Zum ersten Album Engerling

von Wolfgang Ziegenrücker, Melodie und Rhythmus

„Engerling, weichhäutige, weißliche Larve der Blatthornkäfer …“. Mit dieser Definition aus Meyers neuem Lexikon kann der Plattensammler kaum etwas anfangen, wen er versucht vom, vom Titel einer neuen Amiga LP – nämlich „Engerling“ – auf deren Inhalt zu schließen. Indes: Dem Kenner ist klar, das es hier nicht um zoologische, sondern bluesige Töne geht.

Ende 1974 scharten sich interessierte Berliner Musikanten um den Pianisten und Sänger, Texter und Komponisten Wolfram Bodag und gaben sich den Namen Engerling. Wer weiß, welch hintergründiger Sinn der Namensgebung zugrunde lag. Doch wie dem auch sei, bald waren sie auch außerhalb der Hauptstadt bekannt. Auftritte und erste Rundfunk-Mitschnitte ließen sie beim jugendlichen Publikum zum Begriff werden. Bei den zentralen Leistungsvergleichen unserer besten Amateurgruppen erhielten sie den Titel „Hervorragendes Amateurtanzorchester der DDR“ zugesprochen.

Damit fand und findet ihre zielstrebige Arbeit gebührende Anerkennung. Gleichzeitig ein Dankeschön an die Amiga Produzenten, die mit dieser LP wieder einmal eine Amateurformation vorstellen. Von Anbeginn hat sich die Gruppe Engerling dem Blues verschrieben. Doch Blues bedeutet für sie keine Einengung, kein starres Schema, sondern in erster Linie lebendiges Musizieren unter Nutzung bewährter Traditionslinien und modischer, aktueller Einflüsse. Es liegt auf der Hand, das sie sich ebenso mit den klassischen wie mit den zeitgenössischen Bluespersönlichkeiten und ihrem Schaffen auseinandersetzt. Das spürt man in der Musik, aber auch in den Texten.

Offensichtlich wird dieser Prozess in den Titeln „ Mama Wilson“ und „Schwester Bessies Boogie“. „Mama Wilson“, einer der erfolgreichsten Engerling – Titel, auch bereits als Single erschienen, ist ein fiktives Gespräch mit der Mutter des 1970 auf tragische Weise ums Leben gekommenen Alan ( Al) Wilson. Wilson, Jahrgang 1943, spezialisierte sich nach seinem Musikstudium al Bluesforscher und gilt als Mitbegründer der in Los Angeles beheimateten Blues – Rockband Canned Heat. Er war ein bedeutender Vertreter des „weißen“ Blues und Vorbild für die nachfolgende Generation – kein Wunder also, wenn ihm von den Berliner Musikanten ein klingendes Denkmal gesetzt wird, denn Bodag bekennt: „ Den Boogie blies er in uns rein!“

Während Wolfram Bodag zu „Mama Wilson“ einen einfühlsamen, treffenden charakterisierenden Text schrieb, wendet er in „Schwester Bessie`s Boogie“ ein anderes Prinzip an. Schwester Bessie verkörpert die berühmte Bluessängerin Bessie Smith. Ihr widmet Bodag einen typischen, erfrischenden Klavier_Boogie-Woogie: ostinante Bassfiguren in der linken Hand, stereotype melodische Wendungen in der rechten Hand. Die Musik hat eindeutig das Primat, der Text erschöpft sich in (fast belanglosen) Ausrufen, unterstützt die Spielfreude – auch das Anknüpfen an bewährte Traditionen.

