Spannendes Erbe im Gepäck – Wie sich Silly neu erfinden wollen

Melodie & Rhythmus, Gerd Dehnel

`Silly ruht´ hieß es von eurer Seite nach dem Tod von Tamara Danz über lange Jahre. Warum ruht Silly jetzt nicht mehr?

UWE HASSBECKER: Weil wir es nicht mehr ausgehalten haben. Die Musik von Silly ist Teil von uns, unserer Vergangenheit, aber eben auch unserer Zukunft. Wir haben 2005 zunächst begonnen, mit verschiedenen Gastsängern ein Comeback zu starten. Dann sind wir auf Anna gestoßen, die sich sehr schnell als die richtige Sängerin für uns herausgestellt hat. RITCHIE BARTON: Das zieht natürlich auch nach sich, dass man an neuem Material arbeiten muss. Jetzt haben wir das Album fertig und damit das nächste Kapitel in der Bandgeschichte aufgeschlagen.

Silly ist immer als ostdeutsche Band wahrgenommen worden. Nach 14 Jahre CD- Pause erscheint nun `Alles Rot´ bei Universal, einer der großen Plattenfirmen, die mehr als den ostdeutschen Markt bedienen will. Musste sich Silly ändern, um eine gesamtdeutsche Band zu werden?

RITCHIE BARTON: 20 Jahre nach dem Mauerfall kann man dieses Ost- Ding endlich mal sein lassen. Manchmal kann ich das nicht mehr hören. Mit Anna haben wir jetzt die Chance, auch in anderen Bundesländern Fuß zu fassen, wo wir noch nicht so populär sind. Zumal wir ja auch ein spannendes Erbe im Gepäck haben, das dort zum großen Teil unbekannt ist.

Anna betont gern, dass Silly in ihrer Jugend eine wichtige Rolle spielte. Ist Silly heute was anderes oder ist Silly ein Kontinuum?

ANNA LOOS: `Ich werde das Kontinuum verlassen, das Radar der Sterblichkeit wird mich nicht mehr erfassen´ – das ist ein Zitat von Werner Karma. Silly ist immer noch die Band, die ich als Jugendliche geliebt habe. Jetzt ist es aber auch meine Band: Ich bin mitverantwortlich für alles, was wir machen. Das ist wie ein war gewordener Traum und manchmal komme ich mir vor wie Alice im Wunderland. Es ist eine tolle Aufgabe und schöne Erfahrun und ich bin sehr stolz auf unser erstes Album. Ich find es gelungen, aus einem Guss. Es ist also Gott Sei Dank immer noch Silly. Aber angekommen im Jahre 2010.

Neben Pankow und City zählte Silly zu den Bands, die Realitäten und Stimmungen der DDR gespiegelt haben. Bis hin zur Lethargie der späten 80er Jahre und schließlich dem Zusammenbuch aller Ideale auf dem Album `Februar´, das manche als Soundtrack zur Wende bezeichnen. Wie wichtig ist für euch heute diese Fähigkeit, größere gesellschaftliche Zusammenhänge widerzuspiegeln?

UWE HASSBECKER: Ich denke, wir haben auch diesmal ein politisches Album gemacht. Vielleicht nicht ganz so tagespolitisch. Die Bundesrepublik 2010 ist noch nicht ganz so dicht vorm Untergang wie die DDR damals. Trotzdem stürzen wir uns auf gesellschaftliche Zusammenhänge, die für uns heute wichtig sind. Die Platte ist Spiegel dessen, was wir denken und fühlen.

Viele Texte des neuen Albums bleiben im Privaten – entspricht das einem herrschenden Trend unserer Gegenwart? Der Rückzug in die eigenen Wände? Die Utopien sind tot, sich drüber ärgern nutzlos?

ANAA LOOS: Ich hab mir das Album immer wieder angehört, jeden einzelnen Song. Ich empfinde das überhaupt nicht so. Auch Texte, die in der Ich- Form geschrieben sind, beschäftigen sich nicht nur mit dem Mikrokosmos. Sie blicken auf die Gesellschaft, zeigen unsere Sicht. Ein Text wie `Flieger´ richtet sich zwar an ein `Du´, aber das nur wegen der persönlichen Ansprache, um die Tür zu öffnen. Er bezieht sich nicht nur auf eine Person. JÄCKIE REZNICEK: Es wird generell die Frage gestellt, warum so viele Menschen bei uns depressiv sind Warum hängen Leute 24 Stunden vor dem Fernseher, warum läuft da nur Müll. Und warum werden erfolgreich tierisch teure Karten für das Berliner Olympiastadion verkauft, obwohl dann ein Comedian auftritt, der nichts zu sagen hat.

Silly hat Erfahrung, wie Texte in der DDR und wie sie 20 Jahre in Gesamtdeutschland gewirkt haben. Hat sich für Silly an der Wichtigkeit der Texte etwas geändert? Oder daran, was ihr mit ihnen transportieren wollt?

