Die Lieder der Anna Loos

von Thomas Leinkauf, Berliner Zeitung

Es klingt wie ein Märchen: Ein siebzehnjähriges Mädchen, es heißt Anna Loos, kauft sich in der Stadt Brandenburg, die zu der Zeit noch eine graue DDR-Stadt war, seine erste Schallplatte: Bataillon d’Amour von der Band Silly und ihrer Sängerin Tamara Danz. Das Mädchen ist begeistert von den Songs, die sie in eine andere Welt führen, hört die Lieder so oft, bis sie die Texte Werner Karmas auswendig kann.

20 Jahre später steht Anna Loos mit Silly – es ist der Höhepunkt einer mehrmonatigen Konzerttournee – auf der Bühne des Admiralspalastes und singt Bataillon d’Amour. Silly hat wieder eine Front-Frau. Und Anna Loos hat die Band, von der sie als Mädchen träumte, und die musikalisch noch viel besser geworden ist. „Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie geil das ist, diese Lieder zu singen“, sagt sie auf der großen Bühne in Berlin.

Dazwischen ist viel passiert. Tamara Danz starb an Krebs, und die Band verlor ihre Seele. Fast zehn Jahre ging nichts mehr, und es schien, als hätte sich das Projekt Silly erledigt. Dann probierten sie ein paar Sängerinnen aus, unbefriedigend.

Anna Loos ging noch vor dem Mauerfall in den Westen und wurde eine Schauspielerin, gelegentlich sang sie auch. Als Sally Bowies trat sie in „Cabaret“ auf. Dort sahen und hörten sie die Silly-Musiker und spürten, dass sie es sein könnte. Anna Loos hat stimmlich viel Ähnlichkeit mit Tamara Danz. Auch ihre Stimme hat diese Rauheit, die das Markenzeichen der Danz war, und Gänsehaut beim Zuhörer hinterlässt. Wenn Anna Loos „Schlohweißer Tag“ singt oder „Wo bist du?“, und man schließt die Augen, ist Tamara Danz sehr nahe. Anna Loos will auch gar nicht verleugnen, dass es da eine Anlehnung gibt.

Aber sie ist auch anders. Sie hat nicht diese Wut und die Traurigkeit, die Tamara Danz ausstrahlte, wenn sie auf der Bühne stand und sang. Wut und Traurigkeit, die aus einem Raum und einer Zeit kamen, die es nicht mehr gibt. Aus ihrem Leben. Immer ging es um alles, immer kam es ganz darauf an. Damit hat sie die Bühne beherrscht, stark und verletzlich. Anna Loos wirkt harmloser. Das muss nicht schlecht sein. Es lässt Raum. Man fühlt sich ihr irgendwie nah.

Anna Loos ist sehr freundlich zu ihrem Publikum. Als müsste sie sich dafür entschuldigen, dass sie jetzt da steht, wo früher Tamara Danz stand. Das muss sie nicht. Sie kann singen, und sie kann sich bewegen, das deutet sie bisher nur zurückhaltend an. Sie ist gut. Und kann noch viel besser werden. Sie fängt ja erst an. Das Publikum feiert Anna Loos.

Silly will jetzt weitermachen. Aber dafür brauchen sie neue Lieder. Lieder für Anna Loos. Musikalisch dürfte das gehen. Aber wer schreibt ihr so berührende Texte wie Werner Karma oder Tamara Danz?

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