Immer mit der Ruhe. Glänzend aufgelegt: Mitch Ryder & Engerling spielten im Alten Schlachthof

von Andreas Körner, Dresdner Neueste Nachrichten

Er macht uns allen noch immer nicht die Windmühle. Er wird sie uns wahrscheinlich nie machen, denn es hieße ja, Cocker zu imitieren, der das zweiarmig-angeschlagene Windrad für sich gepachtet hat und dabei singen kann, was er will oder auch nicht. Klingt immer eigen. Wenn Cocker uns den „With A Little Help …“-Schrei röhrt, strahlen unsere geplagten Ohren in dreckigen Stadien, schlechten Hallen, irgendwo, wo wir eigentlich gar nicht unbedingt sein wollen.

Mitch Ryder hat Schreie dieser Art jede Menge drauf, doch er zelebriert sie nicht. Er schreit sie einfach raus – heiser, belegt, erschütternd, fast unbewegt, höchstens mit einem „Daumen hoch!“-Blick für die Band. Ryder in the sky. Und darunter. Wir pilgern immer wieder in seine Club-Konzerte und verlassen sie mit innerer Genugtuung, die völlig unspektakulär und wohl gerade deshalb so angenehm ist. Mitch Ryder kommt, ist da, wieder weg und hinterlässt mit seinen grandiosen Kollegen von Engerling zwei Stunden gediegenen Rock’n’Roll, Blues, Soul, Balladen. Ist wie Grillen. Mit Freunden. Und immer mit der Ruhe.

Das erste gesetzlich verordnete Nichtraucherkonzert im Kleinen Schlachthof gab dem Ende dieses Monats 63 werdenden Sänger eine Steilvorlage für etwas Hohn und Häme. Ein wesentlicher Grund, aus den USA nach Deutschland gekommen zu sein, wäre die Möglichkeit zum freien Paffen gewesen, und jetzt das! Später am Abend wolle er sich eine und sogar mehrere anstecken, und, ja, er wird rauchwillige Zuhörer zu sich heraufbitten, die dann einfach Teil der Show werden würden. Das könne keiner verbieten. Herzhaftes Gelächter im Rund. Es dauerte übrigens bis zur ersten Zugabe nach reichlich eineinhalb Stunden, bis man es unterm Hut und unter der Sonnenbrille Ryders glimmen sah. Zu diesem Zeitpunkt schien er noch fit genug für eine weitere qualmlose Stunde. Herrlich unangestrengt hatte er sich durch sein Repertoire gesungen, dabei die neue CD „You Deserve My Art“ ordentlich, nie verschämt oder defensiv präsentiert, wissend um die Stärke einzelner Songs. Die Rolling Stones oder Makka McCartney trauen sich das schon lange nicht mehr. Vielleicht haben wir es so verdient.

Ryder verinnerlicht seinen Gesang, gibt einzelnen Passagen sein so urtypisch flirrendes Vibrato über dem seltenen hellen Timbre, das sich mühelos zwischen Blues und Soul einfindet und dort seine Vorbilder begrüßt. Doch längst ist Ryder selbst Vorbild geworden, nur berufen sich die wenigsten Nachahmer direkt auf ihn. Da steckt Kraft dahinter, die Gelassenheit, es niemanden mehr und schon gar nicht sich selbst beweisen zu müssen. Wir kaufen ihm das nostalgisch verklärte „Jenny Take A Ride“ ab, das schon 1968 etwas lustiger klang als geplant. Wir verstehen seinen Frust aus „War“, denn das Weiße Haus zeigt sich noch immer blutbespritzt. Wir halten mit ihm inne, wenn er die großartige und emotionale Ballade über das tote Kind und die trauernden Eltern bringt, die seine Freunde sind: „Heaven Takes You Back“, begleitet nur von zwei akustischen Gitarren und einem schwebenden Tasten-Ton. Wir verneigen uns vor Ryders eigenen Stücken, die er Lieblingsstücke nennt und nehmen es ihm alles andere als übel, wenn er schon mal den Namen John Mellencamp fallen lässt, da es an „When You Were Mine“ geht. Keine Spur von Übelkeit auch, wenn Wolfram Bodag und Heiner Witte vor „Red Scar Eyes“ die längst eingeführte und schon vor sechs Jahren auf CD gebannte Improvisation über „Die Liebe ist ein seltsames Spiel“ intonieren. „True Love“ fehlt ja ebenfalls nicht, warum auch. Wir sind ja nicht bei Olympia.

Die chemischen Reaktionen zwischen Mitch Ryder und den verdienstvollen Engerling scheint in einer neuen gemeinsamen Formel aufzugehen. Es ist jenes Verstehen, das nie in Lässigkeit abkippt. Dazu sind Bodag (Tasten), Witte (Gitarre), Manne Pokrandt (Bass), Hannes Schulze (Drums) und Gisbert Piatkowski (Gitarre) einfach zu versiert, inspiriert und zu froh über die Chance, die ihnen Ryder unmissverständlich gibt, die sie dankend annehmen, aber – würden reguläre Musikverhältnisse im Kulturbetrieb herrschen – nicht unbedingt nötig hätten. Die Läufe von Witte und Piatkowski haben eigene Klasse. Beide ergänzen sich wunderbar, Witte mit seinen eleganten Slide-Schüben, Piatkowski mit aggressiverem An-Pack. Beide, wie ihre Kollegen auch, hören bestens auf sich und den Rest, sie können mühelos ins zweite, dritte Glied abwandern, wenn es um den kollektiven Klang geht. Unprätentiös, wissend. Bodag war da eh stets ein Muster mit Wert. Und so läuft der Abend einfach los. Und läuft. Und läuft.

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