Er ist nicht mein Präsident – Die Achse des Guten

von Christoph Dieckmann, Die Zeit

Mitch Ryder aus Michigan und Boddi Bodag aus Ostberlin

Eines Tages tropfte es aus Bodags Zimmerdecke. Die Wohnung über ihm im vierten Stock stand leer. Er friemelte die Tür auf und betrat eine böse Bude: kaputte Fenster, Regenwasser, Müll und tote Katzen. Bürger Bodag meldete die Zustände der Ostberliner Wohnungsverwaltung und verreiste. Die Behörde befahl Räumung und entsandte die Brigade Gründemann. Der Brigadier, dem auch der Keller Stockwerk war, zählte souverän bis vier, knackte Bodags Wohnung und räumte wie geheißen. Bodags Habe, auch die Plattensammlung, flog auf einen Hänger, aus dem sich alsbald die Nachbarschaft bediente. Ja, an Bluesthemen litt die DDR nicht Mangel.

Verantwortungsträger vom Schlage Gründemann vertilgte die Marktwirtschaft. Man kann ja an der Wende mancherlei bemäkeln, aber Bodag ist ein wandelndes Exempel, dass die wirklich guten Ossis in den Himmel kommen, jedenfalls von Zeit zu Zeit. Wolfram Bodag, ostweit als Boddi populär, Chef der Berliner Band Engerling, war ein Prototyp der DDR-Rockszene: Alltagspoet, Keyboarder von Graden und singender Verwandler von Aggression in Melancholie. Obwohl ihm die Polizei 1986 die Hände brach, wollte er nie Staatsstürzer werden, lieber Radrennfahrer. Als Boddi, in bewährter Trockenheit, mir 1988 die Gründemann-Story erzählte, lief im Hintergrund eine seiner Lieblingsplatten: How I Spent My Vacation von Mitch Ryder. Bodag verehrte das Detroiter Nebelhorn wie einen der vier Evangelisten; die anderen hießen vermutlich Bob Dylan, Randy Newman und Van Morrison. Eben war Ryder, unfassbar, im Palast der Republik aufgetreten und hatte diesen Kreml der sozialistischen Freizeitgestaltung mit seinen todeskundigen Hymnen kontaminiert (nachzuhören auf dem gloriosen Live-Album Red Blood White Mink). Unvergessliches Finale: Ryder, Soul Kitchen gurgelnd im fahlen Licht der Angst, wandelt sich zum Erlöser. „In the end I’ll be your friend“, sang er, wie schwebend, „smile again, smile again (…) when the bombs stop fallin’ on Berlin“. Im Herbst 1989, kurz vor der Revolution, durfte Bodags Band erstmals nach Westen. Verblüfft hörte in Hamburg Ryders deutscher Booking-Agent Karsten Schölermann, wie die Ossis Ryder-Songs spielten. Er machte Kontakt, und anfangs der Neunziger avancierte Engerling zu Ryders europäischer Band. Transatlantische Differenzen sind beiden Seiten nicht erinnerlich, allerdings bestaunte Ryder die Übungsdisziplin der Deutschen und dass die Engerlinge auf der Probe Noten malten. Dann action: Ryders Jericho-Organ trompetete den Urschrei aus Freezin’ In Hell. Bodag kippte hinterrücks vom Keyboard und schlug sich den Schädel auf.

Seit Ryder und Engerling gemeinsame Sache machen, fabrizierten sie ein Studio-Album (Rite of Passage, 1994), ein Konzert-Video und etliche Tourneen. Die des Vorjahrs dokumentiert trefflich die eben erschienene Live-CD The Old Man Springs A Boner (BuschFunk 00852, BuschFunk, Rodenbergstraße 8, 10439 Berlin, Tel. 030/44651100). Der Geist kehrt zurück, pantert über die Bühne, hält das Mikrofon mit den Fingerspitzen und raucht seine Guttural-Erotik aus, dass es dich überläuft: „I claim to fly with the master of love…“ Ryders größtes Talent ist Dynamik, die Stille hinter dem Schrei. So würde Jim Morrison mit 57 klingen. Bodag beorgelt die blauschwarze Messe, Manne Pokrandt basst fett, die Slide-Gitarristen Heiner Witte und Robert Gillespie halten Ryders schwere Lok unter Dampf und auf doppeltem Gleis. Wie betäubt ballt sich das Volk im heißen Qualm. Dann ist es vorüber. Licht flackert auf. Die Menge taumelt hinaus. Das erste Bier. Noch hält der Bann. Da drängelt sich ein Tempelschänder an den Berliner Tresen und offenbart seinem Kumpel: Ick war jrade mit Mitch pinkeln. – Und? – Is och alt jeworden.

Mitch Ryder führt ein Doppelleben. In den USA zehrt er vom Sixties-Ruhm seiner Detroit Wheels. Dort, sagt er, verlange man ewig seine alten Heuler Jenny Take a Ride und Devil With a Blue Dress On. Seine reife, die europäische Karriere begann in der Rockpalast-Fernsehnacht vom 7. Oktober 1979. Seither hat Ryder hierzulande ein treues Publikum für sein erwachsenes Werk, das daheim kaum einer kennt – War und Ain’t Nobody White und Red Scar Eyes und Er ist nicht mein Präsident, ursprünglich Ronald Reagan zugedacht. Ryder ist durchaus ein politischer Kopf. Er registriert die deutschen Dinge, vernimmt westliche Erbitterung über den Dauerzehrgast Osten, bekundet Sympathie für östliche Schwimmversuche in westlichen Wassern. Letztlich, meint er, müssten sich die Leute sagen: Wir sind alle Deutsche, lasst uns einander helfen. Dorthin zu gelangen, habe es in den USA leider eine Katastrophe gebraucht.

Mitch, letztes Jahr hast du hier über den 11.September gesprochen, über Demut und Bescheidenheit. – Die fällt uns Supermacht-Amerikanern schwer, sagt Ryder. Wir wissen ja kaum was über die Welt draußen, nur dass angeblich alle werden wollen wie wir. Warum sollten wir uns dann ändern? Bekommt Er ist nicht mein Präsident jetzt eine neue Widmung? – Ich sehe bei George W. Bush und seinen Militärs dieselbe Kolonial-Arroganz wie bei den Briten, als die ihr Weltreich bauten, sagt Ryder. Dieses: Niemand kann uns stoppen, wir kriegen, was wir wollen. Oh, zum Schein gehen wir über die UN. Kann irgendwas den Golfkrieg verhindern? – Nein. Nur Bushs Leute. Seine Wähler. Bloß sagen die meisten Amerikaner: Wenn’s mir und meiner Familie nicht wehtut, wenn ich meinen Job behalte, schert mich nicht, was die Regierung tut. Da wird Macht missbraucht. Im Namen von homeland security werden Verfassungsrechte kassiert. Wir zerstören damit, was wir zu schützen vorgeben. Es ist hier zurzeit sehr ungemütlich.

So sprach Mitch Ryder aus Michigan, am 12.Januar 2003. Ein Hard Rain-Interview: Mitch telefonierte unter der Dusche. Derzeit sind Ryder & Engerling wieder in Deutschland unterwegs. Durch 27 Städte rollen sie und spielen ihre klassische Musik so rau und schön und schluchtentief, wie sie gemeint war, als alles begann.

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