Interview mit Andreas Dresen Für die Zeitungsgruppe Thüringen

Herr Dresen, Sie und Alexander Scheer sind seit über fünf Jahren mit Gundermann-Liedern unterwegs. Inzwischen heißt Ihre Tour „Immer Wieder Nie Genug“, nach einer Zeile aus „Das war mein zweitbester Sommer“. Weshalb?

Das Konzertprogramm heißt seit 2023 so, nachdem wir es doch ganz schön verändert hatten. Und da haben wir diese Zeile für den Titel gewählt, weil es schönerweise ja einfach nicht aufhört. Das war mal ein Bandprojekt, mit dem wir zum Kinostart 2018 meistens Open Air „Gundermann“-Vorführungen eine Stunde lang begleitet haben, in der Kulturarena Jena zum Beispiel, wo auch noch Axel Prahl dabei war. Die Nachfrage war so groß, dass wir das einen Sommer später nochmal gemacht haben. Zu unserer größten Überraschung wurden dann die Konzerte immer größer, während der Film in den Hintergrund trat. Es gibt ein ungebrochenes Interesse an live gespielter Gundermann-Musik.

Los ging das aber vor Drehbeginn. Ich kann mich an ein Gundermann-Konzert mit Ihnen und Axel Prahl 2017 in Weimar erinnern, bei dem auch „Pankow“-Gitarrist Jürgen Ehle bereits dabei war.

Die Bandbesetzung ist seitdem im Prinzip die gleiche geblieben. Nur hat uns Axel verlassen, stattdessen kam Alex als neuer zweiter Frontmann hinzu. Seine Bühnenenergie hat die Band nochmal sehr, sehr verändert. Er singt die Lieder zum Teil besser als Gundermann, finde ich. Das ist der Hammer!

Ist das schon die Antwort darauf, was Gundermann und Scheer vor allem unterscheidet?

Naja, ich habe Gundermann nie persönlich kennengelernt, aber auf Konzerten erlebt, nach denen er häufig zur Schicht auf dem Braunkohlebagger fuhr. Er hat diese Lieder geschrieben und sie mit einer besonderen Form von Authentizität gesungen, die einmalig gewesen ist. Er hatte nichts Glamouröses, keine Rockstar-Attitüden. Alex ist neben dem Umstand, ein begnadeter Gundermann-Interpret zu sein, ein ganz großer Performer, bei dem der Funke sofort aufs Publikum überspringt. Der gibt alles, das geht richtig ab!

„Ich will das alles hier haben, und immer wieder und nie genug“ – was bedeutet Ihnen das persönlich, nachdem sie vergangenes Jahr 60 wurden?

Es bedeutet, nicht aufzuhören, nicht zufrieden und satt zu werden. Die 60 ist ein Zwischenstopp, mehr nicht. Für mich ist Alter grundsätzlich kein Problem. Ich halte es mit Udo Lindenberg. Als er 70 wurde, hat er gesagt, er freue sich darüber, „denn die Alternative wäre ja, nicht 70 werden.“ Da ist was dran. Entscheidend ist, abenteuerlustig und entdeckungsfreudig zu bleiben. Insofern hoffe ich, dass ich noch viele schöne Dinge tun kann, so wie auch die Musik plötzlich Teil meines Lebens wurde. Ich hätte ja nie gedacht, mal mit einer Band auf Tour zu sein. Letztes Jahr haben wird fünfzehn Konzerte gespielt. Das ist eine ganze Menge, wenn man das eher so nebenbei macht.

Das ist neben Film- und gelegentlicher Theaterregie Ihr drittes Spielfeld geworden?

Irgendwie schon. Live-Musik zu machen hat eine ganz, ganz tolle Energie! Und ich bin plötzlich Teil einer Unternehmung, anstatt nur draufzugucken wie beim Film, wo ich als Regisseur ja die Kontrolle behalten muss. Hier aber darf und muss ich sogar mitmachen. Man macht sich ziemlich nackig, wenn man vor Leuten singt, das ist ein intimer Vorgang. Wenn es aber gemeinsam mit dem Publikum zum Schwingen kommt, ist das ein unfassbar großartiges Erlebnis.

Arbeiten Sie aufgrund dessen musikalisch an sich?

