Auszug aus Interview mit Andreas Dresen

von Anke Westphal im Gespräch, Berliner Zeitung

Wir dokumentieren einen Auszug aus einem längeren Interview mit dem Regisseur im Kontext seines neuen Filmprojektes:

Apropos: alles sagen können. Was sagen die Medien nicht über die DDR?

Ich finde, viele Geschichten über Ost und West wurden in irgendeiner Form schon erzählt. Zugleich bemerke ich aber auch, dass eine differenzierte Sicht oft sehr schwer zu vermitteln ist. Welche Zwischentöne das Leben in der DDR ausgemacht haben. Nur ein Beispiel: Als mein Vater wegen einer Verlängerung seines Passes in der DDR war, hatte er ein Gespräch mit dem Kulturminister Hoffmann. Das war Anfang der 1980er, in der Zeit der Hochrüstung. Mein Vater hatte in Frankfurt am Main an einer Diskussion in der Paulskirche teilgenommen und bekam von Hoffmann eine Abreibung, dass er sich dort als DDR-Bürger auch gegen die Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen ausgesprochen hatte. Während der Kulturminister meinen Vater im Gespräch zur Sau machte, schob er ihm über den Tisch den Spitzelbericht rüber, wo im Klartext stand, wer ihn in der Paulskirche beschattet hatte. Für die Mikrofone in seinem Büro hielt Hoffmann die Standpauke – in Wirklichkeit gab er meinem Vater zu verstehen, vor wem er vorsichtig sein sollte. Das ist eine irrsinnige Situation. Momente, in denen Leute zwischen die Fronten gerieten und versuchten, anständig zu bleiben, gibt es viele.

Warum ist es heute so schwer, solche Zwischentöne verständlich zu machen?

Geschichten mit einem schlichten Gut- und Böse-Schema sind wirkungsvoller, leichter konsumierbar. Natürlich ist es einfacher zu sagen, es gab auf der einen Seite die Funktionäre, die Betonköpfe, und auf der anderen Seite jene, die sich immer dagegen aufgelehnt haben. In Wirklichkeit waren die Grenzen ja oft fließend. Viele aus meinem Freundeskreis sind gerade deswegen in die SED eingetreten, weil sie der Meinung waren, sie könnten innerhalb der Partei besser zur Veränderung beitragen. Auch ich dachte durchaus darüber nach, in die SED zu gehen. Dann hörte ich, wie man sich auf den Parteiversammlungen den Hintern breit saß und auf eine Parteidisziplin eingeschworen wurde, nach der man diesen ganzen Unfug mittragen musste. Das wollte ich nicht. Aber es sind ja ganz komplizierte Konfliktfelder, die gerade jene betreffen, die nach Wegen der Veränderung suchten. Zum Beispiel Lothar Bisky, in den späten 1980ern Rektor der Filmhochschule Babelsberg: Er ist für mich ein ganz wichtiger Mensch. Er machte für uns sehr viel möglich. Und er war, glaube ich, der einzige Rektor einer DDR-Schule, der noch vor der Wende vor versammelter Studentenschaft die Vertrauensfrage stellte. Das war ein Moment, der mich zu Tränen rührte, denn ich erlebte zum ersten Mal handfest Demokratie. Als Bisky vor ein paar Jahren nicht zum Vizepräsidenten des Bundestages gewählt wurde, regte ich mich fürchterlich auf. Die Leute, die ihn ablehnten, werden noch an den Klischees ersticken, die sie im Kopf haben.

Mit welchem Zweck sollte überhaupt noch über die DDR erzählt werden?

Um daraus Erfahrungen für die heutige Zeit zu filtern. Mir liegt nichts an einer musealen Annäherung an die Geschichte, und schon gar nichts daran, Witzchen über ein abgeschlossenes Sammelgebiet zu machen. Die DDR-Vergangenheit sollte als eine Art Gleichnis betrachtet werden. Es sind übrigens keineswegs nur die Westdeutschen, die diese vierzig Jahre DDR nicht als Teil ihrer eigenen Geschichte anerkennen. Auch bei Ostdeutschen beschleicht mich oft das Gefühl, dass sie diese Zeit lieber nicht so nahe an sich heranlassen. Sie gehen den damit verbundenen Schmerzen lieber aus dem Weg. Ich habe dreimal versucht, in Filmen über die DDR zu erzählen, und jedes Mal musste ich die Erfahrung machen, dass die Zuschauer wegblieben. Was nicht bedeutet, dass ich es nicht wieder versuche.

Gibt es bereits konkrete Pläne?

Die DDR war ein widersprüchliches Gebilde, in dem sich Menschen auch höchst widersprüchlich verhalten haben. Ich würde gern eine Geschichte erzählen, die exemplarisch ist. Laila Stieler und ich fangen gerade an, darüber nachzudenken, einen Spielfilm über Gerhard Gundermann zu machen. Er trug unheimlich viel von dieser DDR in sich. Er war ein wunderbarer Poet und saß leidenschaftlich gern auf seinem Bagger, bis weit über die Wendezeit hinaus. Er brauchte diese Erdung für seine Kunst. Und am Abend führte er auf der Bühne ein zweites Leben. Als Genosse trat er nervenaufreibend für Verbesserungen in tausend Dingen ein, dann setzte er sich hin und schrieb mit derselben Selbstverständlichkeit Berichte für die Stasi. Später wurde es denen zu bunt: Für Gundermanns Verbesserungsvorschläge fühlte sich die Stasi nicht zuständig. Nun wurde er vom Täter zum Opfer, wurde selbst beobachtet. Anhand so vieler interessanter Momente hoffen wir darüber reflektieren zu können, was das Leben in der DDR ausmachte. Und was Leben überhaupt ausmacht. Nämlich Kampf und Kompromiss. Wie weit ich den Kompromiss gehen kann und wo ich weiter kämpfen muss, wenn ich moralisch aufrecht bleiben will.

Sie haben für Ihre Filme viele Preise bekommen, 2007 auch das Bundesverdienstkreuz. Sind Sie angekommen in Deutschland?

Der Brief vom Bundespräsidialamt lag in meiner Post zwischen all den Rechnungen, und als ich ihn öffnete, musste ich erst einmalief Luft holen. Wenn man im Osten groß geworden ist, hat man ja mit Orden so seine Bauchschmerzen. War das jetzt ein Zeichen von endgültiger Anpassung? Hatte ich die Schnauze nicht weit genug aufgerissen? – Irgendwann beschloss ich, mich einfach darüber zu freuen. Es ist die Anerkennung meiner Arbeit. Später steckte ich das Verdienstkreuz in die Schublade, in dem schon die Medaille für Verdienste im künstlerischen Volksschaffen und die Urkunden für gutes Lernen in der sozialistischen Schule liegen.

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