UWE HASSBECKER: Für uns nicht. In der allgemeinen Musiklandschaft sehe ich da schon Defizite. Aber für uns war klar, dass wir unserem Anspruch an Text, Inhalt und Musik gerecht bleiben müssen. Anders würde es für uns nicht funktionieren. Und die Leute würden es uns nicht abkaufen, wenn wir in Beliebigkeit abrutschen würden wie so manche andere Popband.

Beim vorhin erwähnten Album `Februar´ ist der langjährige Silly- Texter Werner Karma frustriert von dannen gezogen, weil Tamara Danz die Texte nicht hart und klar genug gewesen sind. Die nächsten Texte hat sie mir Gerhard Gundermann geschrieben. Wie konnte Karma jetzt zur Rückkehr bewegt werden?

RITCHIE BARTON: Das war Annas Initiative und ein großes Glück für uns alle. ANNA LOOS: Karma hat mit Tamara, mit Silly lange und sehr intensiv zusammengearbeitet. Das ist vergleichbar mit einer Liebesbeziehung: Es gibt Zeiten, da trennt man sich für eine Weile. Zum Beispiel, weil man künstlerisch an einem Punkt angekommen ist, wo man woanders hin will als der andere. Wenn Tamara länger gelebt hätte, wäre vielleicht auch der Zeitpunkt gekommen, wo sie wieder zurückgegangen wäre zu ihm. Sie hat in den gemeinsamen Jahren sehr viel von Werner gelernt. Sie hatte selbst ein großes Talent, Texte zu schreiben. Aber in vielen Texten ist auch Werners Handschrift zu lesen. Jetzt war es einfach an der Zeit, dass Werner wieder ins Boot kommt. Denn es gibt nicht viele Menschen, die sich so ausdrücken können wie er. Es war für uns unabdingbar, dass wir Texte haben, die was aussagen. Und die das auf eine bestimmte, sehr eigene Weise tun.

War es schwierig, wieder eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, zu einer Einheit von Musik und Text zu kommen nach einer so langen Trennung?

RITCHIE BARTON: Überhaupt nicht. Über ein paar Sachen haben wir diskutiert. Aber es war schnell klar, dass er unser Mann ist. Wir hatten auch Textangebote von anderen. Aber so ganz glücklich waren wir damit nicht. Dann kam dank Annas Initiative Werner ins Spiel. Dass er das ganze Album texten wird, war aber nicht von Anfang an klar. ANNA LOOS: Er war zunächst zögerlich, hatte nicht von vornherein das Vertrauen, dass aus der Zusammenarbeit was wird. Aber dann war er schnell wieder voll bei der Sache und hat einen Output geliefert wie zu besten Zeiten.

Habt ihr bei den neuen Texten mitgewirkt, habt ihr Wünsche angemeldet?

ANNA LOOS: Ja, klar. Ich hab mich oft mit Werner getroffen. Wir haben drüber geredet, welche Themen möchten wir behandeln, oder über was will ich überhaupt nicht singen. Und um was es dabei gehen sollte. Zum Beispiel gab es die Idee von Uwe, ein Lied für Tamara auf dem Album zu haben. Keine Ode an Tamara, sondern einfach ein Lied. UWE HASSBECKER: Das war eigentlich das erst Stück, an dem ich gearbeitet habe für das neue Album. Und da war relativ schnell klar, das könnte ein Lied für Tamara werden. ANNA LOOS: Das war schon irre. Es hatte so eine Melancholie. Als Uwe das Stück komponiert hatte, bin ich damit zu Werner gegangen. Er konnte sich das erst nicht vorstellen. Wir haben lange drüber geredet. Werner ist einer der wenigen Menschen, die ich kenne, die nicht auf schnell-schnell machen. Er nimmt sich Zeit, hört zu, bis er genau versteht, was man meint. Und dann geht er nach Hause und macht was daraus. Und dann kam dieser Text angeflogen., an dem musste nicht mehr geändert werden. Der war perfekt.

Seit dem letzten Silly- Album sind immerhin 14 Jahre vergangen. Habt ihr auch auf Material aus diesen Jahren zurückgegriffen?

UWE HASSBECKER: Von mir ist alles neu. Ich hab zwar immer Skizzen gesammelt. Aber für die neue Platte sollten es komplett neue Sachen sein. Als wir damit angefangen haben, vor anderthalb Jahren, war das zunächst schwer. Da war schon eine Schwelle zu überschreiten.

Anna hat ja noch einen anderen Job als Schauspielerin und hat ne Menge Termine zu koordinieren. Hat das die Arbeit beeinflusst?

