Februar

von Wolfgang Lange, Melodie und Rhythmus

Die notwenig mitzuteilenden Informationen offenbaren etliche Überraschungen. Diese neue SILLY LP, die den als Wortgebilde nie wieder in den Liedtexten auftauchenden Titel „Februar“ trägt, ist es Co-Produktion des VEB Deutsche Schallplatten / DDR mit BMG/ARIOLA Münschen / BRD. Der in der DDR sehr populäre Liedermacher und Baggerführer Gerhard Gundermann tritt erstmals als Textautor für SILLY ( gemeinsam mit Tamara Danz ) in Erscheinung. Das lässt natürlich fragen, was denn mit Werner Karma ist, dessen Texte bisher eine unerschütterliche Größe beim Aufstieg SILLY `s in den nationalen Ruhm und zu internationaler Raputation darstellten ?

Keine Bange, Karma ist noch mit zwei Texten präsent ( 10 Songs umfasst die LP ), aber eben nur die zwei. Da sie zum einen durch Empfindungstiefe, poetische Geformtheit, scharfen Blick hinter die Erscheinungsfolie, zum anderen durch aggressiven Hintersinn auffallen, bleibt weiterhin zu fragen, ob die anderen Texte ein verändertes Konzept der Gruppe signalisieren oder einfach auf Hinzugewinnen einer anderen textlich – inhaltlichen Farbe verweisen ?

So ganz sicher bin ich mir in der Beurteilung dessen nicht, tendiere jedoch zum festhalten an ersterem. Weil, ich bemerke eine leichte Hinwendung zur einfachen Spiegelung von realen Erscheinungsbildern, obwohl das stets auch Bemühen um eine spezifische, überhöhte Sprache festzustellen ist und Anflüge von Metaphorik auszumachen sind. Beispiel: „Ein Gespenst geht um“. Ort: eine dieser so merkwürdig zwielichten Mitropa – Restauranthöhlen als ein Sammelbecken absonderlicher Menschen, ein Panoptikum, ein Schmelztiegel des Surrealen, dass das Reale durchdringt; Beobachtungen wie im Zeitraffer gefasst, in flüchtigen Charakterbildern der Menschen und ihres Verhaltens.

Oder „Verlorene Kinder“. Welche ? Die von Berlin. Beobachtungen zu einem Teil der Wirklichkeit, der harten sozialen und gesellschaftlichen, im hiesigen oder im anderen Berliner Teil ? Nichts verweist darauf. „Sie rücken aneinander auf der Spielplatzbank, der Recorder macht für sie Dämm `rung lang“, und „in die warmen Länder würden sie so gern fliehn, die verlorenen Kinder in den Strassen von Berlin“, „wo sie zu Hause sind“, wie immer wieder gesagt wird. Nur: Wo sind sie zu Hause ? Der Text hält sich, ob beabsichtigt oder nicht, mit seinem endgültigen Betrachtungsstandpunkt heraus, überlässt dem Hörer zu fühlen, zu empfinden, wo konkret dieses Bild der „verlornen Kinder“ anzusiedeln ist.

Ich weiß, dass es in einem bestimmten Sinne töricht ist zu sagen, Werner Karma wäre dieses Thema gänzlich anders angegangen. Und sage es dennoch ungeachtet des zu erwartenden Vorwurfs: Karma hätte sicherlich eine assoziationslenkende Mehrschichtigkeit eingebracht. Und gerade sie war es ja stets, die entscheidend dafür sorgte, das sich inhaltliches Konzept und künstlerische Wirkungsstrategie von SILLY immer weit über Durchschnittlichkeit erhoben und die exponierte Stellung dieser Gruppe festigte.

Es steht mir nicht zu, dieser verdienstvollen Rockband Vorwürfe aufzuhängen, weil sie sich ( vorerst ? ) von Werner Karma entfernt hat. Aber darf, nein: muss es nicht auch Aufgabe des Kritikers sein, wenigstens eine flächige Skizze der Verluste zu liefern ? Ich könnte dieses Aufrechnen weiter betreiben, besonders auch an einem Text wie „Alle gegen einen“, wo gleichsam der zu opfernde Stier in einer Stierkampfarena Klage darüber anstimmt, dass die Menschen immer jemanden sterben sehen wollen, um zu überleben. Das scheint mir der klassische Fall einer Problemvereinfachung zu sein.

Ungeachtet mancher textlicher Malaisen, des Verharrens der Gundermann / Danz Texte auf einer Haltung des zu wenig verarbeiteten, zu wenig mit Tiefe gefüllten Beobachtens – überzeugend ist diese neue SILLY – LP im Musikalischen sehr wohl ! Sie zeigt sogar in manchem eine neue Stufe der Meisterschaft, nämlich ein noch genaueres Setzen musikalisch wichtiger Akzente, einen Zugewinn an künstlerischer Ökonomie, eine kluge Disposition des Verhältnisses von klanglicher Struktur und Vokalstimme der Tamara Danz, ein sehr differenziertes charakterisierendes Beziehungsspiel von melodischem Bau und harmonisch grundierender Färbung.

Wofür sich etliche Beispiele anführen ließen: Die schmerzhaft bohrende Elegie des „Über ihr taute das Eis“ ( Haßbecker / Danz / Karma ) – ein Mädchen geht in den Tod, weil es zwischen den Menschen erfriert -, in dem sich die Stimme der Tamara Danz zu fast klanglos spröder Klage formt; der massive Drive des sarkastisch vollblütigen „Alles wird besser“ ( aber nichts wird gut ) von Haßbcker / Danz / Karma, in welchem der Kunstgriff verschleifender Artikulation in einer Art Verfremdungseffekt genutzt wird; die Einprägsamkeit des „Landekreuz auf meiner Seele“ ( obwohl da ein Lumpenhund, ein männliches Ungeheuer wütet ) – Barton / Danz / Gundermann sind die Autoren …

Zudem handelt es sich insgesamt wieder insofern um eine typische SILLY – Musik, als sie die Eigenschaften aller guten Musiken besitzt: Man wird nicht beim ersten Hören alle ihre ausgezeichneten Qualitäten entdecken; auch kann man an ihr erfahren, was wirklicher Professionalismus in der Rockmusik bedeutet. Solche Art Lehrstunden haben wir nötig !

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