Viel allzu Menschliches und ein bisschen Politik: Die Berliner Band Silly hat ihr neues Album „Kopf an Kopf“ veröffentlicht.
Meine Jungs, sagt Anna Loos, und dann setzt sie noch was ungemein Nettes hinzu. Wie gut die ihr Handwerk beherrschen, echte Musiker eben. Anna Loos hat gerade mit ihnen gesungen und begibt sich wieder zurück in den Talkshow-Sessel, ihre Jungs verschwinden in der Kulisse. Sie ist der Star, die Schauspielerin und eben auch die Frontfrau von Silly. Heute erscheint das neue Album der Band. Der Auftritt von Anna Loos vor drei Wochen in der NDR-Talkshow kann dafür als symptomatisch gelesen werden.
Die dort vorgestellte Single „Deine Stärken“ kann morgenradiotauglich für das ganze Album stehen. Das Lied beginnt ruhig, die Musiker legen kraftvoll nach. Man sieht Ritchie Barton (Keyboard), Uwe Hassbecker (Gitarre) und Jäcki Reznicek (Bass) auch ohne Fernsehbild noch vor sich. Der Text allerdings ist von bedauerlicher Eindeutigkeit, dass er in Eheberatungsstellen ausliegen könnte: „Deine Schwächen sind auch Stärken, an dir gefällt mir alles gut, ich will dich nicht verletzen, hab nie verstanden, warum ich’s tu.“ Das wird nicht besser, lässt sich aber prima mitsingen.
Silly bringen eine neue CD raus, und das wird beachtet. „Kopf an Kopf“ heißt das Album, die Zeile soll die Gemeinschaft vier starker Persönlichkeiten symbolisieren. Aus dem Titelsong spricht eine Erfahrung des Zusammenseins: Ein Paar, das sich vertraut ist, flüchtet vor der Welt mit ihrer Lautstärke, ihrem Sturm und Gewese. „Ein Sturm kommt auf, wir halten ihn aus, Kopf an Kopf.“ Sanft und einschmeichelnd klingt die Sängerin da.
Das böse O-Wort
Silly gehen also vorab in die Talkshows, Anna Loos ist in Zeitschriften präsent, am Sonnabend schon wird sie sich wieder vor Kameras setzen und reden, bei „Wetten dass..?“ Die 42-Jährige kann wunderbar in eigener Sache agieren und für die zehn bis siebzehn Jahre älteren Jungs gleich mit werben. Die sind der Rumpf von Silly, übrig geblieben von einem Mythos.
Also kommen die Interviewer zur Geschichte der Band. Natürlich fällt der Name der Sängerin Tamara Danz, die 1996 im Alter von nur 43 Jahren an Krebs starb. Die war eine Identifikationsfigur in der DDR, als mutige, stolze Frau mit einer sehr besonderen Stimme. Und dann folgt eines dieser bösen O-Wörter, beim NDR fing das Interview sogar damit an: Osten, Ost-Band, Ost-Rock. Damit kann man Anna Loos sehr ärgern. Sie hat ja so recht. Niemand mit Geburtsort in der alten Bundesrepublik, keine Nena, nicht die Ärzte oder Unheilig, wird als „West-Musiker“ oder „West-Band“ tituliert bei der Vorstellung einer neuen Platte. Die Mauer ist gefallen, Deutschland ist groß, die Band kommt aus Berlin.
Nicht in der Vergangenheit stehengeblieben
Silly verweigern sich den Ostrock-Konzerten, weil sie zeigen wollen, dass sie nicht in der Vergangenheit stehengeblieben sind. Für die erste Platte nach dem Tod von Tamara Danz, „Alles Rot“, 2010, kam Anna Loos als neue Sängerin dazu und der alte Texter Werner Karma zurück. Auf „Kopf an Kopf“ nun prägen Barton und Hassbecker die Songs wie immer, die meisten Texte stammen diesmal von Anna Loos selbst. Einige sind von trauriger Banalität. „Dein Atlantis“ zum Beispiel lädt dazu ein, tief im eigenen Meer die sagenumwobene Insel zu suchen, die hier nur „dein versunkenes Gefühl“ ist. Das angesprochene Du kann über seinen „Schatten springen, zuhören und vertrauen“. So schreibt Anna Loos, aber auch Karma ist für Zeilen wie „Ich liebe dich so viel mehr als frei zu sein“ nicht unbedingt zu preisen.
Bei anderen Titeln erkennt man die alte Metaphernlust wieder. Dafür waren Silly bekannt, als man in Rocksongs suchte, was in der Zeitung nicht stand. „Lügen legen die Unschuld in Scherben“, heißt es in „Blinder Passagier“ über die Verantwortung von Menschen, die Kinder in die Welt setzen. Der Text stammt noch von Tamara Danz. „Blutsgeschwister“, ein anrührendes Lied über eine Freundschaft, die im neuen Deutschland zerbrach, ist aus der Feder der neuen Sängerin. Und der provokanteste Titel „Vaterland“ wurde wiederum von Werner Karma verfasst. Er beginnt wie ein Country-Song, aus dem Hintergrund schieben sich Wüstenklänge dazu: „Mein Vaterland macht mit Maschinen viel gutes Geld/ Maschinen für das Töten für fast jeden Krieg der Welt…“ Die Instrumentierung bewegt sich mit Geigen schließlich ins Hymnische: „Wie lieb’ ich so’n Land, mit Herz oder Verstand?“ Wer seine alten Silly wieder haben will, kann sie hier finden. Oder in der Ballade „Spring“, die Kinder anstiftet, den eigenen Weg zu gehen. „Die Flügel schenk ich dir, ich weiß, sie bringen Glück, sie decken dich zu und sie tragen dich. Geh und spring so weit du kannst.“ Musikalisch nicht überraschend
Musikalisch nicht überraschend
Das neue Album wird Silly vermutlich nicht besonders viele neue Fans bringen, weil es musikalisch einfach nicht überrascht. Man denkt an Rosenstolz, wenn’s sentimentaler klingt. Oft fühlt man sich an Nena erinnert. Mehrere Titel pappen zu einem poppigen Brei zusammen, nur der Bass wehrt sich noch dagegen. Ist das noch Titel 9 oder schon die 11? Beim häufigen Hören setzen sich auch einige Melodien und Liedzeilen fest. Da kann man schimpfen und Mainstream! sagen. Aber so hat das Vorgänger-Album immerhin Platin errungen. Silly will ja nicht der Geheimtipp von irgendwo sein, sondern sich auf einem Markt behaupten, auf dem es nur wenige Gewinner gibt.
Die Runde in der Talkshow, lauter Herren mit ausgedünntem Haupthaar, reagierte sehr freundlich auf den Song. Silly machen Musik für Erwachsene. Anna Loos und die Jungs haben ja auch Kinder zu Hause und müssen Geld verdienen.