Durch Kulissenzauber wird Liebesunglück Erzählstoff: Danny Dziuk, der am 31. August sechzig wurde, macht einen Bogen um die Schwarmintelligenz und folgt auf leisen Sohlen den Spuren Shakespeares.
Was kann man sich unter einem „Shakespeare-Himmel“ vorstellen, der sich im Refrain eines Liedes von Danny Dziuk über dem Sänger wölbt? Caroline Spurgeons Standardwerk „Shakespeare’s Imagery, and What it Tells Us“ aus dem Jahr 1935 bestimmt die von Himmelsbildern evozierte Stimmung negativ, durch den Gegensatz zur Hölle und deren sprichwörtlichen Lärm. Wer himmlische Stille verspürt, wird von Leere umfangen, einem Raum der Phantasie, in dem das Höllengesetz der ewigen Bestrafung vergangener Handlungen nicht gilt und alles noch einmal möglich scheint.
Unter freiem Himmel finden sich im fünften Aufzug des „Kaufmanns von Venedig“ Lorenzo und Jessica, die aus der Stadt geflohenen Liebenden. Der vom Vollmond erleuchtete Nachthimmel dient als Projektionsfläche, als Leinwand eines mythologischen 3D-Kinos, während die Ausreißer einander erzählen, was andere Paare „in such a night as this“ erlebt haben. Wundersamerweise werden den Verliebten auch unglückliche Liebesgeschichten zu Chiffren ihrer Glücksmöglichkeiten. Das erste Beispiel ist eine Nacht aus dem Trojanischen Krieg, „When the sweet wind did gently kiss the trees / And they did make no noise.“ Kein Laut: Man kann hören, dass diese Bäume in den Himmel wachsen, aber sie bilden die Kulisse eines Eifersuchtsdramas. In Schlegels Übersetzung: Der Trojaner Troilus „seufzte seine Seele zu den Zelten / Der Griechen hin“, als könnte er so die treulose Cressida zurückgewinnen.
Ein Betrogener ist auch Dziuks lyrischer Sänger. Wie Troilus auf der Stadtmauer steht, so hängt er im Refrain in der Luft „unter ’nem Shakespeare-Himmel / überm Zaun zwischen / ihr und mir“. Die acht Strophen sind eine aus Erinnerungsfragmenten und Hoffnungsbrocken montierte Seufzerbrücke über den Zaun, den die Frau hochzog, indem sie den Mann verließ. Eine Dziukologie, die mit Spurgeons typologischem Besteck arbeiten möchte, hätte hier viel zu tun. Das Schiff wird als Metapher für die Liebe in Dienst genommen, den auf grundloses Vertrauen angewiesenen Zweierbund: „Doch die Liebste lenkt das Ruder, / das ich in die Hand ihr gab / geradezu, o ferner Bruder, / lustig Richtung Seemannsgrab.“
Kunst und Leben stehen füreinander ein. Wie der glücklich Liebende vor kreativer Energie zu platzen glaubt, sieht sich der Unglückliche zurückgeworfen auf eine Arte povera virtuoser Mangelbewirtschaftung. „Und es bleibt auf der Palette / meiner Farben nichts als Rot, / rot wie Blut und rot wie Lippen, / rot wie Rouge und rot wie Ton, / rot wie Licht in Maisonetten / wo bezahlt wird vorher schon.“ Die ersten Rottöne in dieser Liste stammen aus dem romantischen Katalog, und auch der Trost im Rotlichtbezirk ist ein sentimentales Klischee. Aber das soziologische Detail der Maisonetten bringt lakonischen Realismus ins Spiel, und mit einem einzigen Pinselstrich verwandelt sich die Etüde der Farbfeldmalerei in ein Guckkastenbild im Stil Edward Hoppers.
Im Titelsong des Albums, „Wer auch immer, was auch immer, wo auch immer“, nimmt der Sänger den Hörer mit hinein in einen Nicht-Raum des anonymen Großstadtlebens: das billige Hotel, in dem ein Musiker absteigt, der mit Konzerten und Platten allein seinen Lebensunterhalt nicht verdienen kann. Zur Bestimmung des Ortes genügt die Beschreibung des Rituals der Inbesitznahme eines Zimmers, in dem man sich nicht aufhalten möchte: „Ich zieh mein Plastik durch die Chipkarten-Spur.“ Das Lied beginnt mit dem Ende eines Konzerts in einer namenlosen Stadt und endet mit dem Moment, als die Musiker am nächsten Abend wieder vor einer Bühne stehen. Ausgelassen ist in der sechsstrophigen Chronik eines verwechselbaren Arbeitstages alles, was bei Tageslicht geschah. Ein monoton wiederholter Banjoton eröffnet das Stück. Das ist das Leben der Berufsmusiker: immer dasselbe, reichlich eintönig. Für den Hörer steckt im gleichmäßigen Pochen ein Versprechen, als würde das Instrument gerade erst gestimmt.
Und wieder von vorn: Typischerweise setzt in Dziuks Liedern ein rhythmisches Grundmotiv eine zyklische Bewegung in Gang. In der Klavierballade „Alle meine Freunde“ behauptet das Thema, ein in vier Schritten absteigendes Hämmern im Dreiertakt, unerbittlich seine Herrschaft: Schicksalsformel und Todesankündigung. Die Tote starb von eigener Hand: ein im Netz von vermeintlichen Freunden bloßgestelltes Mädchen, das den Ausgangsfehler nicht mehr korrigieren konnte, mit zwölf Jahren einem Fremden auf dessen Bitte ein Foto geschickt zu haben. „Und sie stürzt in ein Loch, / tiefer als ihre Welt, / von der Intelligenz / eines Schwarmes umstellt, / eines Schwarmes von Haien, / und die riechen ihr Blut, / während sie sich mit allem / betäubt außer Wut.“ Die Prägnanz dieser Wortbilder, im Kulturkritischen wie im Psychologischen, macht die Demonstration tödlicher Indifferenz, als die man die mechanisch plätschernde Klavierbegleitung verstehen muss, noch schmerzhafter. Das Lied ist ein Denkmal, von gewaltiger Kraft. Sanft bedeutet hier dasselbe wie ungerührt.
Durch die strenge Geschlossenheit ist die Moritat in memoriam Amanda Todd die Ausnahme, die die Regel der poetischen Produktivität Danny Dziuks bestätigt: Der Kreisgang, das Herumschweifen, begünstigt die Abschweifung, auf deren Spur sich der rettende Einfall einstellt, die Assoziation, die den Hörer zu eigenen Assoziationen und zum Wiederhören anregt. Unter einem „Shakespeare-Himmel“ wähnt sich der Verlassene, weil dort Wörter und Töne Wunder wirken. Er möchte sich einbilden, wenigstens noch im gleichen Stück mitzuspielen wie die unzuverlässige Steuerfrau. Ob die Verflossene die Einladung zur Umkehr überhaupt zu hören bekommt, ist ungewiss. Von einem federnden Schlagzeug eingeleitet, zieht das Klagelied im Feenmarschtempo am Zaun vorbei. Der Sänger wird nicht laut, denn er weiß, wo er ist.