ANNA LOOS: Ich drehe zwei, drei Filme im Jahr. Da bleibt genug Zeit. Als ich in England gedreht habe, bin ich dann immer am Wochenende hergeflogen und hab mit Silly gespielt. In der heißen Phase bei den Arbeiten fürs Album hab ich die Schauspielerin hinten angestellt. In der nächsten Zeit wollen wir so was wie Wohnzimmerkonzerte machen und im Mai spielen wir die Tour in großen deutschen Städten – Von Berlin bis Stuttgart. Im Sommer hoffentlich auf ein paar schönen Festivals.

Euch ist klar, dass Silly- Fans immer wieder mal darüber nachdenken werden, wie die neuen Songs mit Tamara Danz geklungen hätten. Hat euch das bei der Produktion belastet?

ANNA LOOS: Also mich persönlich nicht. UWE HASSBECKER: Überhaupt nicht. Man kann keinem verübeln, dass er vergleicht. Aber letzten Endes bringt das niemanden weiter, denn diese Option steht nicht. Wir haben jetzt mit Anna unsere neue Sängerin und wir wollen mit diesem Album in die Zukunft schauen. Das ist der wesentliche Punkt für uns. Ohne die Vergangenheit über Bord zu werfen, die wird immer Teil von uns sein.

Es hätte aber eine andere Option gegeben: Das Silly- Erbe verwalten und dazu immer mal auf Tour gehen mit den alten Songs. Das hat doch ein paar Mal ganz gut geklappt. Wieso geht ihr jetzt dieses Risiko ein, etwas Neues zu machen?

UWE HASSBECKER: Dann hätten wir Anna nicht als Sängerin bei uns gehabt. Und vor uns selber hätten wir das auch nicht vertreten können. Es war Tamaras Wunsch, dass wir früher oder später weitermachen. Das hat sie Jäcki persönlich gesagt kurz vor ihrem Tod. Das hat dann noch eine Weile gedauert, wir haben es nicht erzwungen, es ist gewachsen. Aber jetzt war’s einfach an der Zeit.

Musste Anna drängeln, dass es ein neues Silly- Album geben soll?

ANNA LOOS: Ich bin sowieso ein Drängler, ein super ungeduldiger Mensch. Aber es war ja nicht so, dass die Jungs vorgehabt hätten, nie wieder was Neues zu machen. Ich habe dann ganz schnell begriffen, dass alles seine Zeit brauchte. Man kann ein Silly- Album nicht mit der Brechstange hervorstemmen. Wir mussten uns kennen lernen, wir brauchten musikalische Erlebnisse miteinander, wir mussten menschlich zusammenwachsen. JÄCKI REZNICEK: Es ist generell problematisch, von Album zu Album ins Rollen zu kommen. Nach so einer langen Zeit und dem Verlust von Tamara war das natürlich noch viel schwieriger. Aber dass wir irgendwann loslegen werden, war klar.

Auch eure Plattenfirma hegt hohe Erwartungen. Wenn dieses Album kein Erfolg wird, ist sie sauer, darf man annehmen. Aber abgesehen davon: Wäüre ein solcher Rückschlag wegzustecken? Geht’s dann mit Silly überhaupt weiter?

JÄCKI REZNICEK: Es gibt Schlimmeres. ANNA LOOS: Ich glaube nicht mal, dass die Plattenfirma uns aufgeben würde. Universal wird in uns nicht so einen One-Hit-Wonder-Act sehen. Sie haben eine Band eingekauft, an die sie glauben. Aber auch wir haben jetzt anderthalb Jahre in dieses Album investiert. Wir werden jetzt alles tun, um das bestmöglich zu verkaufen. Und wenn der Erfolg noch nicht mit diesem, sondern mit dem nächsten kommt., dann ist es eben so. Dann sind die Leute vielleicht noch nicht ganz bereit für uns. Aber ich glaub das nicht. Ich merke es jetzt schon an ersten Reaktionen auf die Platte, sowohl von alten als auch von neuen Fans, die noch nie von Silly gehört haben. Wir haben uns im Vorfeld gar nicht so sehr damit beschäftigt, wer ist unsere Zielgruppe, was wollen die Leute hören, wo wollen wir hin. Wir haben nur das gemacht, was wir machen wollten. Auch deshalb glaube ich, dass das Album ein großer Erfolg werden wird.

Bei der CD `Alles Rot´ haben einige Silly- Söhne mitgespielt. Ist Silly auch eine Familienband?

UWE HASSBECKER: Wird es immer mehr. Ist ein schönes Gefühl. Jäckis Sohn Basti hat das Album getrommelt. Daniel, mein Sohn, der an Cello und Keyboard auch zu unserer Live- Besetzung gehört, hat Celli beigesteuert. Mein dritter Sohn, Leo, der elf Jahre alt ist, hat zufällig bei einem Song getrommelt. Das war nicht geplant, ist sozusagen sein Debüt. Aber hoffentlich lösen die jungen Kollegen uns schnell ab.

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