Ich würde eine Bank nur nach Ladenschluss ausrauben

Spiegel Online, Julia Jüttner

SPIEGEL ONLINE: Herr Prahl, können Sie sich vorstellen, eine Bank zu überfallen?

Axel Prahl: „Was ist der Einbruch in eine Bank, gegen die Gründung einer Bank?“ – sagte schon Bertolt Brecht. Höchste Priorität hätte bei mir allerdings, dass niemand zu Schaden kommt. Ich würde nie Waffen einsetzen. Ich habe grundsätzlich ein sehr großes Problem mit Waffen.

SPIEGEL ONLINE: Für einen „Tatort“-Kommissar durchaus von Nachteil …

Prahl: Ich habe bei Dreharbeiten festgestellt, dass echte Pistolen ein merkwürdiges Allmachtsgefühl verleihen. Um eine in die Hand zu nehmen, muss ich mich wirklich überwinden. Das ist auch der Grund, warum ich im „Tatort“ auf Waffen weitestgehend verzichte. Ich bin Pazifist und halte die Erfindung des Gewehrs für eine der schlimmsten der Menschheitsgeschichte.

SPIEGEL ONLINE: Wie würden Sie also beim Banküberfall vorgehen?

Prahl: In jedem Fall würde ich das Ding nach Ladenschluss drehen. Vielleicht würde ich auch einen langen Tunnel graben. Oder wie der Erpresser Dagobert oder die Olsenbande mein Glück versuchen.

SPIEGEL ONLINE: Eine gewisse Geschmeidigkeit kann man Ihnen nicht absprechen. In dem Film „12 Winter“ springen Sie mit scheinbarer Leichtigkeit über einen Banktresen. Wie lange haben Sie dafür trainiert?

Prahl: Gar nicht lange. Der Tresen war stabil und in einer für mich erreichbaren Höhe (lacht). Es ist übrigens häufig so, dass Regisseure am Set von meinen sportlichen Leistungen überrascht sind. Im „Tatort“ sollte ich einmal einen Bahndamm hochhetzen, um einen Täter zu verfolgen, der einen ordentlichen Vorsprung hatte. Ich habe ihn immer gekriegt, obwohl wir den Vorsprung immer ein Stückchen vergrößert hatten.

SPIEGEL ONLINE: Treiben Sie denn Sport?

Prahl: Nö. Sport scheint mir nicht sonderlich gesund. Man braucht sich nur den Ministerpräsidenten Althaus anzuschauen. Ich spiele gern Tischtennis, das war’s.

SPIEGEL ONLINE: „12 Winter“ basiert auf einer wahren Geschichte, Sie spielen einen Serienbankräuber. Sie hatten Sympathie für die beiden Kriminellen, als der Fall publik wurde – warum?

Prahl: Die Verteidiger sagten in ihrem Plädoyer vor Gericht, dass die beiden die Banküberfälle aus Angst begangen hätten, dass ihnen im Alter ihre Rente nicht reichen würde – das fand ich skurril, aber sehr authentisch.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Filmfigur ist ein Typ mit Beamten-Mentalität, der Wurststullen mampft und einen Bausparvertrag hat. Wie viel Spießigkeit steckt in Axel Prahl?

Ich bin der Typ der an die Tanke fährt, um was zu Essen zu kaufen als sich ne Stulle zu schmieren. Aber ich habe durchaus – ich bin Jahrgang 1960 – Dinge anerzogen bekommen, die spießig daherkommen.

SPIEGEL ONLINE: Nämlich?

Prahl: Meine Eltern haben mir zum Beispiel beigebracht, nach dem Händewaschen mit einem Handtuch das Waschbecken auszuwischen. Das fand ich unglaublich spießig! Inzwischen mache ich das, denn es spart viel Zeit, wenn man nicht irgendwann diese lästigen Kalkflecken wegschrubben muss.

SPIEGEL ONLINE: Und Ihre Altersvorsorge?

Prahl: Dass ich verhungere, davor habe ich keine Angst. Ich habe mich einmal drei Monate in Spanien als Straßenmusiker durchgeschlagen, seither weiß ich: Es geht immer weiter. Und da ich glaube, dass der Mensch eine Aufgabe braucht, werde ich sowieso so lange arbeiten, wie ich kann.

SPIEGEL ONLINE: Ihrem „Tatort“-Kommissar Thiel haben Sie viel von Axel Prahl eingehaucht: Die Verachtung für Statussymbole, die norddeutsche Maulfaulheit, die Leidenschaft für St. Pauli …

Prahl: … Moment, als St.-Pauli-Fan bin ich selbst reanimiert worden! Bis zu meinem elften Lebensjahr spielte ich Fußball, war aber nach einem Punktspiel immer krank, da nahm mich meine Mutter aus dem Verein. Aus Wut verdrängte ich alles, was mit Fußball zu tun hat, und stellte fest, dass Frauen das durchaus zu schätzen wissen, auch wenn ich in der Rolle des Frauenverstehers landete. Erst nach meiner ersten gescheiterten Ehe wandte ich mich wieder dem Fußball zu.

SPIEGEL ONLINE: Also flammten alte Gefühle auf?

Prahl: Absolut. Vereinspräsident Corny Littmann kenne ich noch von meinem Lehramtsstudium in Kiel, wo er das Café Lucy betrieb. Dort aß ich jahrelang das Frühstück „No Future“ – Rollmops, Gurke, Kaffee und eine Zigarette.

