Leben ohne Engel

von Birgit Walter, Berliner Zeitung

Leben ohne Engel Gerhard Gundermann hat seinen Bagger verlassen und eine neue CD herausgebracht

Im Tränenpalast stand Gundermann in letztens dreieinhalb Stunden auf der Bühne, dann breitete sich vorsichtig Erschöpfung aus. Nicht unter den Musikern, die konzentriert und ohne Pause gespielt hatten, sondern unter den Zuhörern. Dreieinhalb Stunden lang begeistert sein, und alles im Stehen, ist auch eine Anstrengung. In der Beziehung ist der Musiker Gerhard Gundermann ein bißchen rücksichtslos: Er will was leisten für das Geld, das die Besucher für ein Konzert mit ihm aufbringen müssen. Er spielt gegen das Gefühl an, womöglich keinen äquivalenten Gegenwert zu bieten für die 25 Mark Eintritt, die er seinen Zuhörern abverlangt. Das Gefühl wird ihm keiner ausreden können, dabei gehören seine Lieder zu den schönsten, die deutsche Rockmusiker erdacht haben, und Gundermann hat Kultstatus im Osten. Seine Platten werden gekauft, die Konzerte sind voll, obwohl die Ereignisse kaum bekanntgegeben werden und unter Mißachtung der Marktgesetze quasi ohne Werbung stattfinden. Die Plattenfirma heißt „Buschfunk“, und so arbeitet sie auch. Ihr Chef aber liebt Gundermanns Musik und trägt jede Neuerscheinung gewöhnlich selbst in die Musikredaktionen der Sender und Zeitungen, nicht ohne tags darauf nachzufragen, ob seine Begeisterung dort denn auch geteilt werde. Ja doch, die neue,“ Engel über dem Revier“, ist wunderbar. Glücklicherweise wurde sie anders als die Vorgängerin wieder von den Silly Musikern Barton und Hassbecker arrangiert. Sie nehmen dem Gundermannschen Rock das Krautige und das Brachiale, bringen die volksliedhaft eingängigen Melodien zum Klingen. Auch ist „Engel über dem Revier“ kein zorniger Rückblick mehr, nur eine traurige Bestandsaufnahme zu demselben zentralen Thema: Abschied vom Tagebau. Gundermann, 41, wird in den Medien als der „singende Baggerfahrer“ geführt, seit er die Bühne betrat. Zwanzig Jahre hat er in der Braunkohle gearbeitet, dabei lange selbst auf das Haus zugebaggert, in dem er bis heute mit seiner Familie lebt und das schon einmal für den Abriß vorgesehen war. Er hat die Verwüstungen gehaßt, die seine Arbeit anrichtete und schon zu Ost Zeiten gegen das „Verheizen von Heimat“ gewütet. Aber seinen Bagger hat er gut behandelt und geliebt wie ein beseeltes Wesen. Seit Januar gibt es im Lausitzer Spreetal keine Arbeit mehr für Baggerfahrer. Gundermann kann jetzt ausgeruht zu seinen Konzerten fahren, das Dach seines Hauses neu decken, nach Jahren wieder über einen Urlaub nachdenken, ein Theaterstück schreiben und neue Lieder, die angesammelten Bücher lesen, alles, wozu ein Mensch mit zwei Berufen keine Zeit bat. Er tut das all es, aber es reicht ihm nicht, und das ist sein Problem. Er klagt, daß er nicht mehr müde wird. Er war gewöhnt, nach der Schicht zum Konzert zu fahren und hat sich ein sparsames Haushalten mit Zeit angewöhnt. Zweieinhalb Stunden Schlaf mußten genug sein, oder fünf, darauf war er eingestellt. Nur vier Stunden gingen nicht, klärt er auf, „das zerstört die zweite Tiefschlafphase.“ Nach einem Tag in der Kohle und einer Nacht auf Bühne und Landstraße fiel er früher rechtschaffen müde ins Bett, da hatte er alles gegeben. „Heute habe ich den Eindruck, daß es zu wenig ist, was da im Konzert passiert. Wo jetzt so viel mehr Zeit ist, müßte doch eine neue Qualität entstehen, bessere Ideen, mehr Tiefgang, was weiß ich.“ Seine Musik zum Hauptberuf zu machen, von Kunst zu leben kam für Gundermann nie in Betracht. „Nur Kunst oder nur Arbeit geht für mich nicht. Ich brauche verschiedene Perspektiven auf die Gesellschaft, sonst führt das zu Verblödung“, hat er gern erklärt. In Wahrheit ist er überzeugt, daß seine Kunst nur als Hobby taugt, weil sie nicht ausreichend von Belang ist, wie die von anderen Künstlern. „Heiner Müller zum Beispiel hatte substantiell einfach mehr zu bieten. Oder auch Springsteen, der macht Lieder, da reicht keiner ran.