Ich habe zwischendurch tatsächlich Gesangsunterricht genommen. Früher wurde ich nach zwei Konzerten schnell heiser. Das passiert mir zum Glück nicht mehr, man lernt, mit der Stimme umzugehen und die Energie einzuteilen, unser Konzert dauert ja auch länger als 2 Stunden. Trotzdem wird aus mir kein professioneller Musiker mehr. Alex und ich sind froh, von solch einer Band gestützt und getragen zu werden.

Zum Programm gehören inzwischen zwei „neue“ Gundermann-Lieder. Wie kam es dazu?

Seine Witwe Conny hat uns vor ein paar Jahren einen Packen mit relativ unbekannten Texten in die Hand gedrückt, die er für seine Coverversionen großer Hits geschrieben hatte. Jürgen Ehle hatte die Idee, dazu neue Melodien zu komponieren, ohne wissen zu wollen, auf welche Musik das ursprünglich geschrieben wurde. Wir haben jetzt zum einen „Oktober“ im Programm, von Gundermann auf „Because the Night“ von Patti Smith und Bruce Springsteen gedichtet. Da geht‘s um die Wende 1989 und ein bisschen um Egon Krenz: „Und über Nacht kam ein neuer Mann / ran an die Macht. / Nu isser Steuermann. / Und über Nacht war wieder ‘n alter Mann / abgewrackt und alleine Schuld daran.“ Ich selbst singe „Ob ich nochmal Freunde find“, das davon handelt, dass man sich im Freundeskreis manchmal so unerbittlich streitet, dass keine Versöhnung mehr möglich ist. Man kann im Moment kaum glauben, dass dieser Text schon vom Anfang der Neunziger stammt, damals auf einen Paul McCartney-Titel geschrieben.

Inzwischen spielen Sie relativ häufig im Westen Deutschlands, zuletzt in Stuttgart oder Tübingen, jetzt in Nürnberg und Bochum. Unterscheidet sich das Publikum dort sehr vom hiesigen?

Interessanterweise kaum. Die Leute sind nur nicht so textsicher. Viele sagen mir hinterher, sie hätten den Film gesehen und die Musik so toll gefunden, dass sie das mal live erleben wollten. In Hamburg waren wir schon viermal, die Hütte war immer voll. Mich freut es sehr, dass die Lieder die ehemalige Grenze übersprungen haben und sich so lagerfeuermäßig ausbreiten. Das war mein großer Wunsch, als ich den Film gemacht habe.

Wer von Ihnen beiden singt „Leine los“?

Wir beide. Aber ich habe die schöne Zeile „Alle Filme, die ich drehen wollte, sind schon gedreht“…

…ja, eben!

Das war eine Zeit lang der Opener, in den letzten Jahren haben wir es aber gar nicht mehr gespielt. Nun gibt es Ende des Monats im Potsdamer Nikolaisaal ein großes Konzert mit dem Filmorchester Babelsberg. Dort eröffnet das Lied den Abend wie eine Ouvertüre, mit Alexander, mir und Orchester, aber ohne Band, was eine echte Herausforderung ist. Deshalb nehme ich mal stark an, dass wir es auch in Jena spielen; wir müssen ja ein bisschen üben. Ich liebe dieses Lied sehr, weil es ganz grundsätzliche Fragen stellt: Alles, was man tut, ist im Grunde eine Wiederholung von Dingen, die es schonmal gegeben hat. Trotzdem lohnt es, sich weiter umzuschauen im Leben. Und meist findet man in der Wiederholung neue Aspekte.

Wie zum Beispiel in „Die Weihnachtsgans Auguste“ nach Friedrich Wolfs Kurzgeschichte, die sie jetzt neu verfilmen wollen? Der Film wurde auch schonmal gedreht: 1987 fürs DDR-Fernsehen.

Er ist sehr poetisch und hübsch, dauert allerdings nur siebzig Minuten. Ich fand diese Geschichte zauberhaft und arbeite seit langer Zeit mit Stefan Kolditz als Drehbuchautor an einer neuen Version, weil die Gans in der alten Fassung ja kein wirklicher Charakter sein konnte, man hat mit einer Attrappe und einer echten Gans gedreht. Heutzutage geht das dank digitaler Technik wunderbar, was auch im Erzählerischen andere Möglichkeiten eröffnet. Trotzdem hatte ich das unterschätzt. Auf den wenigen Seiten der Wolf-Erzählung ist kaum ein Plot vorhanden. Für einen anderthalbstündigen Kinofilm mussten wir viel hinzuerfinden und sind noch dabei. Aber ich hoffe, dass ich ihn Anfang nächsten Jahres drehen kann.