Zu den älteren Engerling-Titeln dieser LP zählt auch der „Blues vom roten Hahn“. Bodag erzählt die Story vom Wiederaufbau des abgebrannten Bluesklubs, von der Solidarität der Bluesmusikanten, die für ihre Freunde Geld einspielen: „ Hier habt ihr die Moneten. Legt sie gut an, fangt an aufzubaun und lasst euch nicht noch mal vom Roten Hahn dort unterm Dach den alten Blues versau `n „. Neu eingespielt wurde „Die dünne Haut“. Bodag glaubt „die Haut, die ist zu dünn für diese Welt“ – und wünscht sich das dicke Fell eines Grizzlybären – was ihm aber auch so alles widerfährt, dem sensiblen Musiker. Klar in Verse und Refrain gegliedert, treten in dieser Komposition wohltuend markante metrische Akzente hervor (z.B die wiederholt vorgezogene Eins im Vers), die den Ablauf interessant machen.

Die Platte beginnt mit einem neuen Titel: „Sechs tage auf dem Rad“, einem anfeuerndem Durchhaltelied für die Berliner Winterbahnfans. Ob es auch für Engerling ein Renner wird? Mir scheint die Substanz ( Text wie Musik ) dafür etwas zu mager; gelungen dabei die Korrespondenz von Gitarre und Klavier. Recht originell dagegen finde ich einen weiteren Neuling – „Gleichschritt“. Boldag schildert anhand zahlreicher aus dem leben gegriffenen Beispiele wie sie „hü“ sagt, wenn er „hott“ meint, trotzdem ( oder gerade deshalb ) kennen beide keine Langweile und finden sich nett – auch ein Rezept. Der differenzierte Einsatz der Mundharmonika verleiht als Gegenpol zum Gesang diesem Titel das Kolorit. Eine weitere Novität stellt der „Moll Blues“ dar. Moll bezieht sich in diesem fall nicht nur auf das Tongeschlecht, sondern symbolisiert eine Person, auf der das Vergangene lastet. Die Einsamkeit wird zur Gefahr: „Gib auf dich acht, sonst erstickst du in der Erinnerung.“ Ein typischer Blues, schwer, in langsamen Zeitmass ( 6/8 Takt ), mit Solochorussen von Gitarre und Saxophon, im Mittelpunkt der unverkennbare Gesang Wolfram Bodags.

Den Abschluß der Engerling LP bildet das Instrumental „Montgolflere“, eine Reminiszenz an den ersten Heißluftballon bzw. an seine Konstrukteure, die französischen Gebrüder Montgolfier. Trotz mehrmaligem Hören fand ich keine rechte Beziehung zur Überschrift ( oder soll die beabsichtigte musikalische Monotonie das Dahinschweben des Ballons widerspiegeln ? ). Wenn auch stellenweise in der Interpretation Bluesfeeling erkennbar ist, so scheint mir doch der Titel auf der Platte isoliert ( hart gesagt: deplaziert ) zu stehen. Er eignet sich wohl besser für ein Konzertprogramm, mit Raum für ausgeprägtes Solospiel. Engerlings musikalische Konzeption ist klar erkennbar: geradlinige, urwüchsige Blues – und Boogiemusik, vielgestaltig und abwechslungsreich. Als Spiritus rector des Unternehmens fungiert Wolfram Bodag, der die Texte zu seinen Bluesliedern mit Können und Einfallsgabe selbst schreibt, der als Sänger und Keyboardspieler vieles selbst über die Rampe bringt. In ihm verkörpert sich die oft beschworene Einheit von Text, Musik und Interpretation in einer originellen Synthese. Ihm zur Seite stehen die Gitarristen Heiner Witte und Bernd Kühnert, Saxophon bläst Gorrfried Klier. Für einen unauffälligen, aber marschierenden Rhythmus sorgen Rainer Lojewski ( dr ) und in jüngster Zeit Jens Saleh (b ), auf einigen Produktionen von Mischa Arnold und Erhard Klauschenz vertreten.

Die LP „Engerling“ sollte aber nicht nur den Bluesfreund interessieren, sondern sich auch auf den Plattentellern unserer Diskotheken drehen, denn Blues ist ja zur Zeit wieder einmal landauf, landab „in“ .

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