“ Gundermanns Bewunderung für Springsteen ist seinen eigenen Liedern durchaus anzuhören – ohne daß räuberische Elemente im Spiel wären. Es ist derselbe liedhafte Rocksound, selbst die zernuschelten Konsonanten klingen ähnlich. Eine Liedzeile wie „Alle Lieder, die ich machen wollte, singt schon der Boss“ hört sich nach Resignation an, zumindest nach friedfertiger Traurigkeit, wie die ganze Platte. Wenn sich Gundermann von seinem Leben als Bergmann verabschiedet, sieht er Engel schweben („Engel über dem Revier“). Bergmännische Schutzengel, die in der Vergangenheit nie gereicht hatten für alle und die nun überflüssig geworden sind wie ihre Schutzbefohlenen. Gundermanns neues Leben ohne Engel hat gerade angefangen. Es führte in zunächst auf das Arbeitsamt in Hoyerswerda, ein besonders überfülltes Amt mit besonders vielen Menschen, die sich eine sehr hohe und sehr stabile Mauer zurückwünschen. Der frühere Bergmann sieht sich nach einer Umschulung um, nach einer neuen Arbeit. Sie sollte wieder mit Energie zu tun haben. Eine Ausbildung als Fahrradmechaniker käme in Betracht. Zu Fahrrädern hat er eine Affinität, weil das „so geniale Maschinen sind, die menschliche Energie komplett und mühelos umwandeln können, in eine Energie, die voranbringt.“ Möglich wäre auch eine Ausbildung als Installateur, weil hier auch Solartechnologie gelehrt wird, denn er will vorbereitet sein. „Eines Tages wird das Öl endlich so teuer sein, daß es nicht mehr bezahlbar ist. Dann werden alternative Energiemodelle gebraucht, Windräder oder eine wirklich ausgereifte Solartechnologie. Daß muß zur Verfügung stehen, wenn die Gesellschaft es braucht. Vorher läßt sich nichts aufdrängen. Gundermann erinnert sich, wie er einmal nicht vorbereitet war. Kurz nach der Wende ist er immer wieder nach Drehbüchern gefragt worden und nach Bühnenstücken, Sachen, die er eigentlich gern hätte schreiben wollen, die in der DDR aber ohne Chance gewesen wären. „Und ich hatte nur die Ideen und nichts in der Schublade.“ Gundermann: Esoteriker, Vegetarier, radikaler Ökologe, Vater einer vierjährigen Tochter und dreier erwachsener Kinder, geht militant sparsam um mit allen Formen von Energie und Rohstoffen. Wenigstens er will nicht verprassen, was künftige Generationen brauchen werden. Die bevorstehende ökologische und ökonomische Katastrophe ist für ihn im Grunde stets gegenwärtig. Seine Familie würde nicht zum Urlaubsvergnügen durch die Welt fliegen und keine Südfrüchte anrühren, solange noch Obst im Garten wächst. Auch mit seiner Musik hält er sich bewußt fern vom Business. „Auf einem Plakat habe ich gelesen: Zur Eröffnung des Autohauses spielen Karat und Rex Gildo. Da stand ich fast quer. Zu so etwas möchte ich nie gezwungen sein.“ Gundermann betont seine Zufriedenheit darüber, keinem Major-Label verpflichtet zu sein und keinem großen Tournee-Veranstalter. Dabei waren die entsprechenden Verträge vor zwei Jahren fast schon perfekt, und nicht er hatte sie platzen lassen; sondern die andere Seite. Damals hatte Gundermann öffentlich gemacht, daß er der Staatssicherheit verpflichtet war. Später, aus Armee und Partei geschaßt, wurde er in den 80er Jahren selbst permanent bewacht, bekam Auftrittsverbote, wurde für Westreisen gesperrt. Aber zuvor war er ein Überzeugungstäter ohne Unrechtsbewußtsein, ein glühender Verteidiger des Sozialismus, der am liebsten Agenten gejagt hätte. Heute sagt er über die IM – Zeit: „Ich bin noch nicht fertig mit der Geschichte. Am Anfang stand natürlich die Verteidigung, so grobschlächtig wie die Angriffe. Aber heute lese ich die Akten immer kritischer, bin selbst mein stärkster Gegner.“ Die Besucher von Gundermanns Konzerten hatten nie Probleme mit dessen biografischen Widersprüchen. Es gab keine Einbrüche, nicht nach der Wende, als die Ost – Menschen eigentlich nur noch West – Bands hören wollten, und nicht nach der Staasi – Geschichte. Gundermanns Hörerschaft ist stabil und von guter Kondition. Denn die Konzerte dauern gewöhnlich etwas länger.

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