Leute politikverdrossen sind oder nicht, sie essen immer Brot. Und wenn meine Lieder so funktionieren würden, wie man Brot ißt, würde mich das sehr glücklich machen.

Längst aber schafft es kaum noch einer allein mit „´nem Apfel, ’nem Ei und ,nem warmen Wind stolz und glücklich“ zu sein, wie sie es einst sangen. Woher nehmen Sie immer wieder diese Hoffnung, doch noch etwas bewirken zu können?

Es geht nicht darum, daß ich etwas bewirke. Es geht darum, daß ich etwas anstelle. Wenn man satten Leuten sagt, ihr müßt die Welt anders verteilen, dann sagen die, wozu? Die sehen das, nicht. Wenn man das lauter Hungrigen sagt und einen Vorschlag hat, wie man das macht, könnte es gehen.

Nun sind aber fast alle satt hier.

Nee, nee das ist ja die Chance, denn der Osten ist ja irgendwo in einer Katastrophe. Noch nicht hart genug. Das ist der Punkt für mich. Ich war bei einer Frauenkonferenz unserer Gewerkschaft dabei. Sechzig Prozent der Frauen, die im Bergbau arbeiten, sind von Entlassungen bedroht. Doch sie hatten eine Idee.

Sie sagten, wenn jede zweite gehen muß, dann teilen sich zwei Frauen eine Arbeit, ein Gehalt und ein Arbeitslosengeld. Dann hat man so viel Arbeit, daß man sich zu Hause nicht langweilt und dennoch keinen Streß. Die würden doch nie auf die Idee gekommen sein …

Also, wenn die Mehrheit in der Katastrophe sitzt, wird die Mehrheit auch eine vernünftige Lösung finden. Das sehe ich so, obwohl ich ja selbst in der Katastrophe sitze. Aber erst die Existenzkrise verhilft mir zu meinen Erfahrungen. Die Not bildet den Gedanken und dem Gedanken folgt die Tat.

Dennoch ist die Not nicht groß genug. Die Leute passen sich wesentlich lieber an, als über Veränderung nachzudenken.

So wird es nicht weitergehen. Im Jahr 2000 kostet die Kilowattstunde Strom 5 DM und der Liter Benzin 15. Dann werden die Leute merken was die Natur ihnen schenkt was sie bisher weggeschmissen haben und was ihnen nun fehlt. Es geht offensichtlich nur über den Preis. Die Leute hören nicht auf ihre bezahlten Vordenker.

Sie meinen vor allem ein Vordenken bezüglich materieller Dinge. Dieser allgemeine Werteverfalt stört Sie nicht?

Das ist eine moralische Kategorie. Ich beschäftige mich nicht so sehr mit moralischen Kategorien.

Ach so?

Nein, ich versuche vielmehr, hinter die Funktionsmechanismen der Dinge zu kommen. Und da hindern mich moralische Kategorien. Das heißt nicht, daß ich keine habe. Aber ich bin kein Moralist.

Was bedeuten Ihnen dann Werte im Umgang mit anderen Menschen?

Ich selber habe schon eine Moral. Aber wenn ich versuche, die Welt zu erklären, dann geht das nicht über Moral. Man kann nicht sagen: „Der ist böse“. Die Rechten sind doch zum Beispiel nicht böse. Die Rechten sind eine Gegenbewegung zur Europäisierung. Mit Europa kann man sein Gewaltpotential nicht mehr nach außen einsetzen. Desto größer wird die Gewalt in den Räumen. Jeder gegen jeden. Ob das nun links oder rechts ist. Die Leute versuchen, in sinnlich erfaßbaren Räumen zu leben. Mit kleineren Zahlen von Einwohnern. Man kann Verhältnisse nur zu kleineren Gruppen von Leuten aufbauen. Da hat man seine Freundschaften, seine Feindschaften. Mehr kann der Mensch nicht verkraften. Alles andere, was größer als zwei Leute ist, sind Mißgeburten, wo es sich umdreht, wo die Werte verfallen müssen, weil der Mensch überfordert ist.

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