„Treppe rauf, Treppe runter, immer hübsch, immer munter, Treppe rauf, Treppe rauf, Treppe runter, soso, jaja…“: Kregel und fröhlich sarkastisch scheppernd geht es mitunter zu auf Danny Dziuks neuem Album. Dessen Titel – „Freche Tattoos auf blutjungen Bankiers“ – könnte man als Reaktion auf das Gebaren renditebesessener Geldmakler verstehen. Doch bei den 14 neuen Aufnahmen des in Berlin lebenden Sängers handelt es sich keineswegs um einen Schnellschuss aus der Hüfte. Die in den unwürdig grinsenden Gesichtszügen Josef Ackermanns perfekt veranschaulichte Finanzbranche auf ihrem Weg im Vorstandsfahrstuhl nach ganz unten ist für Dziuk nur eine Fußnote. Sein dichterischer und musikalischer Kosmos ist ungleich reicher als das groß genannte Paralleluniversum aus Hype und Hypo.
Als Danny Dziuk seine Ton- und Wortwelt schuf und auslotete, ließ er sich Zeit, sah genau hin, hörte genau zu – und schneiderte erst mal seiner Stadt die ihr angemessene Hymne auf den gleichermaßen gammeligen wie glitzernden Leib.
„Mein schönes Berlin“ heißt die unpathetische Liebeserklärung, die Dziuk im Duett mit der als „Kleingeldprinzessin“ und Anführerin der „Stadtpiraten“ bekannt gewordenen Sängerin Dota Kehr singt. Der mit Gassenhauercharme geträllerte Ohrwurm hält die Spannung zwischen Sympathie und amüsierter Distanz. „Im Glanz sämtlicher Ich-Ich-Ich Accessoires“ sieht Dziuk die Berliner sich spiegeln. In Berlin gibt es alles, also jede Menge Nichtiges; dies ist die Hauptstadt der „Logos und Slogans auf T-Shirts und Party für Revolution oder Eiscreme, egal“, und bei den „Freizeit-Anarchos ist ganz bestimmt auch ’n zukünftiger Außenminister dabei“. Dziuk decouvriert die Scharlatane, Aufschneider und Möchtegerns, aber sein Spott über die Berliner ist trotz allem milde und gutmütig. Das notorisch hyperaktive, krakeelige Gewusel und Gehampel vieler Insassen Berlins ändert ja nichts daran, dass die Stadt, die so oft mit greller Seichtheit kompetent zu langweilen versteht, eben auch ein Mysterium sein kann: ein Ort der Wunder, geschaffen für jene, die ihnen auf die Spur kommen.
Die Fähigkeit, in der Ödnis und Wüste des sogenannten Pluralismus das davon Abweichende, das nichtkompatibel Ungleichförmige, also das Wesentliche zu erkennen, bedarf eines feinen Sensoriums, das in der Vielschichtigkeit der Wahrnehmung nicht die Klarheit aus dem Auge verliert. Kontinuierlich hat Danny Dziuk es erweitert und vertieft. Obwohl er als Dichter und Weltanschauer keineswegs die Strenge von Peter Hacks teilt, ist seine Vertonung von Hacks’ „Ode auf Berlin“ gelungen. „Und in deine weißen Mulden / Schmieg ich heiter mein Gesicht. / Leute, die der Welt nichts schulden, / Deren Seele nimmt sie nicht“, schreibt Hacks an die Geliebte: Nur wer das Leben ganz auskostet, verliert seine Seele nicht. Diese antifaustische Dichtung des Goetheverehrers Hacks ist ein schwerer Brocken, weshalb der Dichter ihn in ganz leichte Form gekleidet hat. Danny Dziuks Komposition trägt die hymnischen Verse mit angemessener, gut gelaunter Energie. In dieser „Ode auf Berlin“ hat die Stadt einen Lobgesang bekommen, dessen Klasse nicht das Berlin der Jetztzeit beschreibt, sondern ihm als Maßgabe dienen mag. So wünscht man sich Berlin: „O wie gern bin ich alleine / Mitten in der großen Stadt, / Wo man seinen Lärm und seine / Wunderschöne Ruhe hat. // Und ich denke meine Sachen, / Muss mich keinem anvertraun. / Was ich kann, das darf ich machen. / Niemand lugt mir übern Zaun.“
Das ist – auch – der zivilisatorische Gegenentwurf zur Aggressionstristesse, die Danny Dziuk in „Halber Staat“ beschreibt. Was selbstverständlich mit Absicht nach Halberstadt klingt, aber Dziuk nimmt das sachsen-anhaltinische Kaff eben pars pro toto für eine deutsche Provinz, in der mörderische Nazi-Schläger und Menschenjäger von der Sympathie, der Duldung und Feigheit der Mitläufermehrheit gedeckt werden. Bei allem Ingrimm kommt Dziuk ohne gratismoralische Brachialanklagen aus; politische Breitwandbilligbedürfnisse bedient er nicht. Wenn unsere politisch okaye, ästhetisch aber manchmal etwas schlicht gestrickte Antifa an einem empathischen, intelligenten und musikalischen Lied zum Thema interessiert wäre – hier ist eins.
Am stärksten ist Danny Dziuk in der Königsdisziplin: Seine Liebeslieder bedürfen keiner Reklame-Anpreiserei und keiner peinlichen Überhöhung. „Wenn sich die dunklen Ränder / aus Misstrauen und Stolz / verkrümeln wie Geländer / aus eh marodem Holz / dann falln wir auf den Boden / der ist immer noch da / den kenn ich und den brauch ich / und damit käm ich klar“, singt er in „Wenn sich die Reihen lichten“. Dass die Liebe auf dem Teppich bleibt und dass sie stimmt, macht sie ja erst groß und verleiht ihr Schimmer und Glanz.
Als Musiker hat sich Danny Dziuk längst einen unantastbaren Ruf erworben. Die Meriten sind zahllos, er war mit Größen wie David Lindley im Studio und tourte durch ganz Europa und die USA. Dziuks musisches Potenzial ist zu groß, als dass er sich gestatten dürfte, stets nur anderen zu dienen und nicht seiner eigenen Kunst. Nachdem er endlich auch ihm adäquate Musiker fand, konnte er sein bisher stärkstes Album produzieren. „Freche Tatoos auf blutjungen Bankiers“ ist ein großer poetischer und musikalischer Wurf. In dieser Welt sich nicht zu verheddern, zu verfriemeln und zu verfransen, nicht dem Irrsinn anheimzufallen, nicht dem Terror des positiven Denkens und nicht der Verzweiflung, ist ein großes Wagnis. Es ist gelungen. Im Schlusslied „Weichen“ singt Danny Dziuk: „O Herz, von dem man sagt, nur das / gebroch’ne sei noch ganz / Was brachte dich vor langer Zeit / zur Welt so auf Distanz?“ Musikalisch vereint er, vorsichtig und sachte allein am Klavier, seine Hausgötter Bob Dylan und Johann Sebastian Bach. Und findet dabei, was für ein Glück, Danny Dziuk, höchst persönlich.
Dziuks Küche, „Freche Tattoos auf blutjungen Bankiers“, ist bei Buschfunk erschienen.