Ich wollte jetzt fast schon fragen, wer diesmal die Titelrolle spielt.

(lacht laut auf) Ich kann Ihnen aber verraten, wer den Opernsänger Luitpold Löwenhaupt spielen wird. Ich habe dafür schon eine Zusage von Charly Hübner, worüber ich mich riesig freue!

Zuvor soll in diesem Jahr „In Liebe, eure Hilde“ endlich in die Kinos kommen?

Das hoffe ich. Der Film ist jedenfalls fertig. Im Moment gehe ich aber von einem Kinostart im Herbst aus, weil die Geschichte für einen Start im Frühjahr oder Sommer doch zu ernst ist.

Wie kamen Sie bei so vielen Akteuren im NS-Widerstandsnetzwerk „Rote Kapelle“ auf Hilde Coppi?

Laila Stieler als Drehbuchautorin wählte sie für den Pilotfilm einer ursprünglich mal angedachten Reihe von Fernsehfilmen über Frauen im Widerstand aus. Als die Fassung fertig war, fanden alle, dass das ein Kinofilm werden muss. So kam das Projekt zu mir. Wir haben es gemeinsam weiterentwickelt. Ich mag an Hilde Coppi vor allem ihren stillen und unheldischen Charakter. Überhaupt war die „Rote Kapelle“, übrigens der Fahndungsname bei der Gestapo, keine klassische Widerstandsgruppe, sondern ein eher loses Netzwerk. Die Leute kamen aus den unterschiedlichsten Schichten, Hilde und Hans Coppi aus der Arbeiterklasse. Sie war Sprechstundenhilfe und Sekretärin, er Dreher, haben sich aber mit jemandem wie Harro Schulze-Boysen zusammengetan, der Offizier im Reichsluftfahrtministerium war.

Was erzählt Ihr Film?

Es ist vor allem eine Liebesgeschichte, weniger dieses Politisch-Heroische. Laila und ich haben versucht, so menschlich und nahbar wie möglich zu erzählen, damit man sich mit den Figuren identifizieren kann. Die haben sich geliebt, an Badestellen rumgehangen, Kinder gezeugt, gefeiert. Darüber hinaus waren sie grundanständige Menschen. Hilde selbst hätte sich wohl nie als Widerstandskämpfern bezeichnet. Sie ist einfach ihrem Herzen gefolgt. Wir wollten auch mit dem überstilisierten Bild von Widerstandskämpfern aufräumen, wie es uns in der DDR eingeimpft wurde.

Sie hatten vermutlich Kontakt zum Historiker Hans Coppi junior, dem Sohn der beiden, der im Frauengefängnis zur Welt kam und bei seiner Mutter blieb, bis sie 1943 hingerichtet wurde?

Ja. Seine Stimme ist auch im Film zu hören, den er bereits gesehen hat.

Liv Lisa Fries, als Charlotte Ritter in „Babylon Berlin“ bekannt geworden, spielt Hilde Coppi…

… Live ist einfach zum Niederknien! Eine großartige Schauspielerin, die mit Hilde Coppi nochmal einen Sprung gemacht hat. Das könnte für sie ein ganz wichtiger Film werden, glaube ich.

Und Alexander Scheer ist auch dabei.

Er spielt den Gefängnispfarrer Harald Poelchau auf eine ganz bescheidene und zurückhaltende Art.

Nicht nur, aber doch häufig haben Sie sich mit ostdeutschen Geschichten beschäftigt, von „Stilles Land“ und „Halbe Treppe“ über „Sommer vorm Balkon“ bis „Gundermann“. Während der Osten die Debatten jetzt wieder verstärkt bestimmt, kommen Sie mit NS-Geschichte um die Ecke.

Ich habe mich nie nach gesellschaftlichen Diskursen gerichtet, dafür ist Spielfilm auch viel zu langsam. Sowohl an „Gundermann“ als auch an „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ habe ich über zehn Jahre gearbeitet. Ich versuche einfach zeitlose Stoffe zu machen, die mir wichtig und wesentlich erscheinen.

Andererseits wird Widerstand vielleicht gerade wieder wichtiger, als wir im Moment ahnen.

Ich bin gespannt, auf welchen Boden der Film fallen wird, wenn er herauskommt. Aber ja, ich jedenfalls finde ihn wahnsinnig aktuell!

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