SPIEGEL ONLINE: Apropos Zigarette: Haben Sie Ihren Bußgeldbescheid von 35 Euro wegen unerlaubten Rauchens bei der „Tatort“-Premiere in Münster bereits beglichen?

Prahl: Alles überwiesen! Außerdem habe ich mich mehrmals bei der Münsteraner Bevölkerung entschuldigt.

SPIEGEL ONLINE: Worum ging es Ihnen eigentlich damals?

Prahl: Es war die übliche „Tatort“-Premiere für die Münsteraner. Das ist für mich eine Privatvorstellung. Ich kam zu spät, wollte aber noch schnell im abgesperrten Bereich eine rauchen. Im Spaß sagte ich noch: „Ich mach mal die Helmut-Schmidt-Nummer.“ Viele lachten, und ich steckte mir in der hinterletzten Ecke eine an.

SPIEGEL ONLINE: Und dann?

Prahl: Plötzlich sprach mich jemand an und sagte, ich solle die Zigarette ausmachen. Da scherzte ich und sagte, das sei eine Aktion der Genussinitiative Berlin, die ein Volksbegehren gegen das Rauchverbot anstrebt. Und dann habe ich die Zigarette – zugegebenermaßen eklig – in einem Wasserglas entsorgt. Werbetechnisch war das die effizienteste Zigarette meines Lebens.

SPIEGEL ONLINE: Wie viele Zigaretten schmöken Sie am Tag?

Prahl: Ein Big Pack, also 24 Zigaretten. Ich rauche seit mehr als 30 Jahren, außer wenn ich mit meinen Kindern zusammen bin. Aber bisher spüre ich keine Beeinträchtigung und komme problemlos über einen Bankschalter (lacht).

SPIEGEL ONLINE: Hat man als TV-Kommissar eine Vorbildfunktion?

Prahl: Ich bin auch eine Privatperson. Ich halte es für ein bürgerliches Missverständnis, dass Personen des öffentlichen Lebens so in die Verantwortung genommen werden. Auch ich möchte Fehler machen dürfen. Über die Ampel vor meiner Haustür schafft es kein alter, behäbiger Mensch, weil sie nur drei Sekunden auf Grün schaltet. Da wird man regelrecht gezwungen, über Rot zu gehen.

SPIEGEL ONLINE: Während Ihrer ersten vier Lebensjahrzehnte waren Sie Privatmann. Sie wollten Grundschullehrer für Mathematik und Musik werden, jobbten als Bierfahrer, Kellner, Gleisbauer in Kiel, um sich über Wasser zu halten. Wie wichtig war diese Zeit für Sie rückblickend?

Prahl: Sehr wichtig. Ich habe ein Crossover zwischen Intellektuellem und Arbeiter gelebt. Ich habe in dieser Zeit sehr viel gelernt. Beim Gleisbau musste ich einmal einen ganzen Waggon voller Sand abschippen. Das dauerte mehr als sechs Stunden.

Prahl: Wenn kein Bagger da ist, muss halt der Piefke ran.

SPIEGEL ONLINE: Wie wichtig ist Geld für Sie?

Prahl: Tendenziell ist mir Geld nicht wichtig. Früher hatte ich immer Minus auf dem Konto, das ich mit Extra-Jobs auszugleichen versuchte. Viele Menschen haben diese Möglichkeit nicht, und ich weiß, dass ich momentan privilegiert bin, anderen zu helfen. In meinem Umkreis leiste ich eine Art Umverteilung von dem Wohlstand, den ich mir in den letzten Jahren erarbeitet habe.

SPIEGEL ONLINE: In Filmen spielen Sie nie den Verführer oder Frauenschwarm. Woran liegt das?

Prahl: Das dürfen Sie nicht mich fragen! Ich würde auch mal gern einen zwei Meter großen Leptosomen spielen, aber ich bin nun einmal 1,67 Meter und nicht unbedingt mager. Aber wenn ich weiter abnehme, nähere ich mich ja vielleicht Robert De Niro an (lacht). Nein, im Ernst: In „Willenbrock“ spiele ich einen Weiberhelden. Da dachte ich zuerst auch noch: Ich bin doch kein Frauentyp! Aber der Regisseur Andreas Dresen sah das anders.

SPIEGEL ONLINE: Am 24. Mai wird der Bundespräsident gewählt, auch ihr Kommissar-Kollege Peter Sodann tritt als Kandidat der „Linken“ an. Bei einer Umfrage, welcher „Tatort“-Kommissar das Zeug zum Staatsoberhaupt hätte, landeten Sie auf dem letzten Platz.

Prahl: Da habe ich doch was richtig gemacht! Diese Umfrage zeigt, wo die Politik gelandet ist: im Populismus. Grundsätzlich halte ich es für legitim, wenn sich auch Schauspieler engagieren und Ungerechtigkeiten verhindern, meinetwegen als Kreisvorsitzende einer Partei. Aber doch nicht als Bundespräsident!

SPIEGEL ONLINE: Bankräuber Klaus Starck träumt im Film von einem sorgenlosen Leben unter Marokkos Sonne – Sie auch?

Prahl: Nein. Ich bin gern in anderen Ländern zu Gast, am liebsten in Italien. Aber ich kenne viele, die ausgewandert sind, die auf einmal den Nieselhimmel vermissen – und vor allem ihre Muttersprache. Damit ich mir für immer ein Plätzchen unter der Sonne suche, müsste mich schon ein schweres Gebrechen quälen. Aber, wie gesagt, so lange ich locker-flockig über einen Bankschalter hüpfen kann, bleibe ich in Deutschland.

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