Die Ostrock-Legende Silly stellt mit ihrer neuen Sängerin Anna Loos einen Glücksgriff auf dem Pressefest vor: Die Frau klingt wie die jüngere, eigenwillige Schwester von Tamara Danz
Die Berliner Band Silly gehört zu den stilprägendsten Gruppen der DDR. Nach der Wende eine der ganz wenigen Bands, die künstlerisch erfolgreich den eigenen Weg weitergehen konnte, war der Tod der charismatischen Sängerin Tamara Danz im Jahr 1996 ein tiefer Einschnitt. Nach einer ersten Tour im vorletzten Jahr, auf der zehn Gastsänger der legendäre Frontfrau ihren Tribut erwiesen, liegen nun mit der neuen Sängerin Anna Loos erste Aufnahmen im Rahmen der CD „Ostrock in Klassik“ vor. Parallel arbeitet die Gruppe an einem neuen Album.
Zum Pressefest wird Silly mit einem Gratis-Konzert für die Leser der „Freien Presse“ am Sonntag ab 20 Uhr den abschließenden Höhepunkt liefern. Tim Hofmann sprach zuvor mit Bassist Jürgen „Jäcki“ Reznicek und Keyboarder Rüdiger „Richie“ Barton.
Freie Presse: Ihr habt gerade für die CD „Ostrock in Klassik“ erstmals nach dem Tod von Tamara Danz mit neuer Sängerin Stücke aufgenommen. Wie hat das Publikum bisher auf Anna Loos reagiert?
Jürgen „Jäcki“ Reznicek: Wir sind freudig überrascht, wie gut sie angenommen wird. Zu der Silly-und-Gäste-Tour hatten wir ja schon einen Test, doch da war Anna neben Stefanie von Silbermond, Anna R. von Rosenstolz, Toni Krahl oder Joachim Witt eine von zehn Sängerinnen und Sängern. Die Stunde der Wahrheit kam zu unserer „Elektroakustik“-Tour letzten November, aber Anna kam auf die Bühne, und die Leute haben sie sofort geliebt!
Rüdiger „Richie“ Barton: Zwischen ihr und uns hat die Chemie schon bei der ersten Probe gestimmt. Einerseits erinnert sie manchmal an Tamara, andererseits bringt sie ihre eigene Persönlichkeit ein. Sie singt die Sachen so, wie wir sie selber singen würden. Vielleicht liegt es daran, dass ihre erste selbst gekaufte Platte mit 14 Jahren „Bataillon d’Amour“ war. Trotzdem waren wir beim ersten „Elektroakustik“-Konzert sehr nervös, das erste Mal mit ihr allein auf die Bühne zu gehen.
Freie Presse: Gibt es keine fanatischen Danz-Fans, die euch kommerzielles Kalkül vorwerfen ?
Reznicek: Dazu gibt es aber eine schöne Anekdote: Wir haben in Erfurt gespielt, und hinterher kamen einige eingefleischte Fans aus Chemnitz, gingen zu Anna und sagten, sie seien eigentlich gekommen, um zu sehen, dass es nicht funktioniert, und sie auszubuhen, Allerdings waren sie nach 30 Minuten völlig begeistert.
Barton: Wir haben Tamara vor ihrem Tod versprechen müssen, auf jeden Fall weiter zusammen Musik zu machen. Nur war das gar nicht so einfach. Anfangs konnten wir einfach nicht. Und später war es schwer, den hohen Anspruch zu erfüllen. Man muss nach der langen Zeit aber auch akzeptieren, dass Tamara nicht mehr da ist. Und ich finde, unsere Stücke sind zu gut, um nicht gespielt zu werden. „Paradies“ haben wir mit Tamara nie live aufführen können. Kommerzielles Kalkül wäre es gewesen, wenn wir das alles ein Jahr nach Tamaras Tod gemacht hätten, aber nicht nach einem 10-jährigen Zwischenraum.
Freie Presse: Ihr arbeitet an einem neuen Album. War es schwer, mit Anna einen Ansatz zu finden?
Reznicek: Ja, weil unsere eigene Messlatte sehr hoch liegt. Bei der Musik, aber vor allen bei den Texten. Wir haben aber schon etliche Stücke als Skizzen beisammen. Ab Herbst wollen wir die Platte dann in unserem Danzmusik-Studio fertig bekommen, so dass sie nächstes Jahr erscheinen kann. Freie Presse: Wird die Musik auf fertige Texte geschrieben oder umgedreht?
Barton: Bei „Mont Klamott“ war es noch so, dass wir die fertigen Texte vertont haben. Nach und nach hat sich das aber so entwickelt, dass Musik und Texte parallel entstehen und dann zusammengeführt werden: Man schaut, was passen könnte, und das schleifen wir dann ineinander. So gehen wir immer noch vor, weil sich das als sehr organisch erwiesen hat
Freie Presse: Von wem werden die Texte kommen?
Reznicek: Anna möchte sie eigentlich selber schreiben. Wie Tamara hat sie aber Angst davor, ob ihre Gedanken schon eine ganze Platte tragen können. Also haben wir vorsichtshalber noch Texter in der Hinterhand. Welche, sag ich aber nicht! (lacht)
Freie Presse: In wiefern profitiert ihr von der neuen Computertechnik und dem eigenen Studio? Eure Stücke waren immer sehr reichhaltig– läuft man da nicht Gefahr, sich zu verzetteln?
Barton: Klar, irgendwann muss man schon mal sagen, jetzt ist das Stück fertig. Aber wir haben genug Selbstdisziplin und Erfahrung durch unsere Arbeit mit anderen Künstlern. Außerdem überlegen wir, ein externes Produzententeam mit dazu zu nehmen.
Reznicek: Dafür kann man jetzt Momente sofort festhalten, das ist unbezahlbar. Bei „Über ihr taute das Eis“ hatten wir damals beispielsweise vor dem Studio ein Demo mit mieser Qualität, auf dem Tamara den Song völlig genial interpretierte. Das hat sie später nie wieder hinbekommen. Die verwendete Studio-Version kam dann zwar nahe ran, weil Tamara das Demo letztlich kopiert hat, aber irgendwas zwischen Himmel und Erde blieb dann doch auf der Strecke! Einem Außenstehenden fällt das sicher nicht auf, aber wir konnten im direkten Vergleich schon noch einen Unterschied feststellen. Mit der heutigen Technik hätte man diesen Moment in guter Qualität konservieren können.
Freie Presse: Ihr seid bei der aktuellen Tour häufig auf Stadtfesten, wo Party gefragt ist. Silly steht aber für komplexen, anspruchsvollen Rock. Wie geht das zusammen?
Reznicek: Wir haben ja auch Stücke, die geradeaus funktionieren. Natürlich haben wir die Songs passend ausgewählt, da kommt es auf die Mischung an. Anfangs waren wir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist mit den Stadtfesten. Es ist aber super angekommen. Wir hatten neulich in Cottbus 10.000 Leute, und die waren völlig begeistert.
Barton: Was ich aber verblüffend finde, ist, dass wir viele junge Fans anziehen, die gerade wegen der Texte zu uns gefunden haben. Offenbar wollen die eine Alternative zu dem ganzen Superstar-Zeug (lacht). Die sagen uns dann, wie aktuell sie die Sachen finden. Dabei sind einige Stücke 20 Jahre alt!
Reznicek: Wir bekommen auch viele Anfragen von Abiturienten oder Studenten, die Arbeiten über Silly schreiben wollen, das ist irre. Wir können das kaum noch bewältigen!